Pharma Fakten-Grafik - Neurodegenerative
Erkrankungen – Über 260 Medikamente in Entwicklung
November 2021 – Morbus Alzheimer, Multiple Sklerose oder Amyotrophe Lateralsklerose: Diese Krankheiten mögen sehr verschieden sein. Sie eint aber eins: Sie sind „neurodegenerativ“. Das heißt: Letztlich kommt es bei den Betroffenen zu Schädigungen von Nervenzellen. Die Folgen erstrecken sich – je nach Krankheit – von anfänglicher Vergesslichkeit, über Lähmungen, bis hin zu frühzeitigem Tod. Der medizinische Bedarf ist groß.
Laut US-amerikanischem Pharmaverband PhRMA sind über 260
Medikamente gegen 29 verschiedene neurodegenerative Erkrankungen in klinischer
Entwicklung oder im Zulassungsprozess.
Es trifft vor allem Menschen in ihren
mittleren bis höheren Lebensjahren: Das Risiko, eine Diagnose wie Morbus
Parkinson oder Alzheimer zu erhalten, steigt mit dem Alter drastisch an. Daher
gehen Fachleute angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung davon aus,
dass die Zahl der neurodegenerativen Krankheitsfälle „in die Höhe schnellen
wird“, schreibt PhRMA in einem Bericht. „Neue Therapien braucht es heute mehr
denn je“.
Das ist einfacher gesagt als getan. Neurodegenerative Erkrankungen sind wissenschaftlich gesehen eine besonders große Herausforderung. Darauf deutet das Beispiel der Alzheimer-Krankheit hin: Von 1998 bis Mai 2021 hat PhRMA 198 Arzneimittelkandidaten in klinischen Studien gezählt, die letztlich kein grünes Licht bekommen haben. „Während derselben Zeit wurden nur vier Medikamente zugelassen, um die Symptome der Erkrankung zu behandeln.“ Im Juni 2021 dann ein Meilenstein: Die US-amerikanische Behörde FDA gibt das „Go“ für das erste Arzneimittel, das direkt in den Krankheitsprozess eingreifen kann und nicht nur symptomatisch wirkt. Laut PhRMA sind 85 weitere Wirkstoffkandidaten gegen die Alzheimer-Krankheit in der klinischen Forschung und Entwicklung oder auf dem Weg zu einer möglichen Zulassung.
MS, SMA: Medizinischer Fortschritt
Auch in anderen Therapiegebieten tut sich
einiges: PhRMA spricht zum Beispiel von „gigantischen Fortschritten“ im Bereich
der Multiplen Sklerose (MS) und meint bestimmte krankheitsmodifizierende
Therapien. Sie können „irreversible Schäden […] verhindern“ und das
Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Im Pharma Fakten-Interview bestätigte
jüngst Professor Dr. Andreas Schmitt, Medizinischer Direktor beim
Biotech-Unternehmen Biogen: „Dank moderner Therapieoptionen brauchen
Patientinnen und Patienten keine Angst mehr vor dem Rollstuhl zu haben, denn
die Krankheitsaktivität kann unter kontinuierlicher Therapie weitestgehend
ausgebremst werden. Das ist ein Riesenunterschied zu früher – und das Ergebnis
jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung.“ Laut PhRMA sind nun 33 weitere
Wirkstoffkandidaten gegen MS in den Firmen-Pipelines. Denn noch lässt sich die
Krankheitsaktivität „nicht komplett eliminieren“ und manche Betroffene sprechen
nicht oder nicht ausreichend auf die verfügbaren Therapieoptionen an.
Einen großen Sprung hat auch die Behandlung
der Spinalen Muskelatrophie (SMA) gemacht – innerhalb kürzester Zeit ging es
von null Medikamenten auf drei verfügbare Optionen. Kinder, die von der
schwersten Verlaufsform betroffen sind, erreichen ohne Therapie meist nicht die
ersten motorischen Entwicklungsschritte und werden in der Regel maximal 24
Monate alt. Vor rund fünf Jahren gelang ein Durchbruch: Das erste Arzneimittel
wurde gegen die schwere Erkrankung zugelassen. Ab da ging es Schlag auf Schlag:
Es folgten eine Gentherapie sowie ein Medikament, das oral von Zuhause aus
genommen werden kann. Weitere Kandidaten sind in der Entwicklung (s. Grafik:
„Erbkrankheiten“).
Neurodegenerative Erkrankungen verstehen
„Viele der 261 sich in der Entwicklung
befindlichen Arzneimittel repräsentieren das wachsende Verständnis von den
zugrundeliegenden Mechanismen der Neurodegeneration“, meint PhRMA. Das heißt:
Das Wissen, wie und warum Nervenzellen bei den betroffenen Patient:innen Schädigungen
erfahren, nimmt zu. Es ist die Grundlage für medizinischen Fortschritt: Denn
das macht es möglich, „neue Wege und wissenschaftliche Ansätze zu erforschen,
um diese komplexen Erkrankungen zu behandeln.“ So ist heute zum Beispiel
bekannt, dass das Protein „Semaphorin 4D (SEMA4D)“ eine entscheidende Rolle in
den Entzündungsprozessen der Huntington-Krankheit spielt. Die tödliche
Huntington-Krankheit „führt zum Versagen der Nervenzellen im Gehirn“, so PhRMA.
Wissenschaftler:innen arbeiten unter anderem an einem Medikament, das an SEMA4D
bindet und dessen Aktivität hemmt. Die Hoffnung ist, dass es so den Untergang
der Nervenzellen verlangsamen oder verhindern kann.
Text / Grafik: Pharma Fakten e.V.