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Schlaganfall 27

Gesundheit-News: Notfallmedikament für Schlaganfall-Patienten - Hirnblutung stoppen

27. November 2020

Foto: Prof. Christian Nolte von der Berliner Charité.

November 2020 – Jedes Jahr erleiden in Deutschland rund 250.000 Menschen einen Schlaganfall – jeder Dritte davon stirbt innerhalb eines Jahres an den Folgen. Zwei von drei Patienten, die einen Schlaganfall überleben, tragen bleibende Schäden davon. Für einen kleinen Hoffnungsschimmer könnte jetzt ein neues Notfallmedikament sorgen, das in bestimmten Fällen eingesetzt werden kann, wenn es nach einem Schlaganfall zu einer Hirnblutung gekommen ist.

Prof. Christian Nolte arbeitet am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB), das zur dortigen „Charité – Universitätsmedizin“ gehört. Wir haben mit ihm über den Einsatz dieses Notfallmedikamentes ebenso gesprochen wie über Kritikpunkte und die aktuelle Studienlage.

Herr Professor Nolte, jedes Jahr erleidet einer von 328 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Was passiert, wenn diese Patienten bei Ihnen in der Notaufnahme ankommen?

Prof. Christian Nolte: Wenn Patienten mit der Verdachtsdiagnose eines Schlaganfalls in die Notaufnahme gebracht werden, gilt es zunächst die Verdachtsdiagnose zu erhärten und von Differentialdiagnosen abzugrenzen. Dazu sind Anamnese, Fremdanamnese, körperliche Untersuchung, meistens eine Blutentnahme und in der Regel ein Bild vom Kopf notwendig. Das Bild vom Kopf zeigt uns, ob der Schlaganfall durch ein verstopftes Blutgefäß (eine Ischämie) oder durch ein geplatztes Blutgefäß (eine Hirnblutung) verursacht wurde. Wenn ein akut aufgetretener Gefäßverschluss vorliegt, prüfen wir, ob und wie wir diesen Gefäßverschluss wiedereröffnen können.

Die Patienten werden von der Notaufnahme auf eine Spezialstation aufgenommen; eine sogenannte Stroke Unit. Dort werden die Patienten bestmöglich behandelt damit die Schäden gering bleiben und eine Sekundärprävention etabliert werden kann.

Wie groß ist nach einem Schlaganfall das Risiko einer Hirnblutung?

Prof. Nolte: Das Risiko einer Hirnblutung liegt nach einem Schlaganfall im Bereich weniger Prozentpunkte. Es hängt von Faktoren wie der Größe und der Lage des vorangegangenen Schlaganfalls ab, vom Vorliegen sogenannter Mikroblutungen, von Begleiterkrankungen wie etwa Bluthochdruck, aber auch von der Art der Akutbehandlung und der Sekundärprävention.

Sekundärprävention?

Prof. Nolte: Wer einen Schlaganfall erlitten hat kann grundsätzlich auch eine zweiten bekommen – das wollen wir verhindern, diese Vorgehensweise nennen wir Sekundärprävention.

Was unternehmen Sie gegen eine Hirnblutung?

Prof. Nolte: Wenn eine Hirnblutung auftritt wird der Blutdruck kontrolliert und wenn nötig gesenkt. Wenn die Patienten zuvor eine orale Antikoagulation erhalten haben, also einen Blutverdünner, dann sollte diese Blutverdünnung wieder normalisiert werden. Die Art der Normalisierung hängt vom Medikament ab, mit dem die Blutverdünnung verursacht wurde. Wenn dafür bestimmte Faktor-Xa-Inhibitoren eingesetzt wurden, kann das Medikament Andexanet alpha gegeben werden.

Können Sie kurz erklären, wie dieses Notfallmedikament wirkt und welchen Patienten es hilft?

Prof. Nolte: Andexanet alpha hebt die Wirkung von Faktor Xa-Inhibitoren auf. Dadurch wird die Blutgerinnung normalisiert. Es ist für den Einsatz bei Patienten zugelassen, die eine schwerwiegende Blutung unter den beiden Faktor Xa-Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban erlitten haben. Zu den schwerwiegenden Blutungen gehören fast immer auch die Hirnblutungen.

Sie selbst haben bereits einige Patienten mit diesem so genannten Antidot behandelt. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Prof. Nolte: Wir haben mit Andexanet alpha sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Zubereitung und Anwendung waren unproblematisch. Die Patienten haben das Medikament ganz überwiegend gut vertragen.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat Andexanet alpha zugelassen, aber das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG und der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA sehen keinen Zusatznutzen. Teilen Sie diese Auffassung?

Prof. Nolte: Das IQWIG und der G-BA sind in ihrer Beurteilung an strenge rechtliche Auflagen gebunden. Bisher konnte Andexanet alpha noch nicht zeigen, dass die Patienten, die mit einer schwerwiegenden Blutung mit Andexanet alpha behandelt wurden, im Anschluss an die Behandlung weniger schwere Defizite davontrugen oder eine höhere Lebensqualität hatten als Patienten, die eine optimierte Standardtherapie erhielten. Eine solche Studie wird derzeit durchgeführt – das war auch die Auflage, unter der die EMA das Medikament zugelassen hat.

Was sagen die medizinischen Fachgesellschaften und wie bewerten Sie deren Haltung?

Prof. Nolte: Die Deutsche Schlaganfall Gesellschaft (DSG) hat sich schriftlich geäußert und sieht mit Andexanet alpha eine zusätzliche therapeutische Option in der Behandlung schwerer Blutungen, die bei den Faktor Xa Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban aufgetreten sind. Die zugelassene Therapieoption kann die Behandlung mit Rivaroxaban und Apixaban sicherer machen. Andexanet alpha kann entsprechend dieser Stellungnahme durch Kollegen mit ausreichender neurovaskulärer Fachexpertise bei intrakraniellen Blutungen eingesetzt werden, also bei Blutungen innerhalb des Schädelknochens. Die DSG unterstützt dabei ausdrücklich die Durchführung weiterer Studien zur Klärung der Wirksamkeit von Andexanet alpha im Vergleich zu Alternativtherapien.

Die Europäische Schlaganfallorganisation (ESO) hat bereits 2019 eine Empfehlung veröffentlicht. Hier heißt es, dass die Gabe von Andexanet alpha bei erwachsenen Patienten mit intrazerebraler Blutung, die unter der Medikation mit Rivaroxaban oder Apixaban aufgetreten sind, empfohlen wird. Auch die ESO empfiehlt die Durchführung weiterer randomisierter Studien, da die Evidenzlage noch gering ist.

Wie geht es nun weiter? Wie beurteilen Sie die Zukunftsaussichten von Andexanet alpha?

Prof. Nolte: Wir sind zum einen gespannt auf die Vergleiche aus Registerdaten, bei denen (teils historische) Daten von Patienten mit intrakraniellen Blutungen und unterschiedlichen Therapien miteinander verglichen werden. Diese Vergleiche können schon Hinweise auf die Wirkung von Andexanet alpha auf die bleibenden Behinderungen und die Lebensqualität geben. Dabei kommen statistische Verfahren zur Anwendung, um die Gefahr einer Datenverfälschung zu minimieren. Entscheidend wird aber das Ergebnis der randomisierten ANNEXA-I Studie sein. Sie vergleicht Patienten mit intrakranieller Blutungen mit und ohne Gabe von Andexanet alpha. Wir dürfen auf diese Ergebnisse sehr gespannt sein.



Text / Foto: Pharma Fakten e.V. / René Reiche