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Quade Henriette NEU   LINKE

Magdeburg-News: Sicherheit für Allgemeinheit erhöhen – Waffenrecht nutzen und schärfen • Quade (Linke)



veröffentlicht am Samstag, 25. März 2023

Magdeburg. Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, betont Ende der Woche im Landtag:

„Am 8. März ereignete sich in Bad Lauchstädt ein Femizid. Ein 61-jähriger Mann erschoss mit einer seiner 8 legal als Sportschütze erworbenen Waffen seine ehemalige Partnerin, beschoss Polizeikräfte und erschoss schließlich sich selbst. Diese Tat macht fassungslos und sie bestürzt uns. Unsere Gedanken sind bei der getöteten Kerstin S. und unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen. Diese Tat ist – so erschütternd sie ist – leider kein Einzelfall. Statistisch ereignet sich jeden dritten Tag ein Femizid in Deutschland und dennoch ist das Thema nicht genug präsent. Ein Grund dafür dürfte sein, dass entgegen den Forderungen der Fachverbände, Beratungsstellen und Interventionsstellen, es noch immer keinen eigenen Straftatbestand für Femizide, also für Morde an Frauen, weil sie Frauen sind und die Täter eine bestimmte Vorstellung von Weiblichkeit haben, gibt.

Im Jahr 2021 gab es 113 solcher Femizide in Deutschland. Jährlich sind es in Sachsen-Anhalt etwa 10 Fälle, wobei diese hier nicht mal gesondert statistisch ausgewiesen wird. Noch immer ist dann, und das eine hängt mit dem anderen zusammen, vielfach die Rede von „Beziehungstat“, „Familientragödie“, „Eifersuchts- oder Trennungsdrama“. Im Fall von nichtdeutschen Tätern oft auch „Ehrenmord“.  Wer sich mit Femiziden beschäftigt, mit Opfern und mit Tätern, weiß: Die Täter eint weder Vorname, noch Glaube, weder Hautfarbe noch Bildungsstand, weder Altersgruppe, noch Milieu – was sie eint ist: Sie sind Männer. Und sie haben ein Bild von Weiblichkeit, davon wie eine Frau zu sein hat und wie sich zu benehmen hat und sie sehen sich in der Rolle, Abweichung zu bestrafen.

Die Istanbul-Konvention wird seit Jahren nicht konsequent umgesetzt, was nicht nur Betroffene und Hilfsstrukturen, sondern auch die Institutionen der EU und der Europäischen Rates eben solange kritisieren. Seit Jahren wissen wir, dass wir in Sachsen-Anhalt zu wenig Frauenhausplätze haben. Seit Jahren arbeiten die 4 Interventionsstellen Häusliche Gewalt im Land über dem Limit. Seit Jahren ist klar, dass die Hilfesysteme und Strukturen eine dauerhafte Finanzierung brauchen statt Projektfinanzierung, die noch dazu erheblichen Verwaltungsaufwand macht. Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es keinen operativen Opferschutz gibt.

Im Fall Bad Lauchstädt scheiterte Hilfe nicht an diesen Faktoren. Kerstin S. hat getan, was sie konnte, hat alle Schritte unternommen, die ihr zur Verfügung standen. Trotz der strukturellen Defizite hat das Hilfsnetzwerk gegriffen. Hilfe scheiterte nicht daran, dass die 2 Mitarbeiterinnen der Interventionsstelle, die für den Saalekreis, Mansfeld-Südharz, den Burgenlandkreis und Halle zuständig sind, schlichtweg woanders gebraucht wurden und in einem der anderen 80 bis 100 Fälle, die sie monatlich bearbeiten, unterwegs waren. Wirksame Hilfe scheiterte am eklatanten Versagen von Polizei und Waffenbehörde. Dieser Femizid hätte verhindert werden können und er hätte verhindert werden müssen.

Die Waffenbehörde hätte handeln müssen – alle Voraussetzungen für die Entwaffnung des Täters waren gegeben:  8 Tage nach der Tat, bei der 2 Menschen das Leben genommen wurde, aber rigoros jeden Fehler auszuschließen, lässt mich nicht nur moralisch ratlos zurück – es stellt auch die Frage, ob die Waffenbehörde glaubt in diesem Fall einfach dreist lügen zu können und es merkt niemand.

Es gab mehrere Fälle häuslicher Gewalt, die die Polizei auch als solche erkannt hat – schon vor drei Jahren hatte Kerstin S. ihren damaligen Mann wegen häuslicher Gewalt angezeigt. Soweit der Presse zu entnehmen wurde das Verfahren wie so viele dieser Verfahren eingestellt. Das Leiden der Frau ging also weiter. Wenige Wochen vor ihrem Tod erstattete Kerstin S. Anzeige gegen ihren Expartner, der versucht hatte, sie mit dem Auto zu rammen und aus ihrem Auto zerrte. Sie wies mehrfach auf die Bewaffnung des Mannes hin, der schon zu diesem Zeitpunkt mehrfach Täter war. Sie sagte, dass sie Angst hatte. Die angezeigten Taten waren eindeutig: Bedrohung, Nötigung, Stalking. Die Beamten nahmen die Anzeige auf. Sie schickten die Frau los, sich Hilfe zu suchen, was sie tat. Sie informierten die Waffenbehörde – wie genau müssen wir uns anschauen. Sie fanden es auch grundsätzlich angebracht, eine Gefährderansprache durchzuführen.

Statt die Instrumente der Gefahrenabwehr zu nutzen und die Waffen wegen der offensichtlich drohenden Gefahr sicherzustellen, endete ihr Einsatz an einer verschlossenen Tür. Wie kann das sein fragt man sich und erst recht, weil es eigentlich sehr klare Vorgaben für polizeiliches Handeln in genau diesem Fall gibt. Die Frage, warum hier so eklatant gegen die doch eindeutigen Dienstvorschriften, die ja nicht nur Vorschriften, sondern auch noch außerordentlich plausibel und nachvollziehbar sind, verstoßen wurde, muss ebenso aufgeklärt werden, wie die Frage, wieso der Schützenverein, dem der Täter seit 30 Jahren angehörte, offensichtlich nicht kontaktiert wurde.

Diesen Fragen müssen wir nachgehen und auch das fordern wir mit unserem Antrag.

Polizei und Waffenbehörde haben die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht genutzt, sind ihrer aus Waffengesetz, Polizeigesetz und Erlasslage des Innenministeriums resultierenden Verantwortung nicht gerecht geworden und haben damit im Kernbereich der ihnen übertragenen Aufgaben versagt. Das muss Konsequenzen haben. Neben der Aufarbeitung von offensichtlichen Fehlern, müssen wir auch kurzfristig und schnell auf die offensichtlich bestehenden Defizite in der Kenntnis der Rechtslage und des eigenen Handlungsauftrages bei Polizei und Waffenbehörden reagieren. Mit unserem Antrag fordern wir daher die Ministerin für Inneres und Sport auf, dafür Sorge zu tragen, dass künftig in Fällen von Bedrohung, Stalking, Tätlichkeiten und gleichzeitig vorliegenden Waffenerlaubnissen die Möglichkeiten des Entzuges der Erlaubnis und des Waffenverbotes umfassend, schnell und wirksam genutzt werden und zwar nicht als Kannbestimmung, sondern als Muss.

Wenn wir nicht bei Bestürzung stehen bleiben wollen, müssen wir uns nach unserer festen Überzeugung auch anschauen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Täter legal Zugriff auf Waffen haben konnte und das heißt die Frage nach dem Waffenrecht zu stellen.“


Text & Foto: DIE LINKE. Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt