veröffentlicht am Sonntag, 6. Oktober 2024
Magdeburg. Am 24. September veröffentlichte die Oberbürgermeisterin Simone Borris im Ratsinformationssystem die Drucksache DSO 464/24 (Einsparpotentiale im Magdeburger ÖPNV). Die oben genannte Drucksache nimmt den „deutlich erhöhten Ausgleichsbedarf“ bei den Magdeburger Verkehrsbetrieben in den Fokus. Sofort schrillen überall die Alarmglocken, bei #WirFahrenZusammen, der Allianz von ver.di und FridaysForFuture, hat sie zu heftigen Reaktionen geführt.
Benjamin Schladitz, Gewerkschaftssekretär von ver.di im Bezirk Sachsen-Anhalt Nord, kritisiert die Absicht der Oberbürgermeisterin, externe Beratungsunternehmen zu engagieren, anstatt die Expertise der Magdeburger Verkehrsbetriebe zu nutzen. „Im Bereich Verkehrsplanung,
Disposition, Werkstätten, Verwaltung und erst recht im Fahrdienst gibt es genügend Expertise um den Fahrzeug-, Material- und Personalfluss effizient zu steuern,“ meint der Gewerkschafter. Er betont die Notwendigkeit eines gut ausgebauten ÖPNV als echte Alternative zum Individualverkehr und fordert ein politisches Bekenntnis für bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Finanzierung. „Es braucht nun ein echtes politisches Bekenntnis. Dieses haben wir in der vergangenen Tarifrunde von Landes- und Kommunalpolitiker[...] durch die Unterzeichnung unserer Petition für bessere Arbeitsbedingungen und der dazugehörigen auskömmlichen Finanzierung des ÖPNV eingefordert. Nun ist es an der Zeit, diesen Worten
bzw. Unterschriften auch Taten folgen zu lassen.“
Der Anstieg des Ausgleichsbedarfs resultiere aus steigenden Energiepreisen sowie der Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um Krankenstand, Fluktuation und Fachkräftemangel zu bekämpfen. Schladitz hebt hervor, dass die Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe essenziell für die Mobilität der Bürger[...] sind. „Die Kolleg[...]en der MVB sorgen mit ihrer Arbeit täglich rund um die Uhr für unsere Mobilität. Der Weg zur Schule, zum
Arzt, zur Arbeit oder zu Veranstaltungen wäre ohne ihre Arbeit für viele Familien, junge Menschen und Senior[...]en der Stadt schlichtweg unmöglich.“
Paul Schmidt, ver.di-Fachbereichsleiter für den Verkehr in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergänzt: „Im ganzen Land beobachten wir gerade, wie die Verkehrswende systematisch vor die Wand gefahren wird. Wer guten Nahverkehr möchte, muss investieren. Deswegen werden wir auch zukünftig nicht damit aufhören, für gute Bedingungen im ÖPNV zu kämpfen.“
Bei den Beschäftigten werden schlechte Erinnerungen wach. Eine Restrukturierungswelle rollte zwischen 2005 und 2014 durch das Unternehmen. Der Betriebsratsvorsitzende Jens Wagner erinnert in einem Schreiben an die Belegschaft an den 19. August 2003, als etwa 450 Kollegen im AMO Kulturhaus den Ausführungen des damaligen Oberbürgermeisters Dr. Lutz Trümper folgten. Restrukturierung hieß es damals, damit gemeint Optimierung, Arbeitsverdichtung und Reduzierung zu Lasten der Beschäftigten, der Infrastruktur und unserer Fahrgäste. Wagner stellt klar: „Noch längst sind nicht alle Wunden der damaligen Optimierungswelle geschlossen, viele notwendige Investitionen schieben wir weiterhin vor uns
her.“
Ein Beschäftigter, der nicht genannt werden möchte, beschreibt es drastischer: „Die massive Sparpolitik der Stadt Magdeburg hat sich in den letzten Jahren spürbar auf unser Streckennetz ausgewirkt. An vielen Stellen muss heute langsamer gefahren werden, um den Leuten einen Rest von Sicherheit zu erhalten.“
Diese Stellungnahme bekräftigt Tom Bruchholz vom Fahrgastverband Magdeburg: „Die MVB wurden in den vergangenen Jahren kaputt gespart. Wer ernsthaft glaubt, man könne bei der MVB weiter sparen, hat nicht verstanden, in welch desolatem Zustand das Unternehmen schon heute ist. Der jetzige Fahrzeugmangel bei den Straßenbahnen führt schon jetzt zu erheblichen Ausfällen an Werktagen, über die sich die Fahrgäste zurecht beschweren. Der Sanierungsstau im Bestandsnetz ist erheblich und führt zu Langsamfahrstellen und Fahrtzeitverlängerungen.
Auch der Ausbau von barrierefreien Haltestellen kommt kaum vorran. Um das zu verbessern, braucht der ÖPNV in Magdeburg mehr Geld. Weitere Kürzungen hätten drastische Angebotsreduzierungen zur Folge. Der positive Trend bei den Fahrgastzahlen der MVB seit der Einführung des Deutschlandtickets darf nicht mit erneuten Kürzungen aufs Spiel gesetzt werden.“
Sparen kann Frau Boris an anderer Stelle. Statt viel Geld für ein teures Beratungsunternehmen auszugeben, sollte die sie die Experten vor Ort befragen. Dazu der Betriebsratsvorsitzende Jens Wagner: „Wir haben im Unternehmen viele Kollegen, die sich Gedanken machen, die sich einbringen und Prozesse anmahnen. Hören wir auf sie! Nehmen wir sie ernst! Wie wäre es denn gewesen, wenn die Oberbürgermeisterin zuallererst uns zum Gespräch ins Rathaus eingeladen hätte?“
„Noch weniger Geld für unsere Busse und Bahnen in Magdeburg? Das ist eine Zumutung sowohl für die Fahrgäste als auch die Beschäftigten. Es ist darüber hinaus ein Angriff auf die notwendige Verkehrswende und die öffentliche Daseinsvorsorge unserer Stadt.“ kommentiert Iris Buhro, Krankenschwester und aktiv bei #WirFahrenZusammen. Sie führt weiter aus: „ÖPNV kostet Geld und das darf er auch. ÖPNV muss sich nicht rechnen, er muss funktionieren. Dafür zahlen wir Steuern, genauso wie für unsere Krankenhäuser, Schulen, Kitas, Müllabfuhr und Verwaltung. Die grundlegende Versorgung muss sicher gestellt sein. Deshalb nehmen wir einen solchen Angriff nicht widerstandslos hin: Nicht als Fahrgäste und nicht als Klimabewegung. Wir müssen jetzt gemeinsam mit den Beschäftigten zusammenstehen.“
Das Bündnis #WirFahrenZusammen ruft gemeinsam mit dem Betriebsrat der MVB die Beschäftigten, Klimaaktivisten und Fahrgäste dazu auf, die Beratungen der Ausschüsse am 16. und am 25. Oktober und die Stadtratssitzung am 14. November mit Nachdruck zu begleiten.
Text: #WirFahrenZusammen Magdeburg/MVB
Symbolfoto: MVB/Peter Gercke