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EuGH zur Einziehung von Erträgen aus Straftaten


Der EuGH hat einige Bestimmungen der Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union erläutert und entschieden, dass diese Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach ein Vermögensgegenstand eingezogen werden darf, der angeblich einer anderen Person als dem Straftäter gehört, ohne dass diese Person die Möglichkeit hat, im Einziehungsverfahren die Stellung eines Beteiligten zu erlangen.

Zwei bulgarische Staatsangehörige (im Folgenden: Beteiligte) wurden strafrechtlich verurteilt, weil sie sich im Februar 2019 in Varna (Bulgarien) ohne Genehmigung im Besitz hoch gefährlicher Betäubungsmittel zum Zweck ihres Verteilens befanden. Nach dieser strafrechtlichen Verurteilung beantragte die Okrazhna prokuratura – Varna (Regionalstaatsanwaltschaft Varna, Bulgarien) beim Okrazhen sad Varna (Regionalgericht Varna, Bulgarien) die Einziehung der bei Durchsuchungen in den Wohnungen der Beteiligten entdeckten Geldbeträge.

In der mündlichen Verhandlung vor diesem Gericht erklärten die Beteiligten, dass die beschlagnahmten Geldbeträge ihren jeweiligen Familienangehörigen gehörten. Letztere nahmen nicht an dem Verfahren vor dem genannten Gericht teil, da das nationale Recht dies nicht zulässt. Das Gericht lehnte es ab, die Einziehung dieser Geldbeträge anzuordnen, weil es der Auffassung war, dass durch die Straftat, derentwegen die Beteiligten verurteilt worden seien, keine wirtschaftlichen Vorteile erzielbar seien. Zudem wurden die Beteiligten, obwohl es Beweise dafür gibt, dass sie mit Betäubungsmitteln handelten, wegen dieser Straftat weder verfolgt noch verurteilt. Die Regionalstaatsanwaltschaft Varna focht dieses Urteil mit der Begründung an, dass das vorlegende Gericht bei der Anwendung der einschlägigen nationalen Bestimmungen die Richtlinie 2014/42 nicht berücksichtigt habe (1).

Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, den Gerichtshof zu befragen, ob ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegen muss, damit die Richtlinie 2014/42 zur Anwendung kommt, wie weit die in dieser Richtlinie vorgesehene Einziehung geht und welchen Umfang das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf hat, das der dritten Person zuerkannt wird, die behauptet oder von der behauptet wird, dass sie Eigentümerin eines der Einziehung unterliegenden Vermögensgegenstands sei. Mit seinem Urteil äußert sich der Gerichtshof somit zu Fragen von entscheidender Bedeutung für die Klarstellung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/42 und der Auslegung einiger ihrer Schlüsselbegriffe.

Würdigung durch den Gerichtshof

Als Erstes stellt der Gerichtshof fest, dass der Besitz von Betäubungsmitteln zum Zweck ihres Verteilens auch dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/42 fällt, wenn sich alle mit der Begehung dieser Straftat verbundenen Tatumstände auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränken. Nach dem AEU-Vertrag (2) fällt eine solche Straftat nämlich in die in diesem Vertrag genannten Bereiche besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension. Folglich ist der Unionsgesetzgeber befugt, Mindestharmonisierungsvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in diesem Bereich zu erlassen, wobei diese Befugnis auch die Fälle erfasst, in denen sich die mit der Begehung einer konkreten Straftat verbundenen Tatumstände auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränken.

Als Zweites sieht die Richtlinie 2014/42 nach Auffassung des Gerichtshofs nicht nur die Einziehung von Vermögensgegenständen vor, die einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen, der aus der Straftat herrührt, derentwegen die Person, die diese Straftat begangen hat, verurteilt wurde, sondern sie sieht auch die Einziehung der Vermögensgegenstände des Straftäters vor, die nach Überzeugung des mit der Sache befassten nationalen Gerichts aus anderen Straftaten stammen. Solche Einziehungen müssen jedoch unter Wahrung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien (3) erfolgen und unterliegen der Voraussetzung, dass die Straftat, deren der Täter für schuldig befunden worden ist, zu den dort aufgezählten Tatbeständen gehört (4) und dass diese Straftat direkt oder indirekt zu einem wirtschaftlichen Vorteil führen kann.

Für die erstgenannte Art der Einziehung ist es erforderlich, dass der Ertrag, dessen Einziehung beabsichtigt wird, aus der Straftat herrührt, für die die rechtskräftige Verurteilung der Person erfolgt ist, die diese Straftat begangen hat.

In Bezug auf die zweitgenannte Fallgestaltung, die erweiterte Einziehung (5), stellt der Gerichtshof zum einen klar, dass die Mitgliedstaaten bei der Feststellung, ob eine Straftat zu einem wirtschaftlichen Vorteil führen kann, die Vorgehensweise der Straftäter berücksichtigen können, beispielsweise, ob die Straftat im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder in der Absicht, regelmäßige Gewinne aus Straftaten zu ziehen, begangen wurde (6). Zum anderen muss die Überzeugung des nationalen Gerichts, dass die Vermögensgegenstände aus Straftaten stammen, auf den Umständen des Falls, einschließlich der konkreten Tatsachen und verfügbaren Beweismittel, beruhen (7). Dafür kann dieses Gericht u. a. das Missverhältnis zwischen dem Wert der in Rede stehenden Vermögensgegenstände und dem rechtmäßigen Einkommen der verurteilten Person berücksichtigen (8).

Was schließlich die Dritteinziehung (9) betrifft, so setzt sie den Nachweis voraus, dass eine verdächtigte oder beschuldigte Person Erträge auf eine dritte Person übertragen hat oder eine dritte Person solche Erträge erworben hat und diese dritte Person davon Kenntnis hatte, dass mit dieser Übertragung oder diesem Erwerb die Einziehung vermieden werden sollte.

Als Drittes entscheidet der Gerichtshof, dass die Richtlinie 2014/42 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach ein Vermögensgegenstand eingezogen werden darf, der angeblich einer anderen Person als demjenigen gehört, der die Straftat begangen hat, ohne dass diese Person die Möglichkeit hat, im Einziehungsverfahren die Stellung eines Beteiligten zu erlangen. Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass alle Personen, die von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen betroffen sind, darunter dritte Personen, die behaupten oder von denen behauptet wird, sie seien die Eigentümer der Vermögensgegenstände, deren Einziehung beabsichtigt ist, zur Wahrung ihrer Rechte über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Verfahren verfügen (10). Zudem sieht die Richtlinie mehrere besondere Garantien vor, um die Wahrung der Grundrechte solcher dritten Personen zu gewährleisten. Zu diesen Garantien zählt das Recht auf Rechtsbeistand während des gesamten Einziehungsverfahrens (11), das offensichtlich den Anspruch auf rechtliches Gehör dieser dritten Personen in diesem Verfahren umfasst, einschließlich des Rechts, ihr Eigentumsrecht an den von der Einziehung betroffenen Vermögensgegenständen geltend zu machen (12).

  • 1 Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. 2014, L 127, S. 39).
  • 2 Art. 83 A bs. 1 AEUV.
  • 3 Art. 8 Abs. 8 der Richtlinie 2014/42.
  • 4 Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2014/42.
  • 5 Art. 5 der Richtlinie 2014/42.
  • 6 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/42.
  • 7 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/42.
  • 8 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42.
  • 9 Art. 6 der Richtlinie 2014/42.
  • 10 Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42.
  • 11 Art. 8 Abs. 7 der Richtlinie 2014/42.
  • 12 Art. 8 Abs. 9 der Richtlinie 2014/42.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 189/2021 v. 21.10.2021