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Vo  gel Zugvo  gel pixabay

Sachsen-Anhalt-News: NABU • Kite-Surfen vergrämt Tausende Zug- und Brutvögel im Vogelschutzgebiet

Montag, 18. April 2022

Sachsen-Anhalt. Der Helmestausee Kelbra lockt seit dem Spätsommer 2021 Tausende Vögel aus Skandinavien und russischen Tundren in die Goldene Aue. Grund ist das für viele Arten optimale Stauregime, welches vom Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalts seit 2019 auch auf die Belange der Brut-, Zug- und Rastvögel abgestimmt wurde. Während 2018-2020 dürrebedingt schon im Sommer sehr niedrige Wasserstände herrschten, konnten viele Wasservögel im Jahr 2021 bei stabilen Wasserständen im Frühjahr und Sommer ihre Jungen in den Uferröhrichten großziehen. Erst ab Spätsommer wurde der Wasserstand für die ab August/September eintreffenden nordischen und östlichen Gäste langsam abgesenkt.

Fast 20 Limikolenarten, darunter 600 Alpenstrandläufer, 60 Dunkle Wasserläufer und 65 Große Brachvögel konnten hier über Monate bestaunt werden. So manchem weit angereisten Ornithologen kamen beim Anblick großer Flachwasserbereiche und Schlammflächen unweigerlich die Vergleiche mit dem Wattenmeer an der Nordsee. Ideale Bedingungen, die auch von 300 Silberreihern, 3.000 Blässhühnern, 1.000 Löffelenten und 2.500 Krickenten für wochen- und monatelange Aufenthalte vor dem Weiterflug nach Westeuropa genutzt wurden.

Auch vom Kranich – der bedeutendsten Rastvogelart am Stausee – konnten bis zu 25.000 Individuen im Oktober gezählt werden. Und – beeinflusst von günstigem Nahrungsangebot, milden Temperaturen und störungsfreien Flachwasserbereichen in Seemitte – harrten bis zu 6.000 von ihnen bis in den Januar 2022 hinein am Stausee aus. So viele wie noch nie in dieser Jahreszeit. Und – als ob dies nicht reichte – nutzen auch bis zu 15.000 Saat- und Blässgänse den See allabendlich als günstigen Schlafplatz, die sich die Restwasserflächen neben den Kranichen mit bis zu 3.000 Silber- und Steppenmöwen teilten.   

„Alle diese Vögel wollen hier am Helmestausee nur eines – in Ruhe schlafen und Nahrung suchen, um Kraft zu tanken und Fettreserven anzulegen für den Weiterflug nach Afrika, West-Europa oder den Rückflug in östliche und nördliche Brutgebiete“, so Martin Schulze, Stellv. Landesvorsitzender des NABU.

Heile Welt – möchte man meinen.

Gäbe es da nicht ein paar Unbelehrbare, denen die internationale Bedeutung des Helmestausees für Zug- und Rastvögel sprichwörtlich am Allerwertesten vorbeigeht. Die Winter- und Frühjahrsstürme 2021/22 wurden nach der Wiederbefüllung des Stausees an manchen Tagen von bis zu einem Dutzend Kite-Surfern genutzt, die hier unbeeindruckt von aufgescheuchten Vogelschwärmen ihrem Hobby nachgehen. Trotz der Verbote, bestehender Regelungen zu Schutzzonen und Hinweise an den Zufahrten zum Strandbereich in Kelbra wird hier einem zweifelhaften Hobby gefrönt, welches massive Störungen der Rastvögel am Stausee zur Folge hat. Die großen Segel werden von den Wasservögeln über Hunderte Meter als Gefahr erkannt, die sie zum Auffliegen zwingt. Oft verlassen sie den Rastplatz, zu dem es in der Region keine Alternative gibt, und verlieren hierbei viel Energie.  

Der NABU reicht deshalb seit vielen Jahren und zuletzt auch in der vergangenen Woche Hinweise und Anzeigen bei den zuständigen Naturschutzbehörden der Landkreise Kyffhäuser und Mansfeld-Südharz ein – ohne durchschlagenden Erfolg. Von komplizierten rechtlichen Verhältnissen ist die Rede, von personeller Überlastung, von aggressivem Verhalten der Kite-Surfer. Thüringen und Sachsen-Anhalt schieben sich den Schwarzen Peter auch gegenseitig zu.

Zuletzt wurden immerhin einige Schutzgebietsschilder im Gebiet aufgestellt. Nach Ansicht des NABU sind die aber viel zu klein, um wahrgenommen zu werden.     

Dabei ist es doch auf dem Papier ganz einfach. Dem NABU liegt die Nutzungsvereinbarung zwischen dem Talsperrenbetrieb und der Stadt Kelbra über den Freizeit- und Erholungsbereich und die Jahre 2013-2027 vor. Diese regelt u.a. das Verbot des Kite-Surfens auf dem Stausee Kelbra. Ebenso unterzeichnete die Stadt Kelbra einen Passus, wonach die Stadt für die Einhaltung der naturschutzrechtlichen Bestimmungen, die sich aus der NSG-Verordnung auf Thüringer Seite und den Bestimmungen im Vogelschutzgebiet (LandesVO Natura 2000) ergeben, verantwortlich ist.

Beim NABU fragt man sich – was nützt die schönste Verordnung, der beste Vertrag, wenn sich niemand daran hält und keiner die Einhaltung der Regelungen kontrolliert und Verstöße ahndet?

„Durch mangelnde Kontrolle und ignorierendes Wegschauen seitens der Behörden und der Stadt Kelbra wird hier der Status eines Feuchtgebietes internationaler Bedeutung nach der Ramsar-Konvention und eines Rastplatzes zehntausender Vögel aufs Spiel gesetzt. Der Verkauf einiger Wassersport-Marken durch den Kelbraer Campingplatz ist offenbar wichtiger als das Schicksal von Schwarzhalstaucher, Kranich & Co.“, so Martin Schulze.

Der NABU hat nach langem Hin und Her ohne vernünftige Lösung jedenfalls genug vom nun schon über viele Jahre laufenden behördlichen Wegschauen, von Verstößen gegen Natur- und Artenschutzrecht. Ein Umweltrechts-Anwalt wurde beauftragt, den Missstand zu analysieren und alternative Lösungsmöglichkeiten zu sondieren. Aber vielleicht lösen die zuständigen Institutionen das Problem auch ganz schnell, bevor es zum Rechtsstreit kommt?

Text: NABU Landesverband Sachsen-Anhalt e. V.
Foto: pixabay