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Gesundheit-News: WIdOmonitor - Kindergesundheit in der Pandemie: Soziales Gefälle wird sichtbar

30. September 2022

Foto: Zwei Mädchen beim Homeschooling. Ein Mädchen sitzt auf der Couch und liest in einem Schulbuch, im Hintergrund sitzt ein weiteres Mädchen an einem Esstisch vor einem Laptop und hat Kopfhörer auf.
(ams). Homeschooling, Quarantäne, eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten und Kontakte: Wie haben sich die pandemiebedingten Belastungen auf die Gesundheit von Kindern ausgewirkt? 
Dieser Frage geht der aktuelle WIdOmonitor zu den "Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern" nach. Dazu hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut im Februar und März 2022 insgesamt 3.000 Mütter von drei- bis zwölfjährigen Kindern befragt.

Die Mehrheit der befragten Mütter ist der Meinung, dass ihre Kinder gesundheitlich relativ gut durch die Pandemie gekommen sind. Während nur 16 Prozent Verschlechterungen der körperlichen Gesundheit des Nachwuchses bemerkt haben, berichtet aber mehr als jede dritte Mutter, dass die seelische Gesundheit der Kinder gelitten habe. Überdurchschnittlich häufig betrifft dies Familien mit einem niedrigen Haushaltseinkommen.

Alleinerziehende und Geringverdienerinnen besonders belastet
Bei den Antworten auf die Fragen zur seelischen Gesundheit der Heranwachsenden zeigt sich ein deutliches soziales Gefälle: Während der Coronapandemie haben vor allem Alleinerziehende und Mütter mit einfacher Bildung und geringem Haushaltseinkommen eine Verschlechterung der seelischen Gesundheit ihrer Kinder bemerkt. Das sagen deutlich mehr Geringverdienerinnen (51,0 Prozent) und Alleinerziehende (44,1 Prozent) als der Durchschnitt mit 34,9 Prozent. 

Generell wird die aktuelle seelische Gesundheit des eigenen Kindes im Vergleich zur körperlichen Gesundheit deutlich schlechter bewertet. 59,4 Prozent schätzen den seelischen Zustand ihrer Kinder als gut oder sehr gut ein. Auch hier fällt die Bewertung der Mütter mit einfacher Bildung oder geringem Haushaltseinkommen  sowie  von Alleinerziehenden deutlich schlechter aus.

"Wie ein roter Faden zieht sich durch fast alle Ergebnisse unserer Untersuchung, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien deutlich stärker durch die Pandemie belastet waren", sagt Klaus Zok, Studienleiter im Forschungsbereich Gesundheitspolitik und Systemanalysen des WIdO.

Niedrigere gesundheitsbezogene Lebensqualität
Die Ergebnisse deckten sich mit denen anderer Studien und Befragungen, wonach bei Kindern von Alleinerziehenden eine niedrigere gesundheitsbezogene Lebensqualität und mehr psychische Probleme beobachtet wurden. Viele Kinder konnten seit Beginn der Pandemie die Angebote der (vor)schulischen Bildung, Betreuung und Erziehung nur selten oder unregelmäßig nutzen. "Nun gilt es, die pandemiebedingten Belastungen zu bewältigen und Versäumtes nach- oder aufzuholen", so Zok.

Mütter wünschen sich Unterstützung
Die meisten befragten Mütter wünschen sich hierfür Unterstützung durch Sportvereine, gefolgt von Schulpsychologinnen und Sozialarbeitern. Mütter mit niedrigem sozialen Status formulierten überdurchschnittlich häufig Bedarfe hinsichtlich Nachhilfe- und Lerngruppen. Nur ein knappes Drittel wünscht sich keinerlei Unterstützung. Überdurchschnittlich hoch ist dieser Anteil in der Gruppe, die mutmaßlich einen höheren Bedarf an Unterstützung hat, also bei Müttern mit einfacher Bildung und geringem Haushaltseinkommen. "Das lässt befürchten, dass bestehende Versorgungsangebote ausgerechnet diejenigen Kinder nicht adäquat erreichen, die ein sehr hohes Risiko für pandemiebedingte Belastungen und mögliche Folgeerkrankungen haben", so Klaus Zok. Viele dieser Angebote seien darauf ausgerichtet, dass Eltern die Initiative ergreifen und Hilfe für ihre Kinder aktiv nachfragen.

Starke Belastung durch eingeschränkten Kindergarten- und Schulbetrieb
Die Mehrheit der befragten Mütter hat sich vor allem durch den während der Pandemie eingeschränkten Kindergarten- und Schulbetrieb stark oder sehr stark belastet gefühlt (65,2 Prozent), insbesondere die Alleinerziehenden mit 69,6 Prozent. Es zeigen sich auch hier deutliche soziale Unterschiede: So gaben Mütter mit niedrigem Haushaltseinkommen sowie Alleinerziehende häufiger starke oder sehr starke Belastungen an. 
Dies ist offenbar nicht ohne Folgen für das Familienleben geblieben. Fast jede zweite Mutter berichtet von einer Zunahme familiärer Meinungsverschiedenheiten seit Pandemiebeginn. Das betrifft sowohl kleinere Probleme, wie nervige Diskussionen, als auch gravierende Vorfälle, wie lauten Streit oder Handgreiflichkeiten. Auch hier zeigten sich jeweils höhere Werte bei Geringverdienerinnen, Alleinerziehenden und bei Müttern, die mit ihren Kindern auf weniger als 20 Quadratmeter Wohnfläche je Person leben.

Kinder sind reizbarer geworden
Und wie hat sich der Coronastress nun ganz konkret im Verhalten der Kinder und Jugendlichen bemerkbar gemacht? Mehr als jede zweite Mutter benennt Auffälligkeiten, die mit den pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen in Verbindung stehen könnten. Reizbarkeit und Aggressivität stehen dabei mit Abstand an erster Stelle.  Rund ein Viertel der Befragten gibt Antriebsmangel, Ängstlichkeit, gedrückte Stimmung sowie starke Unruhe an. Generell findet jede fünfte Mutter, dass ihr Nachwuchs seit dem Beginn der Pandemie reizbarer und aggressiver geworden ist. Als ungünstige Auswirkungen der Pandemiemaßnahmen auf ihre Kinder geben die Mütter vor allem einen übermäßigen Medienkonsum und Bewegungsmangel an.

Reimann: Schulschließungen verhindern
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, fordert angesichts der Ergebnisse, Kinder aus sozial benachteiligten Familien zu unterstützen und sie in ihren Lebenswelten - beim Sport, in der Schule oder im Kindergarten - direkt zu erreichen. Schulschließungen sollten verhindert werden; sie gelten als das "allerletzte Mittel".

Aber: Zusammenhörigkeitsgefühl ist gewachsen
Aber die Pandemie hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Familien. So berichten mehr als zwei Drittel der Mütter, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie gewachsen sei. "Die positiven Pandemie-Effekte wie der gestärkte familiäre Zusammenhalt oder das Entdecken neuer, gemeinsamer Hobbys wurden jedoch in sozial schwächeren Familien deutlich seltener wahrgenommen", so Zok.


Text / Foto: AOK Bundesverband