Wenn
der Betroffene längst den Kinderschuhen entwachsen, die Krankheit aber
geblieben ist Dossier über die Störung und ihre Behandlungsmöglichkeiten
Mu?nchen, 30. Januar 2020. Viele denken, dass Aufmerksamkeitsstörungen
spätestens mit der körperlichen Reife von alleine verschwinden. Doch ADHS geht
nicht unbedingt mit dem Alter. Es sind rund drei Prozent der Deutschen ab 18
Jahren von ADHS betroffen.
Zwar
können Symptome schon im Kindesalter aufgetreten sein, doch wenn damals nicht
die Diagnose gestellt wurde, steht das für betroffene Erwachsene an. Je eher,
je besser, denn ADHS ist für Menschen ab 18 Jahren gut behandelbar: Es gibt
inzwischen geeignete Leitlinien sowie Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente
speziell für Erwachsene. Damit kann der Alltag mit fast der gleichen
Lebensqualität gemeistert werden. Ohne Unterstützung wird das Leben jedoch
schwierig.
Tom
K. ist 43 Jahre alt. Als Kind war er unbeliebt, die Lehrer kamen selten mit ihm
zurecht. Er galt als hoch musikalisch und mit einem sehr guten Gedächtnis
gesegnet. Als Erwachsener lenkt ihn am Arbeitsplatz jede Kleinigkeit ab, wenn
er nicht für sich sein kann. Die anderen nennen ihn liebevoll „Schussel“ oder
„zerstreuter Professor“, denn er vergisst ständig Termine oder sucht seine
Schlüssel. Ungeduldig und mit Flüchtigkeitsfehlern erledigt er seine Aufgaben.
Dummerweise klinkt er sich manchmal auch bei wichtigen Besprechungen innerlich
aus und verpasst damit notwendige Anweisungen. Nur Kaffee - oder Cola - Konsum
in hohem Maße macht ihn erstaunlicherweise ruhig. Seine Ehefrau weiß ganz
genau, für was er sich interessiert: Spannende Themen verfolgt er intensiv, bei
allem anderen ist er rasch mit den Gedanken irgendwo, bloß nicht bei der Sache.
Sie
liebt an ihm seine Begeisterungsfähigkeit und die originellen Ideen. Zugleich
frustriert sie seine emotionale Absturzfähigkeit wegen – in ihren Augen –
Kleinigkeiten zutiefst. Tom geht zum Arzt, findet Dank ihm einen Experten für
ADHS bei Erwachsenen. Seit Tom die Ursachen seines Verhaltens versteht, geht es
ihm schon besser. Stetig geholfen hat ihm die begleitende Verhaltenstherapie,
damit er seinen Alltag besser bewältigen kann.
Der
Kurs zu progressiver Muskelentspannung nach Edmund Jacobson hilft ihm, Distanz
zu seinen eigenen Gefühlen zu entwickeln. Damit wird er Stress-resistenter und
wird von seinen eigenen Emotionen nicht mehr so gebeutelt. Seine Frau und er
sind im Umgang miteinander wieder viel entspannter. Mit dem Chef konnte er auf
der Arbeit einen neuen EinzelArbeitsplatz durchsetzen und hat für sich
Selbstorganisationsregeln gefunden, damit er aufmerksamer bei der Sache sein
kann.
Wie
äußert sich eine ADHS bei Erwachsenen Die zentralen Symptome einer ADHS sind
bei Erwachsenen die gleichen wie bei Kindern und Jugendlichen:
Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Desorganisiertes Verhalten,
starke Gefühlsschwankungen, mangelnde Kontrolle von Gefühlen gehören mit zum
Spektrum. Die schönen Seiten davon sind überdurchschnittliche Intelligenz,
Kreativität, Neugierde, rasche Auffassungsgabe und extrem hohe
Motivationsfähigkeit. Allerdings sind die Symptome bei Erwachsenen oft
vielfältiger und anders ausgeprägt als bei Kindern, so dass die Störung
schwerer zu erkennen ist.
So
geht die Hyperaktivität mit zunehmendem Alter häufig zurück oder zeigt sich
nicht mehr so deutlich. Weiterhin können die Symptome von Person zu Person sehr
unterschiedlich sein. So steht bei manchen Betroffenen die Unaufmerksamkeit im
Vordergrund. Bei anderen ist es eher die Hyperaktivität und Impulsivität,
wieder andere Betroffene erleben alle drei Kernsymptome etwa gleich stark
ausgeprägt. Ein wesentliches Merkmal einer ADHS ist, dass die Symptome zu
deutlichen Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen führen: Im
Privatleben, in der Ausbildung oder im Berufsleben. Dadurch sinkt trotz
Begabung oft das eigene Selbstwertgefühl.
Viele
Menschen mit einer ADHS haben weitere psychische Erkrankungen: Depressionen,
Suchtprobleme, Angst- und Schlafstörungen. Wie wird die Diagnose einer ADHS bei
Erwachsenen gestellt? Wer vermutet, an einer ADHS zu leiden, sollte sich zur
diagnostischen Abklärung an einen erfahrenen Experten wenden. Um vorschnellen
und fehlerhaften ADHS-Diagnosen vorzubeugen, ist die Erfahrung des
Diagnostikers mit erwachsenen ADHS Patienten von großer Bedeutung. Geeignete
Ansprechpartner sind ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten sowie
Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, für psychosomatische Medizin oder
für Neurologie. Außerdem gibt es Spezialambulanzen für Erwachsene mit ADHS.
Die
Diagnostik wird in der Regel ambulant durchgeführt. Ein ADHS
Selbstbeurteilungsbogen wird ausgefüllt. Weitere Erkrankungsfelder oder
mögliche Störungen werden mitgeprüft. Ein Rückblick in die Kindheit und Jugend
ist unbedingt erforderlich. Selbst wenn es damals keinerlei Diagnostik gab, ist
dies rückblickend beispielsweise mit der Wender-Utah-Rating-Scale möglich. Wie
wird eine ADHS bei Erwachsenen behandelt? Die Behandlung erfolgt je nach
Vorgeschichte und aktuellen Symptomen zumeist ambulant mittels multimodaler
Therapie: Eine Kombination von Psychotherapie, Maßnahmen der Aufklärung
(Psychoedukation) und gegebenenfalls Medikamenten wird im Zusammenspiel von
spezialisierten Ärzten sowie Therapeuten und Patient festgesetzt. Vor allem der
Leidensdruck des Alltags spielt in der Einschätzung eine große Rolle.
Ziel
der Therapie ist es, die ADHS-Symptome zu verringern, Probleme im Alltag und in
Beziehungen zu reduzieren und so auch das Selbstwertgefühl des Patienten zu
stärken. Gleichzeitig sollen weitere psychische Störungen wie Depressionen,
Ängste oder eine Suchtproblematik verringert werden. Bei der Therapie ist eine
aktive Mitarbeit des Patienten wichtig. Er soll lernen, selbst Verantwortung
für sein psychisches Wohlbefinden zu übernehmen und aktiv an Veränderungen
mitzuarbeiten. Die Einführung von Routinen (gleicher Ort für Dinge) und
Selbstorganisation von Aufgaben und Terminen (sichtbare Zettel an einer Stelle
oder eine zentrale App) stabilisiert den Alltag. Die Schaffung von ruhigem
Arbeitsumfeld in Beruf und zuhause wird die Konzentration fördern.
Zum
Online-Bereich ADHS: https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/adhs-erwachsene/artikel/
Zum
Online-Test ADHS: https://www.therapie.de/psyche/info/test/weitere/adhs-bei-erwachsenen/
Über
Pro Psychotherapie e.V.
Der
Verband Pro Psychotherapie e.V. setzt sich für eine bessere Versorgung von
Menschen mit psychischen Problemen, verständlichere Informationen über
Psychotherapie und den Austausch unter Fachleuten ein. Der Verband wurde 2004
in Mu?nchen gegründet. Das Online-Portal therapie.de richtet sich an
Hilfesuchende, interessierte Laien und an Experten, die fachlichen Austausch
suchen. Gut 10.000 qualifizierte Psychotherapeuten, Psychologen und
psychotherapeutische Heilpraktiker bieten dort ihre Hilfe an.
Text:
Verband Pro Psychotherapie e.V.