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Aus dem Gerichtssaal: Richtig oder falsch? Die Wahrheit über die häufigsten Rechtsirrtümer

Mittwoch, den 16. Oktober 2019

Muss ich mein Essen wirklich nicht zahlen, wenn der Kellner die Rechnung nicht bringt? Hat bei einem Auffahrunfall tatsächlich immer der auffahrende Fahrer Schuld? Im Gesetzes-Dschungel kursieren viele Gerüchte und Halbwahrheiten. Doch was stimmt wirklich und was ist juristisch gesehen Unfug? Eric Schriddels, Partneranwalt der ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG von der Kanzlei Kaiser und Kollegen, klärt über die häufigsten Rechtsirrtümer auf.

Irrtum Nr. 1: Nachts darf man nicht mehr baden und duschen.

Nach einem langen Abend noch schnell unter die Dusche gehüpft – und dann steht der motzende Nachbar vor der Tür… In vielen Mietwohnungen darf man ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr duschen oder baden. Ist das rechtens? „Prinzipiell darf jeder seine Wohnräume zu allen Tageszeiten nutzen, wie er möchte – solange er dabei die Nachbarn nicht unzumutbar stört. Je nach Wohnsituation kann zwar auch nächtliches Baden oder Duschen mit gewisser Intensität als Ruhestörung empfunden werden, gesetzlich verboten ist es aber nicht. Generelle nächtliche Dusch- und Badeverbote in Hausordnungen sind insgesamt unwirksam“, erklärt der Rechtsanwalt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hält eine Dusch- und Badedauer von 30 Minuten je Wohnungsbewohner für ausreichend. Den Nachbarn zuliebe sollte man der Körperhygiene dennoch besser vor 22 Uhr nachgehen.

Irrtum Nr. 2: Bringt der Kellner die Rechnung nicht, muss man auch nicht bezahlen.

Augenkontakt, Winken, Gesten – nichts hilft. Der Kellner bringt die Rechnung nicht. Kann man nun einfach aufstehen und gehen? „Ja. Soweit man nachweisen kann, dass man wiederholt um die Rechnung gebeten hat, darf man die Gaststätte tatsächlich verlassen“, erklärt ROLAND-Partneranwalt Eric Schriddels. Wenn die Rechnung nicht kommt, gerät der Gastwirt in den sogenannten Annahmeverzug. Das bedeutet: Der Gast muss nicht ewig sitzen bleiben. Ums Bezahlen kommen die Gäste aber nicht herum: „Der Gastwirt kann sein Geld auch nachträglich noch einfordern.“ Dafür muss der Gast seine Kontaktdaten hinterlassen. Da die Beweislage aber heikel ist, rät der Anwalt: „Lieber Geduld aufbringen und direkt vor Ort zahlen!“ Der geschlossene Bewirtungsvertrag ist in aller Regel ein anonymer Vertrag. Der Gastwirt hat grundsätzlich keine Kontaktdaten des Gastes. Insoweit ist es eine Frage des Anstands und des eigenen Gewissens, dem Gastwirt die Rechnungsstellung zu ermöglichen.

Irrtum Nr. 3: Defekte Waren kann man nur mit dem Kassenbon reklamieren.

Der nagelneue Fernseher gibt nach wenigen Tagen den Geist auf. Doch der Kassenbon ist nirgends zu finden. Kann ich ihn dennoch umtauschen? „Der Kassenbon ist ein mögliches Beweismittel“, erklärt der Rechtsanwalt. Das heißt, der Kunde muss erst einmal beweisen, dass er die mangelhafte Sache gekauft hat. „Doch auch ein Zeuge kann bestätigen, wann und wo der Kauf stattgefunden hat. Gleiches gilt für den Nachweis der Zahlung an den Käufer mit einem Kontoauszug. Lässt sich der Verkäufer aber nicht überzeugen, muss der Käufer eventuell rechtliche Schritte einleiten.“ Wer keine Lust auf lange Diskussionen oder sogar einen Rechtsstreit hat, sollte gerade bei teuren Anschaffungen lieber gut auf die Belege aufpassen.

Irrtum Nr. 4: Man muss sich jederzeit ausweisen können.

Seinen Ausweis muss man immer bei sich tragen – das hat sicherlich jeder schon mal gehört. Was viele nicht wissen: Eine allgemeine Mitführpflicht gibt es in Deutschland gar nicht! „Gemäß Paragraf 1 des Personalausweisgesetzes (PAuswG) besteht eine Ausweispflicht, jedoch resultiert daraus keine allgemeine Mitführpflicht für Identitätsnachweise. Das bedeutet: Jeder Bürger über 16 Jahre muss zwar einen Ausweis besitzen, aber diesen nicht unbedingt jederzeit vorzeigen können“, so der ROLAND-Partneranwalt. Der Nachteil: Kann man sich bei einer Polizeikontrolle nicht ausweisen, wird man oft zur Wache zitiert. Einen Ausweis bei sich zu haben, ist also durchaus ratsam.

Irrtum Nr. 5: Man kann jeden Vertrag innerhalb von zwei Wochen widerrufen.

„Zur Not tausche ich’s halt um“ – praktisch für Shopping-Fans, dass man jeden Fehlkauf innerhalb von zwei Wochen einfach wieder rückgängig machen kann. Aber stimmt das überhaupt? Leider nein, wie der Rechtsexperte erklärt: „Hier erliegen viele einem Irrtum. Eine gesetzliche Widerrufsfrist gibt es nur bei bestimmten Verträgen, zum Beispiel bei Online-Käufen oder Finanzierungs-Verträgen.“ Ist im Vertrag kein Widerrufsrecht vereinbart, kann man also nicht einfach zurücktreten. „Es sei denn, die Ware ist mangelhaft. Doch auch hier ist der Umtausch nicht so einfach, wie viele meinen. Der Verkäufer darf defekte Ware zweimal nachbessern. Erst wenn der zweite Nachbesserungsversuch fehlschlägt, muss der Verkäufer gegen Rückgabe der Ware das Geld erstatten“, erklärt Rechtsanwalt Eric Schriddels.

Irrtum Nr. 6: Fahrgäste müssen immer das erste Taxi in der Reihe nehmen.

Eine ellenlange Taxischlange vor dem Flughafen. Muss ich nun mit Sack und Pack bis ganz nach vorne laufen, um das erste Taxi zu nehmen oder darf ich ins nächstgelegene einsteigen? „Dass man immer das vorderste Taxi in der Reihe nehmen muss, ist ein weit verbreiteter Irrtum“, erklärt der ROLAND-Partneranwalt. Fahrgäste dürfen einsteigen, wo sie wollen – und die Fahrer müssen sie mitnehmen. „Taxifahrer haben sogar eine Beförderungsverpflichtung und müssen zumindest theoretisch jeden Fahrgast mitnehmen.“ Wer gut zu Fuß ist, sollte sich aber ruhig an das ungeschriebene Gesetz des „ersten Taxis“ halten.

Irrtum Nr. 7: Wer auffährt, hat Schuld.

Das ist eine der ersten Regeln, die Fahranfänger zu hören bekommen. Gegen den Auffahrenden spricht grundsätzlich der sogenannte Beweis des ersten Anscheins. So liegt es nahe, dass er entweder nicht genügend Sicherheitsabstand eingehalten, infolge von Unaufmerksamkeit nicht rechtzeitig auf ein Hindernis oder das Fahrverhalten eines Vorausfahrenden reagiert oder gegen das Sichtfahrgebot verstoßen hat. Der Spruch ‚Wenn’s hinten kracht, gibt‘s vorne Geld‘ stimmt jedoch nur bedingt! „Wer Schuld hat, hängt tatsächlich vom Unfallhergang ab“, so Rechtsanwalt Eric Schriddels. „Kann der Hintermann tatsächlich nachweisen, dass der Unfallgegner einen Fehler gemacht hat, kann sich das Blatt schnell wenden. Das heißt, wenn der Anscheinsbeweis widerlegt werden kann, werden die Karten neu gemischt.“ Sind zum Beispiel die Bremslichter des Vordermanns defekt, hat dieser mindestens Mitschuld an dem Unfall und muss ebenfalls die entsprechenden Konsequenzen tragen. Wer auffährt, hat also nicht immer Schuld. Dennoch gilt: Am besten ausreichend Abstand halten!