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TV-Tipp-News: Der ewige GAU? 10 Jahre Fukushima • ZDFinfo • ab 23.10 Uhr • Dokumentation

26. April 2022

Am 11. März 2021 jährt sich zum zehnten Mal die Tsunami- und Atomkatastrophe von Japan, die bis zu 20.000 Menschen das Leben und rund 160.000 Japaner ihre Heimat kostete. Die Folgen der drei Kernschmelzen in den Reaktorblöcken des Atomkraftwerks von Fukushima-Daiichi sind noch immer nicht beherrschbar. Der Super-GAU traf das fortschritts- und technologiegläubige Land bis ins Mark.

Die Gefahren sind nicht gebannt
Noch immer prägt das Trauma das öffentliche Leben in Japan, es wird jedoch von offizieller Seite weitgehend verdrängt. Die Dokumentation zeichnet mit zum Teil exklusivem Material nach, was damals vor Ort tatsächlich geschehen ist und wie knapp die Menschheit einer noch größeren Katastrophe entging.

Die Autoren ziehen eine Bilanz nach zehn Jahren und fragen, was Japan, aber auch die Welt gelernt hat aus dem größten Nuklearunfall seit Tschernobyl. Denn die Gefahren, dass sich ein solcher GAU wiederholt, sind nicht gebannt.
Wie ist die Situation heute auf dem Gelände des Kraftwerks, in der Präfektur Fukushima, in dem Land, das nach wie vor auf die Atomkraft setzt - wie so viele andere Staaten? Wie steht es um die Zukunft der Atomenergie weltweit - zehn Jahre nach Fukushima?

Status Quo: Ein Super-GAU endet nie
Von Stefan Brauburger, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte

Am augenfälligsten sind die immer noch unüberschaubaren Folgen der Katastrophe auf dem Gelände der Nuklearanlage: In endlosen Reihen stehen die inzwischen weit mehr als 1.000 Tanks, in denen das mit Tritium verseuchte Wasser gesammelt wird, mit denen die geschmolzenen Reaktorkerne bis heute gekühlt werden müssen. Über eine Million Kubikmeter sind es bislang. Im kommenden Jahr wird die Grenze der Kapazität der Tanks und des Geländes erreicht sein. Dann wird man endgültig entscheiden müssen, ob man das belastete Wasser in den Pazifik ablässt oder es zum Verdampfen bringt, was aber zehnmal so teuer wäre.

2031, zum 20. Jahrestag des Unglücks, will man das Problem gelöst haben. Denn dann braucht man den Platz, um mit der Beseitigung der Trümmer der Reaktorblöcke beginnen zu können. Auch die Bergung des nach wie vor strahlenden Brennstoffs in den drei havarierten Blöcken wird bis mindesten 2031 andauern.

Regierung und Behörden suggerieren der eigenen und der Weltbevölkerung derweil Normalität. Bis die COVID-19-Pandemie im vergangenen Jahr zur Absage der Olympischen Spiele zwang, plante die Regierung von Premierminister Shinzo Abe unter dem Motto "Reconstruction Olympics" die Spiele auch als Propagandaveranstaltung für ein Japan nach dem GAU. Mit olympischen Wettkämpfen zum Beispiel in der japanischen Nationalsportart Baseball im Azuma-Stadion in Fukushima Stadt und dem Start des Fackellaufs in dem vormals evakuierten Gebiet.

In diesem Jahr will Tokyo einen erneuten Anlauf nehmen, die Spiele in den größeren Zusammenhang einer neuen Normalität zu setzen. Und dies ungeachtet aller Proteste im In- und Ausland.

Die Menschen von Fukushima und ihre Chronistin

Natsuko Katayama ist Reporterin bei der angesehenen liberalen Tageszeitung "Tokyo Shimbun". In den neun Jahren seit der Reaktorkatastrophe hat sie immer wieder mit Menschen gesprochen, die mit der Bewältigung des GAUs beschäftigt waren und ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert haben. Die Ergebnisse ihrer jahrelangen Recherchen und Interviews sind jetzt als Buch in Japan erschienen. "Das Tagebuch der Nukleararbeiter von Fukushima" musste bereits kurz nach seiner Veröffentlichung nachgedruckt werden.

In den Gesprächen, die sie im Film führt, geht es um den Zorn und die Frustration der Menschen, die in den Jahren nach der Katastrophe oft in Unkenntnis der wahren Risiken und unter teils unwürdigen Bedingungen an der Eindämmung der Katastrophe und der Sicherung des Landes vor den unabsehbaren Folgen beteiligt waren. Es geht um die Angst der Arbeiter vor der unsichtbaren Strahlung, vor Krankheit und Krebs und der Frage, ob eine entsprechende Erkrankung am Ende überhaupt als Folge der Arbeit an der Nuklearanlage anerkannt wird. Es geht um die Versuche der Regierung und des Kraftwerkbetreibers TEPCO, die Arbeit in Fukushima mehr und mehr zu "normalisieren", die Schutzmaßnahmen zu senken, die Löhne zu kappen. Es geht darum, dass Arbeiter, die Interviews gaben, von Entlassung bedroht waren und weiterhin sind. Aber auch um Patriotismus und Aufopferungsbereitschaft, über die Angst oder den Mut, in die Heimat zurückzukehren und die Fragen, was das alles mit dem Selbstverständnis Japans und den Olympischen Spielen zu tun hat.

Ausstieg? Die Zukunft der Atomenergie

Die Katastrophe von Fukushima schien nach dem Super-GAU von Tschernobyl endgültig das Ende des Atomzeitalters einzuläuten. Zumindest in Deutschland, das zuerst und zunächst als einziges Land den Ausstieg aus der Atomkraft verkündete. Jetzt, zehn Jahre später, folgt die Schweiz. Und der Rest Europas, der Rest der Welt? In Zeiten der Klimakatastrophe scheint Atomkraft – trotz aller Risiken – wieder eine Option zu werden. Die Nuklearwaffenmächte werden aus der Technologie ohnehin nicht aussteigen und aufstrebende oder kommende Super- oder Großmächte wie China, Indien oder Brasilien sehen in der Kernenergie nach wie vor die einzige Option, ihren steigenden Energiebedarf zu sichern. In Osteuropa, der Türkei und in Großbritannien werden neue Meiler gebaut und geplant, selbst in Erdbebengebieten, die, wie Fukushima gezeigt hat, völlig ungeeignet als Standorte für Kernkraftwerke sind.

Für die Zukunft träumen Forscher von Minireaktoren, von angeblich billiger Kernkraft aus recycelten abgebrannten Brennstäben oder der sauberen Kernfusion. Dies ist die andere Bilanz, zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima.


Text / Foto: ZDF