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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

FDP / LINDNER-Interview: Erst Soli abschaffen, dann die Steuern reformieren

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der „Funke Mediengruppe“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Jochen Gaugele und Philipp Neumann:

Frage: Die erste Runde der Sondierungen ist vorbei – und es hakt gewaltig. Wird das noch was mit Jamaika, Herr Lindner?

Lindner: Das kann man gegenwärtig noch gar nicht sagen. Es hakt auch nicht sonderlich. Die erste Phase der Sondierungen war so angelegt, dass wir die Dinge, die uns trennen, nur sortieren und notieren. Es gab noch keine Versuche, größere Konsenspakete zu schnüren. Das steht jetzt an.

Frage: Der FDP-Chef in Bayern nennt Jamaika eine „Totgeburt“.

Lindner: Der Kollege hat an den Verhandlungen nicht teilgenommen und urteilt nur auf der Basis der Medienberichterstattung. Die Chancen für Jamaika stehen 50:50.

Frage: Sie haben den Grünen vorgeworfen, ihre Flüchtlingspolitik sei ein „Konjunkturprogramm für die AfD“. Ist das der vorherrschende Ton am Verhandlungstisch?

Lindner: Ich halte nichts von diplomatischen Nebelkerzen. Die Bundestagswahl hat eine deutliche Sprache gesprochen. Wer verhindern will, dass die politische Landschaft sich auf Dauer ändert, muss Ordnung in der Einwanderungspolitik schaffen. Die Grünen hatten uns zuvor übrigens in die Nähe von Donald Trump gerückt, ohne dass wir in Tränen ausgebrochen wären. Wir werden nämlich trotzdem weiter Zweifel anmelden an der physikalischen Machbarkeit grüner Energiepolitik. Denn es ist nichts gewonnen, wenn wir Kohlekraftwerke in Deutschland abschalten, um anschließend Kohlestrom aus Polen zu importieren oder Kernenergie aus Frankreich. Wir erwarten kommende Woche von den Grünen Vorschläge, die in der Praxis umsetzbar sind.

Frage: Erleben Sie Unterhändler, die eher zum Scheitern als zum Gelingen dieser Koalition beitragen wollen?

Lindner: Nein, so jemanden sehe ich nicht. Aber es gibt unterschiedliche Rollen. Peter Altmaier, dem Chef des Bundeskanzleramts, merkt man an, dass er sich schon lange mit den Grünen beschäftigt hat. Als stark nehme ich Alexander Dobrindt wahr. Er hat als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe enorm an politischem Gewicht gewonnen. Ich habe großen Respekt vor Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Sie haben vielleicht die schwierigste Aufgabe von allen, denn sie verhandeln einerseits mit Union und FDP, andererseits mit den Flügeln ihrer eigenen Partei. Bemerkenswert ist, dass der öffentlich als moderat geltende Robert Habeck den eigenen Verhandlungsführern dabei oft in die Parade fährt.

Frage: Sie haben Kanzlerin Merkel gar nicht erwähnt. Prägt sie die Verhandlungen nicht?

Lindner: Die Frau Bundeskanzlerin steuert den Prozess und sucht den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Positionen.

Frage: Genügt das denn?

Lindner: Ich bin nicht eingeweiht in die Verhandlungstaktik der CDU-Vorsitzenden. Angela Merkel hat bei vielen EU-Gipfeln gezeigt, dass sie über eine besondere taktische Klugheit in Verhandlungsprozessen verfügt. Klar muss aber sein: Eine Koalition wird nicht deshalb entstehen, weil am Ende alle erschöpft sind und ein Zwang zur Einigung suggeriert wird.

Frage: Was ist die größte Hürde für Jamaika?

Lindner: Für die FDP kommt es auf drei Punkte an. Erstens: die Bildung. Wir brauchen mehr gesamtstaatliche Verantwortung, wenn wir die Qualität steigern, digitale Methoden in die Praxis bringen und das lebensbegleitende Lernen stärken wollen. Das Kooperationsverbot muss fallen, der Bund muss Bildungsstandards setzen und kontrollieren. Wenn die Länder sich aus Eigeninteresse dagegen sperren, bekommen sie vom Bund zukünftig eben keinen Euro mehr. Geld nur gegen Qualität, schlage ich vor.

Frage: Daran wird die Regierungsbildung nicht scheitern.

Lindner: Das sagen Sie bitte der CSU. Das zweite Thema ist die Einwanderung. Wir brauchen ein Zuwanderungsrecht nach kanadischem Modell. Es muss offener sein für Qualifizierte – und klarer gesteuert für Menschen, die um humanitären Schutz nachsuchen. Drittens ist uns wichtig, die Bürger finanziell zu entlasten. Der Solidaritätszuschlag muss in dieser Wahlperiode abgeschafft werden, weil das den Menschen zugesagt worden ist und es ökonomisch klug ist. Es besorgt mich aber, dass davon besonders höchste Einkommen profitieren. Das gefährdet die Akzeptanz der Maßnahme. Schon vor der Wahl habe ich deshalb gesagt, dass wir nach der Abschaffung des Soli eine Reform der Einkommensteuer angehen sollten, die eine Entlastung der Mitte der Gesellschaft von der Krankenschwester bis zum Ingenieur erreicht. Aber erst nach und unabhängig von der Abschaffung des Soli, denn für eine Steuerreform braucht man die Zustimmung von Bundesrat und SPD.

Frage: Müssen Sie dafür Finanzminister werden?

Lindner: Wir haben das Finanzministerium nicht für uns reklamiert. Ich hebe allerdings die Bedeutung dieses Ministeriums hervor und fordere eine andere Finanzpolitik.

Frage: Wie wichtig ist Ihnen die schwarze Null, der ausgeglichene Staatshaushalt?

Lindner: Die schwarze Null ist unverzichtbar. Alles andere wäre vernichtend für die Reputation Deutschlands in Europa. Deshalb gibt es für alle Ausgabenwünsche eine Grenze. Sie müssen sich aus den steigenden Einnahmen des Staates speisen, mit denen wir allerdings auch den Solidaritätszuschlag kompensieren müssen. Auf der anderen Seite sind für uns die Gesetze und Subventionen der großen Koalition nicht unberührbar. Die müssen alle zurück in die Montagehalle gezogen werden. Die Subvention für Elektroautos zum Beispiel ist unwirksam und sozial unausgewogen.

Frage: Was wird aus der Mehrwertsteuer?

Lindner: Daran hat sich in den letzten Jahren kaum jemand gewagt. Ich halte es für eine lohnende Aufgabe, eine überparteiliche Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer einzurichten. Daran sollten sich Vertreter aller Parteien, der Gewerkschaften und Sozialverbände sowie kluge Ökonomen beteiligen. Sie sollten einen Vorschlag machen für ein faires Mehrwertsteuersystem, das von seinen Widersprüchen befreit ist. Diese Steuervereinfachung darf nicht zu einer stärkeren Belastung führen, sondern muss aufkommensneutral erfolgen.

Frage: Können Sie sich auch Steuererhöhungen vorstellen?

Lindner: International operierende Konzerne wie Apple erzielen hierzulande hohe Gewinne, tragen aber wenig zur Finanzierung des Gemeinwesens bei. Das kann nicht sein. Eine höhere Besteuerung von Apple und anderen ist technisch schwer umzusetzen, muss aber angegangen werden.

Frage: Wenn das Finanzministerium der FDP zufällt – übernehmen Sie es selbst oder überlassen Sie es Ihrem Stellvertreter Wolfgang Kubicki?

Lindner: Ich bin zum Fraktionsvorsitzenden der FDP, Wolfgang Kubicki zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt worden. Diese Aufstellung entspricht der Erwartung, dass wir vier Jahre Opposition machen. Was in einem Regierungsfall der FDP einträte, vermag ich jetzt gar nicht zu sagen.

Frage: Als Rechtsanwalt vertritt Kubicki einen Mandanten, der dafür verantwortlich ist, dass dem Staat mehrere Milliarden Euro Steuern entgangen sind: den früheren Finanzberater Hanno Berger, der ein Hauptakteur bei den skandalösen Cum-Ex-Geschäften war. Ist das vereinbar mit dem Amt des Finanzministers?

Lindner: Für Minister ist vorgeschrieben, dass sie daneben keine weitere berufliche Tätigkeit haben. Ich weise aber darauf hin, dass der Anwaltsberuf für den Rechtsfrieden in unserem Land von großer Bedeutung ist. Jeder Angeklagte darf und muss verteidigt werden. Dass Herr Kubicki auch schwierige Mandate in Wirtschaftsstrafsachen übernommen hat, kann ich nicht kritisieren.

Frage: Finanzminister wäre in diesem Zusammenhang schon ein besonderes Regierungsamt ...

Lindner: Nein. Sie unterstellen eine Befangenheit, die es nicht gibt. Ein Anwalt sagt nicht, was legitim ist. Er begründet, was legal ist. Er macht keine Gesetze, er wendet sie an.

Frage: Von Neuwahlen würde vor allem die AfD profitieren. Sind die Jamaika-Verhandler allein deswegen zum Erfolg verdammt?

Lindner: Wieso würde die AfD profitieren? Das glaube ich überhaupt gar nicht. Wir haben jedenfalls keine Angst vor Neuwahlen. Wir könnten in diesem Fall schließlich sagen, dass uns unsere Überzeugungen wichtiger sind als Dienstwagen.

Frage: Der amtierende SPD-Chef Martin Schulz hat vor Neuwahlen auch keine Angst. Er sagt, die Verantwortung „müssten Frau Merkel, Herr Seehofer, Herr Lindner und Herr Özdemir tragen“.

Lindner: Ich übernehme Verantwortung für die Regierung, wenn die Inhalte stimmen – und Verantwortung für die Opposition, wenn ich meine Zusagen nicht hinreichend durchsetzen kann. Und wenn es notwendig wird, ziehe ich auch wieder über die Marktplätze und mache Wahlkampf. Ob ausgerechnet Herr Schulz mit seiner Partei von Neuwahlen profitiert, würde sich herausstellen. Eines jedenfalls mache ich nicht ...

Frage: ... das wäre?

Lindner: Ich habe auf den ganzen Plakaten hier gehangen. Ich bin vier Jahre herumgereist. Ich habe die FDP nicht zurück ins Parlament geführt, um in einer Regierung ohne eigene Akzente zu arbeiten. Wofür wir eingetreten sind, muss sich spürbar im Programm wiederfinden. Wenn das nicht möglich ist, gehen wir in die Opposition. Dafür nehme ich jeden Shitstorm in Kauf.

Frage: Wie viel Zeit haben Sie noch für Verhandlungen?

Lindner: Die FDP hat alle Zeit der Welt. Wenn die andern ungeduldig werden, kann ich es nicht ändern. Wir unterschreiben erst, wenn wir sagen können: Das ist verantwortbar. Es macht keinen Sinn, eine Regierung zu bilden, die nicht stabil ist und dauernd streitet.