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Magdeburg-News: Wandern. Und die Seele heilt - Ein Rückblick auf schwere Zeiten für einen Neubeginn

veröffentlicht am Montag, 17. Oktober 2022

Magdeburg. Schicksalsschläge bleiben niemanden erspart. Ines Möhring, jetzige Besitzerin des OLi Kinos, musste in der Vergangenheit gleich mehrere verarbeiten, bis ihre Seele wieder heilen konnte. Ein Porträt über den Weg einer starken Frau. 

Das Kultkino auf der Olvenstedter Straße besteht bereits seit 1936. Lange Jahre war es geschlossen, bevor Wolfgang Heckmann 2003 die damalige Ruine kaufte und daraus die Kulturoase schuf, wie sie viele kennen. Ines Möhring war als seine Frau seit 2006 an seiner Seite und betrieb mit ihm gemeinsam das „OLi“ mit viel Herzblut und Engagement. 2019 sollte sich vieles ändern; Wolfgang Heckmann verstarb im November sehr plötzlich und neben der Trauer um ihren Mann war da auf einmal noch ein Kino, was neben aller Nostalgie und Romantik aber auch ein Wirtschaftsbetrieb ist, der einfach laufen musste. „Mein Herz war schwer und die Aussichten mehr als düster“, so Ines Möhring. Aber es sollte weitergehen, als Vermächtnis und Andenken ihres Mannes und auch für die Kultur in Stadtfeld. Nach diesem Schicksalsschlag kam gleich der nächste - Corona legte jegliches kulturelles Leben lahm. Keine Veranstaltungen, keine Zusammenkünfte von Menschen, keine Einnahmen für das OLi Kino. Nur drei Monate nach ihrem privaten Rückzug  musste die Inhaberin das Kino schon wieder für die Öffentlichkeit schließen. „Ich fiel von einer Katastrophe in die nächste“, erinnert sie sich. Und dennoch fand sie die Kraft, neben ihrem persönlichen Schmerz an andere Menschen zu denken, die vom Leben nicht beschenkt wurden. Während des Lockdowns öffnete sie die Türen des OLis für Obdachlose. „Stell Dir vor, Du musst die ganze Zeit zu Hause bleiben, aber hast gar keins!“ Dieser Satz macht nachdenklich, bis heute. Und so schuf Ines Möhring gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern für ein paar Stunden täglich einen geschützten Raum für Menschen ohne Zuhause. Die Obdachlosen konnten sich aufwärmen und Filme schauen und es gab zu essen und zu trinken. Die Spendenbereitschaft war riesig. 

Irgendwann wusste sie, dass sie trauern muss, um loslassen zu können. Und so machte sich Ines Möhring am 26. Juni 2020 auf den Weg. Ihren Weg, den sie lief, um wieder einen freien Kopf und auch Herz zu bekommen. Ihr Weg führte sie beginnend auf der Wartburg von Eisenach über die sächsisch-böhmische Schweiz, das Isar - und das Glatzer Schneegebirge, die Beskiden und die Mala Fatra bis nach Budapest. Allein, nur begleitet von einem 12 Kilogramm schweren Rucksack. „Ich war unsportlich, bin nie gewandert, dachte am Anfang, dass ich das nie schaffe und doch legte ich Kilometer für Kilometer zurück. Über Stock und Stein, immer weiter, lief, kämpfte, weinte.“ An ihrem Hochzeitstag gedachte sie der Zeit mit ihrem Mann, allein im Wald und hörte ihr Lied von Elvis Presley so oft, bis die Tränen nicht mehr liefen. Der lange Weg, die Anstrengung und nötige Konzentration nahmen ihre psychischen Kräfte so sehr in Anspruch, dass der seelische Schmerz irgendwann schmolz. Mit einem Tagespensum von 15 bis 28 Kilometern zu Fuß legte sie insgesamt 862 Kilometer nur auf Schustern Rappen zurück, einige Strecken überwand sie mit dem Bus. Verständigt habe sie sich vor allem mit Händen und Füßen und ein bisschen mit Hilfe von Google. Irgendwie fügte sich alles, der Weg, der am Anfang endlos schien, tat sich auf und nahm sie einfach mit. Es sei eine besondere Erfahrung gewesen, nur mit dem zu sein, was sie tragen konnte, auch der Last auf ihrer Seele. Minimalismus pur, weg von allem, was das Leben sonst überfüllt. Nach neun Wochen am Ziel angelangt, stellte sie fest, dass sie wirklich alle Themen, die ihr auf der Seele gelegen hatten, abgearbeitet, ja wohl besser, abgewandert hatte. 

Zurück in ihrem ganz normalen Leben, zurück im OLi Kino blickt sie nach dieser Erfahrung nach vorn. „Es geht ja auch immer nur nach vorn, der Weg zurück ist ja vorbei, schon gegangen“. Sie freut sich auf die kuschligste Zeit, die nun kommt, die Advents- und Weihnachtszeit. Da sei das Kino besonders gemütlich. Sie freut sich auf den Weihnachtsbaum, den Glühweinstand und den nicht wegzudenkenden Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Kino sei jedoch nicht nur zu Weihnachten schon immer eine besondere Welt gewesen, in die wir gern ein- und abtauchen. Der Zauber umfängt die Gäste, sobald das Licht schwindet und stattdessen der Film über die Leinwand flimmert. 

Text: Steffi Pretz
Foto: privat