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Inklusion

Sachsen-Anhalt-News: Ostdeutschland – Inklusion auf Arbeitsmarkt scheitert an Politik der Firmen


veröffentlicht am Donnerstag, 1. Dezember 2022

• Inklusionsbarometer Arbeit zeigt: Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung stabilisiert sich wieder, 
  Folgen der Pandemie halten jedoch an
• Mehr als jedes vierte Unternehmen in Ostdeutschland besetzt keinen Pflichtarbeitsplatz für Arbeitnehmer*innen mit Behinderung
• Ostdeutschland im regionalen Vergleich mit dritthöchstem Anteil an Langzeitarbeitslosen mit Behinderung

Bonn/Sachsen-Anhalt. Die Folgen der Pandemie sind für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland noch immer spürbar: Zwar sinken die Arbeitslosenzahlen nach Jahren der Krise wieder, gleichzeitig verschärft sich jedoch die Langzeitarbeitslosigkeit. Nahezu die Hälfte aller arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung – ein Plus von über sechs Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Erholung und Fortschritt der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt scheitern dabei insbesondere an der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen. Zu diesem Ergebnis kommt das Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes, das in diesem Jahr zum zehnten Mal erscheint.

Ausgleichsabgabe statt Beschäftigung – Mehrheit der Unternehmen kauft sich frei

Etwa 34.000 Unternehmen in Ostdeutschland sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Während lediglich rund 38 Prozent dieser Unternehmen alle Pflichtarbeitsplätze besetzen, beschäftigen über 27 Prozent keinerlei Arbeitnehmer mit Behinderung – sie entziehen sich gänzlich ihrer Verpflichtung und zahlen stattdessen die volle Höhe der sogenannten Ausgleichsabgabe.
 
Die derzeitige Einstellungspolitik ist umso kritischer vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen von Unternehmen zu bewerten, die Menschen mit Behinderung beschäftigen: 80 Prozent geben laut einer bundesweiten repräsentativen Befragung im Rahmen der Studie an, keine Leistungsunterschiede zwischen Kollegen mit und ohne Behinderung wahrzunehmen. „Die Entwicklung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt hängt entscheidend von der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen ab. Doch trotz zunehmender Personalengpässe ignorieren viele das Potenzial von Arbeitnehmer*innen mit Behinderung“, so Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institutes. 

Gespaltene Situation: Stabile Arbeitsverhältnisse versus Langzeitarbeitslosigkeit

Einmal auf dem Arbeitsmarkt angekommen, bewertet das Gros der Angestellten mit Behinderung in Deutschland den Einsatz ihrer Fähigkeiten als adäquat: 89 Prozent bestätigen, dass sie ihren beruflichen Qualifikationen entsprechend eingesetzt werden. Gleichzeitig erweisen sich bestehende Arbeitsverhältnisse als stabil – im Jahr 2021 gab es bundesweit mit 19.746 so wenig Anträge auf Kündigung von Menschen mit Behinderung wie noch nie seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers. Gleiches gilt für Ostdeutschland mit 3.335 Anträgen. 

Sind Menschen mit Behinderung dagegen arbeitslos, zeigt sich ein anderes Bild: Bundesweit gelang im vergangenen Jahr lediglich drei Prozent die Rückkehr in den Arbeitsmarkt, während es bei Menschen ohne Behinderung sieben Prozent waren. Arbeitslose ohne Behinderung haben folglich eine mehr als doppelt so hohe Chance, eine Anstellung zu finden als Arbeitslose mit Behinderung. Dies verstärkt weiterhin die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit: In Ostdeutschland sind 15.973 potenzielle Arbeitnehmer – 46 Prozent der arbeitslosen Menschen mit Behinderung – mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Damit verzeichnet Ostdeutschland im regionalen Vergleich* den dritthöchsten Anteil an Langzeitarbeitslosen mit Behinderung. Der Wert liegt knapp unter dem Bundesdurchschnitt von rund 47 Prozent.

„Der in ganz Deutschland erneut gestiegene Anteil an langzeitarbeitslosen Menschen mit Behinderung ist alarmierend – dieser Missstand verfestigt sich mehr und mehr. Ohne eine drastische Verstärkung der Inklusionsbemühungen wird die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren kaum aufzuheben sein“, mahnt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch.

* Miteinander verglichen werden Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie die Region Ostdeutschland (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen).

Über das Inklusionsbarometer Arbeit 

Seit 2013 erstellt das Handelsblatt Research Institute in Kooperation mit der Aktion Mensch jährlich das Inklusionsbarometer Arbeit. Basierend auf den jüngsten statistischen Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Integrationsämter werden zehn Teilindikatoren ausgewertet. Diese geben Auskunft über den aktuellen Grad der Inklusion von Menschen mit Schwerbehinderung in den ersten Arbeitsmarkt. Ziel ist es, Ansatzpunkte zu identifizieren, mit deren Hilfe Inklusion vorangetrieben werden kann. In diesem Jahr wird die Analyse ergänzt durch eine repräsentative Online-Umfrage unter 800 abhängig beschäftigten Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung sowie durch eine telefonische Umfrage unter Personalverantwortlichen von 500 Unternehmen, die Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung beschäftigen.

Über die Aktion Mensch e.V.

Die Aktion Mensch ist die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sie mehr als fünf Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben. Ziel der Aktion Mensch ist, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung, Kindern und Jugendlichen zu verbessern und das selbstverständliche Miteinander in der Gesellschaft zu fördern. Mit den Einnahmen aus ihrer Lotterie unterstützt die Aktion Mensch jeden Monat bis zu 1.000 Projekte. Möglich machen dies rund vier Millionen Lotterieteilnehmer. Zu den Mitgliedern der Aktion Mensch gehören: ZDF, Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Paritätischer Gesamtverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Seit Anfang 2014 ist Rudi Cerne ehrenamtlicher Botschafter der Aktion Mensch. www.aktion-mensch.de 

Bildunterschrift: Inklusion auf dem Arbeitsmarkt scheitert an Einstellungspolitik der Unternehmen

Text: Aktion Mensch e.V.
Foto: Thilo Schmülgen