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Herzinsuffizienz bei Frauen 22.07f

Gesundheit-News: Herzinsuffizienz - Frauen werden schlechter versorgt

22. Juli 2022

Die chronische Herzinsuffizienz ist eine Krankheit, die bei Männern wie Frauen in etwa gleichen Anteilen vorkommt. Das ist aber dann schon fast die einzige Gemeinsamkeit. Frauen erhalten nicht dieselbe Qualität bei Diagnose, Therapie und Nachbehandlung wie Männer. Medizinisch begründbar ist das nicht.
Herzinsuffizienz ist, wenn der Herzmuskel nicht mehr schafft, was er eigentlich tun soll: Den Organismus ausreichend mit Blut zu versorgen – die Pumpleistung lässt nach. Laut der Versorgungsleitlinie für chronische Herzinsuffizienz gehört sie „in Deutschland zu den häufigsten Todesursachen: 2015 wurden 5,1% aller Todesfälle auf Herzinsuffizienz zurückgeführt.“ 60 Millionen Menschen sind weltweit betroffen; die Prävalenz ist bei Frauen wie Männern annährend gleich.

Es ist eine dieser Erkrankungen, deren Auftreten mit dem Alter stark ansteigt. Und eine, bei der bei möglichst früher Diagnose und Behandlung viele Komplikationen vermieden werden können. Und schließlich ist es eine dieser Erkrankung, bei der Frauen deutlich schlechter behandelt werden als Männer. Das war Thema des Online-Roundtables „Zusammen im Takt bleiben – Herzinsuffizienz ist auch Frauensache“, den das forschende Pharma-Unternehmen Boehringer Ingelheim auf die Beine gestellt hat.



Nur 3 Beispiele (s. Grafik): Frauen erhalten die Diagnose Herzinsuffizienz 6-mal später als Männer. Sie werden doppelt so häufig falsch diagnostiziert. Ihr Risiko, aufgrund der Diagnose depressive Störungen zu entwickeln, ist um 50 Prozent erhöht.

Herzinsuffizienz: Frau trifft auf ein System, das sie nicht ernst nimmt - Pamela Thomas: Geboren mit einem vergrößerten Herz. 
Pamela Thomas kam mit einem vergrößerten Herz zur Welt. Sie habe noch gut 5 Jahre zu leben, erklärten die Ärzt:innen damals ihren Eltern. Doch das Mädchen beißt sich durch, macht Sport und lebt ein „aktives Leben“, wie sie erzählt. 2008 dann der „Schock“: „Ich spürte eine Schwere im Brustkorb.“ Ihre Langstreckenläufe wurden immer mehr zur Kurzstrecke. „Ich hatte Wasserablagerungen in den Füßen und Beinen. Richtig Angst bekam ich, als ich regelmäßig ohnmächtig wurde.“ Sie traf auf einen Arzt, der nicht glauben wollte, dass eine 38-Jährige Herzprobleme haben könnte. Sie solle weniger Salz zu sich nehmen, erklärte er der Frau in Todesangst. „Ich fühlte mich nicht ernst genommen – und war vollkommen verunsichert. Auf dem Rückweg nach Hause habe ich einen hysterischen Weinkrampf bekommen.“ Schließlich kam sie in fachärztliche Hände, die sie richtig diagnostizierten: chronische Herzinsuffizienz. Es war eine Diagnose in letzter Sekunde. In einem Noteingriff mussten fast 2 Liter Flüssigkeit aus dem Brustkorb gesaugt werden. 

Pamela Thomas trifft auf ein System, das sie nicht ernst nimmt. Dabei ist sie eine starke, sehr selbstbewusste Frau. Herzspezialistin Dr. Martha Gulati überrascht das nicht. Ein Grund dafür ist fehlendes Bewusstsein für die Unterschiede, wie sich ein und dieselbe Krankheit bei Männern und Frauen unterschiedlich manifestieren kann. Die Präsidentin der American Society for Preventive Cardiology sagt: „Frauen sind in klinischen Studien immer noch unterrepräsentiert – das gilt vor allem für die Herzinsuffizienz.“ Weil gesunde Frauen besser Blut pumpen als Männer – sie haben eine bessere Ejektionsfraktion – wurden ihre Werte in der Vergangenheit oft für normal gehalten, obwohl sie bereits Symptome zeigten. Denn die Vergleichswerte bezogen sich auf Männer. „Aber es gibt zwischen den Geschlechtern auch bei den Symptomen Unterschiede. Frauen haben in der Regel mehr, werden aber kurioserweise öfter ohne Diagnose abgewiesen“, sagt sie.

Der Unterschied: „Sex“ versus „Gender“
Moderatorin und preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Angela Saini ergänzt: „Das ist nicht nur ein geschlechterspezifisches Problem.“ Es gehe nicht nur um das biologische („sex“), sondern auch um das soziale Geschlecht („gender“): „Es ist die Art und Weise, wie Menschen die Unterschiede zwischen Frauen und Männern wahrnehmen.“ Das bedeutet: Die Diagnose eines kranken Menschen findet auch im Kopf des medizinischen Gegenübers statt – und kann deshalb von sozialen und kulturellen Prägungen geleitet sein, die medizinische Faktoren überlagern können. Im schlimmsten Fall werden dann Krankheitssymptome fehlinterpretiert.

Sind die Frauen erstmal diagnostiziert, wird es nicht besser, weiß Dr. Gulati: „Frauen werden tendenziell ‚untertherapiert‘ und oft nicht nach den Leitlinien behandelt, die erwiesenermaßen das beste Werkzeug sind, um diese lebensbedrohliche Erkrankung zu kontrollieren.“ 

Dabei gibt es bei der medikamentösen Therapie von Herzinsuffizienz Fortschritte zu berichten. Mit der Entwicklung der so genannten SGLT-2-Hemmer, eigentlich sind das Antidiabetika, ist es gelungen, die Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz um etwa 25 Prozent zu senken. Doch dieser Fortschritt kann bei den Patientinnen nur ankommen, wenn sie richtig diagnostiziert und entsprechend behandelt werden.

Herzerkrankungen: Die Prävention schon in der Schule stärken 
Was muss passieren, damit sich die Situation ändert? Das European Heart Network (EHN), eine Dachorganisation europäischer Stiftungen und Patientenorganisationen, setzt auf Aufklärung und Stärkung der Gesundheitskompetenzen. Ihre Leiterin, Birgit Beger, sagt: „Herzinfarkte und Schlaganfälle werden oft als eine typische Männer-Krankheit gesehen. Es wird übersehen, wie sehr auch Frauen darunter leiden.“ Sie will erreichen, dass Frauen dieselbe Qualität bei Diagnose und Behandlung erhalten. Dazu muss es nach ihrer Meinung mehr gezielte Forschung geben. „Bis heute fokussieren sich klinische Studien auf weiße Männer mittleren Alters.“ Sie findet: Die Prävention von Herzinsuffizienz fängt schon früh an: Gesundes Essen, ausreichend Bewegung schon in Kindergarten und Schule – all das kann verhindern helfen, dass Menschen im Alter eine Herzschwäche entwickeln. Sie rät betroffenen Frauen bei Verdacht sich möglichst früh ärztliche Beratung zu suchen.

Gar keine oder spätere Diagnose, weniger Therapien nach medizinischen Standards, eine Nachsorge, die schlechter ist als sie sein sollte: Es ist das Geschlecht, das prägt, ob und wie Menschen mit Herzschwäche behandelt werden. Sich dagegen zu wehren lohnt sich, findet Patientin Pamela Thomas. Sie will anderen Mut machen: „Ich lebe ein gutes Leben.“

Text - Grafik / Foto: PHARMA FAKTEN / ©iStock.com/Tharakorn