header-placeholder


image header
image
hoevelmann holger

Sachsen-Anhalt-News: Hövelmann zur AfD: „Woran Sie leiden, das ist die Freiheit der Andersdenkenden“

Freitag, den 22. November 2019

Der Landtag von Sachsen-Anhalt diskutiert am heutigen Freitag in einer Aktuellen Debatte auf Antrag der AfD über die angebliche „Gefährdung der Meinungsfreiheit“. In seiner Rede widersprach der medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Holger Hövelmann (Foto), den Behauptungen der AfD entschieden und hielt ihr vor: „Woran Sie leiden, das ist die Freiheit der Andersdenkenden.“

Die Rede im Wortlaut:

Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, meine Herren von der AfD: Da behaupten Sie, die Meinungsfreiheit in Sachsen-Anhalt und in Deutschland sei gefährdet, und was sind Ihre „Belege“? Sind es etwa Urteile gegen Journalisten? Sind es Polizeischikanen gegen Demonstranten? Sind es repressive Gesetze oder willkürliche Entlassungen aus dem Staatsdienst? – Alles Dinge, wie man sie von vielen Regimen kennt, die Sie hofieren.

Nein: Der Staat und alle seine Gewalten in Deutschland sind auf den Schutz der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Organisationsfreiheit verpflichtet – und wenn Behörden im Einzelfall falsche Abwägungen zu Lasten von Bürgerrechten treffen, dann bietet der Rechtsstaat alle Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

Ich möchte behaupten: Um die Meinungsfreiheit in Deutschland ist es heute besser bestellt als je zuvor – aus verschiedenen Gründen:

·  Vor allem deshalb, weil die Mütter und Väter unserer Verfassung Lehren aus der Geschichte gezogen haben und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat an den Anfang des Grundgesetzes gestellt haben.

·  Aber auch, weil sich zugleich die Bürgerinnen und Bürger Zug um Zug immer mehr Rechte erstritten haben. Das gilt zum Beispiel für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und für das Informationszugangsrecht.

·  Aber auch aus materiellen Gründen hat die Meinungsfreiheit heute gute Karten: Bis zum Entstehen des WordWideWeb und dem Aufkommen der sogenannten sozialen Medien war die Verbreitung der eigenen Meinung über den persönlichen Bekanntenkreis hinaus nur den Wenigen möglich, die Zugang zu Druckmaschinen, zu Fernsehstudios oder zu Rundfunkmikrofonen hatten. Heute hingegen lässt sich jede, aber auch wirklich jede Meinung von jeder und jedem weltweit verbreiten, jederzeit.

Das sind die positiven Rahmenbedingungen für Meinungsfreiheit in unserem Land. Es gibt aber auch Rahmenbedingungen, die zu denken geben.

Die eben genannten sozialen Netzwerke sind nicht nur Plattformen für den Meinungsaustausch, sondern zugleich Brutstätten für unglaublichen Hass und eine noch vor kurzem schier unvorstellbare Verrohung. Schon allein die Nachstellungen der Trolle im Netz sind geeignet, Menschen einzuschüchtern, die sich engagieren oder ganz einfach ihre Meinung sagen. Das gilt aber umso stärker, je mehr diese virtuellen Bedrohungen in handfeste Gewalt in der realen Welt umschlagen.

Der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle, aber auch die Angriffe auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, auf Büros von Abgeordneten, Parteien und Initiativen: Natürlich wirken diese Taten einschüchternd, und natürlich gibt es Menschen, die sich heute zweimal überlegen, welchen Post sie ins Netz stellen und zu welcher Demonstration sie gehen. Das ist eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, und alle, die sich trotzdem engagieren und sich nicht einschüchtern lassen, sind heute die Heldinnen und Helden unserer Demokratie.

Meine Herren von der AfD, wie ich Sie kenne, sind das aber nicht die Sorgen, die Sie sich machen. Das Bild, das Sie hier malen, ist das von einem angeblichen „linksliberalen Meinungstotalitarismus“. Dass das offenkundig grober Unfug ist, dafür sind Sie selbst der beste Beweis. Denn die Tatsache, dass Sie hier in großer Anzahl sitzen und was sie hier vertreten, zeigt doch mehr als deutlich, dass in diesem Land sogar extremistische, völkische, nationalistische und rassistische Auffassungen straflos vertreten werden können. Und das wissen Sie selbst am besten, denn Sie nutzen es ja skrupellos aus.

Es gibt aber eins, was Sie nicht verstehen oder nicht verstehen wollen: Sie sind nicht das Volk. Und Ihre Blase ist es auch nicht. Was Sie mit Gleichgesinnten am Stammtisch oder in der Facebook-Gruppe austauschen, ist eben nicht „Volkes Stimme“, sondern eine Meinung unter vielen. Dass Ihnen Millionen Menschen in Ihren Ansichten  entschieden widersprechen, ist kein Angriff auf Ihre Meinungsfreiheit, sondern deren eigenes gutes Recht.

Woran Sie leiden, das ist die Freiheit der Andersdenkenden.

Ich nutze die Gelegenheit heute gerne für einen Lob des Mainstreams. Er hat es verdient.

Denn was Sie, meine Herren von der AfD, „linksliberalen Meinungstotalitarismus“ nennen, das nennt die Politikwissenschaft: demokratischer Konsens. Dieser Konsens ist das, was Deutschland zu einem lebenswerten Land macht. Dieser Konsens war die Grundlage dafür, dass die Deutschen überhaupt wieder ein geachteter Teil der Völkergemeinschaft werden konnten.

Ich bin stolz auf diesen Mainstream:

·  Ich bin stolz darauf, dass in unserer Verfassung am Anfang nicht der Dienst am Vaterland steht, sondern die Achtung vor der Würde des Menschen.

·  Ich bin stolz darauf, dass unser Land die Todesstrafe verboten hat, dass es nicht an Angriffskriegen teilnehmen darf und dauerhaft auf Atomwaffen verzichtet hat.

·  Ich bin stolz darauf, dass Deutschland die Lehre aus seiner Geschichte gezogen hat, das Recht auf Asyl in seiner Verfassung verankert hat und sich völkerrechtlich zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet hat.

·  Ich bin stolz darauf, dass aus den Bekenntnissen zu einem einigen Europa über Jahrzehnte eine feste Gemeinschaft geworden ist und dass wir – wie die anderen – einen Teil unserer Souveränität auf diese Gemeinschaft übertragen haben, im Interesse von Frieden und Wohlstand.

·  Ich bin froh darüber, dass nach der formalen Gleichstellung von Frauen und Männern immer stärker auch tatsächliche Gleichstellung und Teilhabe erkämpft wurde – und dass weiter bestehende Benachteiligungen auch immer weiter hinterfragt und abgebaut werden.

·  Ich bin froh darüber, dass man in unserem Land heute lieben und heiraten kann, wen man will, und dass das in der großen Mehrheit der Bevölkerung Akzeptanz findet.

·  Und ich bin froh darüber, dass ebenfalls für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der Schutz von Umwelt und Klima einen ganz hohen Stellenwert hat.

Diese Übereinstimmung in vielen Grundsatzfragen tut unserem Land gut. Und sie lässt zugleich allen Raum für Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Meinungsstreit.

Ich bin aber auch stolz, dass Meinungsfreiheit Grenzen hat.

Am deutlichsten hat unser Staat diese Grenze mit dem Verbot gezogen, den Holocaust zu leugnen. Dieses Verbot ist nötig, um das Andenken der ermordeten Jüdinnen und Juden und die Würde der Überlebenden und der Nachkommen zu schützen. Das Verbot markiert aber zugleich eine letzte Grenze, auch für die Meinungsfreiheit.

Es ist die ins Strafgesetzbuch gegossene Erkenntnis: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.