Löst das SARS-CoV-2-Virus bei Kindern und Jugendlichen einen
Diabetes mellitus aus? Dieser Vermutung ging unlängst eine Studie der
US-Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) nach, die
derzeit breit diskutiert wird1. Darin scheinen die Autorinnen und Autoren einen
Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und einer anschließenden
Diabeteserkrankung zu erkennen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) weist
auf gravierende methodische Schwächen der Studie hin, die die Studienergebnisse
relativieren.
Es seien weitere Studien über
einen längeren Zeitraum mit konsistenten und größeren Datenmengen erforderlich,
um Klarheit zu schaffen. Ein seit Jahren von der DDG gefordertes Nationales
Diabetesregister sowie eine elektronische Diabetesakte könnten auch hierzu
bessere Erkenntnisse liefern.
Der Bericht der US-Gesundheitsbehörde scheint auf den ersten
Blick alarmierend: Junge Patientinnen und Patienten mit COVID-19 erkranken
häufiger an Diabetes als Gleichaltrige, die sich nicht mit dem Coronavirus
angesteckt haben. Damit folgen die Autoren des CDC einem Verdacht, der auch in
anderen Studien bereits untersucht wurde. Doch wie valide sind die Daten aus
der aktuellen Erhebung?
Die amerikanische Behörde griff auf Daten von über 500.000 versicherten US-Patienten zurück und verwendete dabei zwei unterschiedliche
Gesundheitsdatenbanken. Entsprechend divers fiel das Ergebnis aus: Einmal
errechneten die Autoren ein um 166 Prozent erhöhtes Diabetesrisiko, aus der
anderen Datenbank ergab sich ein um 31 Prozent erhöhtes Risiko. „Das ist ein erheblicher Unterschied, der kein eindeutiges
Studienergebnis liefert“, konstatiert DDG Präsident Professor Dr.
med. Andreas Neu. „Darüber hinaus gibt es weitere methodische Mängel, die die Validität
der Untersuchung in Frage stellen.“
So unterscheidet die Arbeit nicht zwischen Diabetes Typ 1 und
Typ 2 – zwei wesentliche und sehr unterschiedliche Ausprägungen der
Stoffwechselerkrankung. „Ohne diese Trennung ist eine
Gesamteinschätzung kaum möglich: Wie viele der Kinder entwickeln einen Typ-1-,
wie viele einen Typ-2-Diabetes?“, fragt Neu, Kommissarischer Ärztlicher
Direktor der Abteilung für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie
und Sozialpädiatrie an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Tübingen. Ein detaillierter Blick auf die Formen des Diabetes im
Jugendalter ist besonders deshalb von Bedeutung, weil in den USA der
Typ-2-Diabetes in dieser Altersgruppe eine wesentlich größere Rolle spielt als
in Europa. Dies hängt unter anderem mit den Ernährungsgewohnheiten, aber auch
mit den genetischen Merkmalen der Bevölkerung zusammen. Daten aus den USA
lassen sich schon deshalb nicht einfach auf hiesige Verhältnisse übertragen.
Denn dass SARS-CoV-2 einen Diabetes Typ 1 auslösen kann, sei
grundsätzlich denkbar, lenkt Neu ein. Virusinfekte gelten seit langem als
Risikofaktor für einen Diabetes Typ 1. Besteht bereits eine Veranlagung für diese Stoffwechselerkrankung, könne ein Infekt diese triggern
und auslösen. „Dass dies jedoch innerhalb von 30 Tagen stattfindet, wie die
Studie zeigen will, ist sehr unwahrscheinlich. Wir sprechen hier von einer
mittel- oder langfristigen Entstehung dieses Krankheitsbildes“, ergänzt DDG Mediensprecher Professor Dr. med. Baptist
Gallwitz.
Die Untersuchung vernachlässigt zudem die ethnische
Zugehörigkeit, das Körpergewicht und einen möglicherweise bestehenden
Prädiabetes, ein Vorstadium des Diabetes Typ 2. „Das
sind wesentliche Risikofaktoren, die bei einer Erhebung nicht fehlen dürfen“, so Gallwitz. Und schließlich sind die absoluten Fallzahlen in
der Studie zu gering, um sich ein Gesamtbild der Situation zu machen. „Dass acht von 10.000 Kindern nach einer COVID-19-Infektion und
drei von 10.000 Kindern ohne vorherige Infektion einen Diabetes bekommen, ist
kein großer Unterschied“, kritisiert der stellvertretende Direktor
der medizinischen Klinik IV am Universitätsklinikum Tübingen.
Diese Datenlage sei aus Sicht der DDG kein Grund, Handlungskonsequenzen daraus
abzuleiten oder sich gar über die derzeitige Situation hinaus Sorgen
zu machen.
Eine aktuelle europäische Studie im Journal „Diabetes Care“ geht der Frage nach einem Zusammenhang
zwischen Corona-Infektion und Diabeteserkrankung ebenfalls nach. Bereits zu
Beginn der Pandemie untersuchten die Autoren auf Grundlage des DPV-Registers,
einem Diabetesregister aus dem deutschsprachigen Raum, ob Kinder und
Jugendliche ein erhöhtes Risiko für einen Diabetes Typ 1 haben.2 Während sie
zu dieser Zeit keinen signifikanten Unterschied feststellen konnten, sehen sie
jetzt nach zwei Jahren Pandemie eine deutliche Zunahme der Inzidenz.3 „Ein kausaler Zusammenhang lässt sich daraus nicht ableiten“, gibt Gallwitz zu Bedenken. Auch die Autoren selbst erachten
die Zunahme eher als einen indirekten Effekt. „Es müssen noch weitere Langzeitstudien mit verlässlichen Daten
durchgeführt werden.“ Das DPV-Register biete dafür eine solide und umfangreiche Basis. Auch ein von der DDG seit
Jahren gefordertes Nationales Diabetesregister sowie die elektronische Diabetes
Akte (eDA) würde künftige Auswertungen deutlich verbessern und erleichtern sowie
die Daten aus dem DPV-Register sinnvoll ergänzen.
Text / Foto: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)