Januar
2022 – Immer
mehr seltene Erkrankungen wie etwa die Leberentzündung Hepatitis D sind behandelbar. Die
Fortschritte, die die Forschung in den vergangenen Jahren erzielt hat, sind
enorm. Trotzdem gibt es für
die große Mehrheit der betroffenen Menschen nach wie vor keine
Therapiemöglichkeiten. Es gilt, weiterhin alles dafür zu tun, damit sich das ändert. Laut dem
US-amerikanischen Pharmaverband PhRMA sind über 700 Medikamente in der Entwicklung oder auf dem
Weg zur Zulassung.
Nur
rund 400 Menschen in der ganzen Europäischen Union (EU) leiden an der
Metachromatischen Leukodystrophie, eine erbliche Krankheit des Nervensystems.
Betroffene Kleinkinder können dadurch ihre Geh- und Sitzfähigkeit verlieren;
vielen droht innerhalb weniger Jahre der Tod. Ungefähr 18.000 EU-Bürger:innen leben mit
Achondroplasie, einer genetisch bedingten Kleinwuchsform. 2.250 sind von
primärer Hyperoxalurie Typ 1 betroffen: Es ist eine Stoffwechselkrankheit, die
die Nieren schädigt und zur Insuffizienz des Organs führen kann. So unterschiedlich diese drei seltenen
Krankheiten auch sind – sie haben
folgendes gemeinsam: Sie können mit Medikamenten, die im vergangenen Jahr neu
in die Versorgung in Deutschland gekommenen sind, gezielt behandelt werden.
Orphan
Drugs: Komplexe Forschung
Dass
das auch für immer
mehr Menschen mit anderen seltenen Krankheiten Realität wird, daran arbeiten
Forscher:innen in Universitäten, Instituten und der Industrie weltweit. „Es gibt Hoffnung am Horizont“, meint PhRMA. Denn das
Wissen über seltene Krankheiten auf
molekularer und genetischer Ebene wächst. „Das
treibt die Entwicklung innovativer Therapien […] voran“
(s. Grafik). In der Pipeline sind zum Beispiel Gentherapien für Menschen mit Hämophilie – bei ihnen ist die Blutgerinnung gestört.
Trotzdem
ist die Forschung und Entwicklung nach wie vor eine große Herausforderung: Laut
PhRMA dauert der Prozess –
von klinischer Prüfung bis
Zulassung – im
Durchschnitt vier Jahre länger als bei Krankheitsbildern, die nicht selten
sind. Das liegt unter anderem an der „komplexen
Biologie, Heterogenität und fortschreitenden Natur“ vieler „rare
diseases“. Oft gibt es noch große
Wissenslücken, was zum Beispiel die
zugrundeliegenden Ursachen angeht. Zudem stehen Wissenschaftler:innen vor der
Aufgabe, klinische Studien mit Proband:innen aufzubauen; es gibt jedoch nur
wenige Betroffene – und die
sind oftmals über viele
Regionen und Länder verteilt.
Orphan
Drug-Status: Klare Kriterien
Um
die Forschung im Bereich der rund 8.000 seltenen Erkrankungen zu fördern,
wurden sowohl in den USA als auch in Europa in der Vergangenheit Gesetze
verabschiedet. So gibt es etwa seit dem Jahr 2000 eine EU-Verordnung, die kurz
gesagt die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Refinanzierung für die Unternehmen verbessert – ohne die hohen Anforderungen
an klinische Erprobung und Zulassung herunterzuschrauben.
Grundlage
bildet der sogenannte Orphan Drug-Status, der unter anderem reduzierte Gebühren bei der
Arzneimittelbehörde EMA in Aussicht stellt.
Han
Steutel, Präsident vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa),
erklärt in einem Beitrag für
den „AMNOG-Report“ der Krankenkasse DAK-Gesundheit: „Die Kriterien für
die Anerkennung eines Orphan Drug-Status in der EU sind klar festgelegt. So
muss die betreffende Erkrankung lebensbedrohlich oder schwerwiegend und
zugleich selten sein. Es dürfen
nicht mehr als fünf von
10.000 Personen davon betroffen sein. Eine weitere Voraussetzung ist, dass es
keine zugelassenen Therapiealternativen gegen diese Krankheiten gibt.
Anderenfalls muss ein Orphan Drug gegenüber
einem bereits zugelassenen Arzneimittel in dieser Indikation einen deutlichen
Therapievorteil aufweisen. Daraus ergibt sich folgerichtig, dass der
Zusatznutzen eines Orphan Drugs als belegt gilt.“
129
Orphan Drugs in der EU
Laut
vfa stehen den Patient:innen in der EU derzeit 129 Orphan-Medikamente zur Verfügung. „Hinzu kommen 67 Medikamente gegen seltene
Krankheiten, die den Orphan-Status nicht mehr besitzen, weil er
verordnungsgemäß nach zehn Jahren abgelaufen ist oder von der Firma zurückgegeben wurde.“ Der vfa weiß: „Obwohl es in den letzten
Jahren im Markt deutlich mehr Orphan Drugs geworden sind, entfallen auf sie pro
Jahr nicht mehr als 4,4 Prozent der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen.“
Die
gezielte Förderung von Orphan Drugs sei eine „Erfolgsgeschichte“, betont Steutel. „Sie sollte weiterhin Bestand
haben, um den Zugang zu Medikamenten für
seltene Erkrankungen in Deutschland und anderen Ländern zu verbessern. Alles
andere würde am Ende weniger Forschung
bedeuten und das in einem Gebiet, wo der medizinische Bedarf für die Patienten und Patientinnen anhaltend hoch
ist.“
Text
/ Grafik: Pharma Fakten e.V.