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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

FDP / LINDNER-Interview: Wir haben uns für den harten Weg entschieden

21. April 2018

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der Neuen Osnabrücker Zeitung (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde.

Frage: Herr Lindner, Sie nehmen Klagen junger Frauen über „gelegentlich onkelhafte Sprüche“ bei den Liberalen ernst – so war vor Kurzem zu lesen. Muss doch die Quote her, die Freidemokratinnen mehrheitlich bekämpfen?

Lindner: Solche Sprüche gibt es überall. Faire Bedingungen zwischen Frauen und Männern sind daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also auch eine der FDP. Klar ist: Wir haben bei Wahlen einen deutlich höheren Zuspruch durch Frauen als wir weibliche Mitglieder haben. Da wollen wir besser werden. Quoten waren in meinen Augen nur oberflächliches Kurieren an Symptomen. Aber ich bin bereit zu lernen, auch wenn wir am Ende vielleicht nur mit neueren Argumenten dagegen sind. Gewundert habe ich mich über Reaktionen konservativer Kommentatoren, die schon das Nachdenken verurteilt haben. Um es offen zu sagen: Wenn die Grünen die Aufweichung ihrer Gentechnik-Beschlüsse erwägen, dann lassen wir uns auch keine Denkverbote verhängen.

Frage: Was müsste Ihre Partei besser machen, damit mehr als 22 Prozent der Mitglieder weiblich sind?

Lindner: Wir haben ein politisches Angebot, das für Frauen attraktiv ist. Wir buchstabieren Bildungs- und Familienpolitik so innovativ wie keine andere Partei. Von der Reform des lästigen Bildungsföderalismus bis zur Reproduktionsmedizin sind wir die beste Adresse. Selbstbestimmte Frauen, die eine moderne Gesellschaftspolitik wollen, die zugleich aber übertriebene Gender-Ideologie ablehnen, die sprechen wir an. Jetzt geht es darum, hier Brücken zu bauen, damit nicht nur am Wahltag das Ja zur FDP kommt, sondern auch beim Mitgliedsausweis.

Frage: Entlädt sich auf dem FDP-Bundesparteitag im Mai Groll oder auch Resignation, weil Sie aus Jamaika ausgestiegen sind?

Lindner: Wie kommen Sie denn darauf? Die Wähler und Mitglieder der Freien Demokraten haben Grund zum Stolz, dass wir uns für den harten Weg entschieden haben. Allen Widerständen zum Trotz sind wir unseren Grundsätzen treu geblieben, weil wir dem „Weiter so“ von Frau Merkel und den linken Vorstellungen der Grünen nicht zur Macht verhelfen wollten. Seit unserer Entscheidung hat es Bewegung gegeben. Alle reden plötzlich über Generationenwechsel und neue Programme. Wir konzentrieren uns darauf, dass es spätestens 2021 einen wirklichen Aufbruch geben kann. Wir wollen die Menschen von ärgerlicher Bürokratie und finanzieller Überlastung befreien, wir kämpfen für eine wirkliche Bildungsrevolution und freie Bahn für neue Technologien, wir arbeiten an einer Einwanderungspolitik, die die Spaltung unseres Landes überwindet.

Frage: In der Russland-Politik scheint die FDP gespalten – oder betrifft die Spaltung nur Sie und ihren Vize Kubicki?

Lindner: Diese Spaltung gibt es nicht. Die Freien Demokraten wollen eine neue Russlandpolitik, die uns Kooperation zurückbringt. Denken Sie an meinen Vorstoß zur Krim im letzten Jahr. Der Weg zur Entspannung führt über eine Kombination: Einerseits Konsequenz, damit die Hardliner im Kreml unsere Entschlossenheit kennen. Das betrifft etwa die Reaktion auf Cyber-Angriffe. Andererseits muss es neue Dialogangebote geben, damit Putin Schritt für Schritt aus der Sackgasse herauskann. Man kann ihn etwa wieder zu den Gipfeln der führenden Wirtschaftsnationen einladen. Wolfgang Kubicki will in einem Detail weitergehen als die Mehrheit unserer Partei: Der Westen soll Sanktionen ohne Gegenleistung aufheben. Das halte ich für keinen klugen Schachzug, weil es dafür keine Mehrheit in Europa gibt und Putin angesichts eines gespaltenen und schwachen Westens keinen Grund hätte, seine Politik zu ändern.

Frage: Stichwort Große Koalition: Kann der vom früheren SPD-Chef Martin Schulz formulierte Europa-Teil des Koalitionsvertrags von Union und SPD eingestampft werden, weil zwischen Schwarz und Rot ein Zerwürfnis aufbrach?

Lindner: Ich halte es für falsch, wenn unter Europafreundlichkeit verstanden wird, Schulden, Finanzen und Risiken zu vergemeinschaften. Wer die Eigenverantwortung der EU-Staaten abschafft, steigert die Fliehkräfte und spielt den Berlusconis in die Hände, die mit unhaltbaren Finanzversprechen auf Stimmenfang gehen. Wir sollten mit Frankreich gemeinsam über eine europäische Armee, neue Technologien, Welthandel, Wettbewerbsfähigkeit, die Kontrolle der Außengrenze und gemeinsame Asylpolitik sprechen. Die aktuelle Debatte innerhalb der Regierung zeigt ja nicht nur, wie wenig dieser Vertrag der Großen Koalition Wert ist. Vor allem haben wir keine Antwort an Emmanuel Macron.

Frage: Die SPD will morgen auf ihrem Bundesparteitag mit ihrer Erneuerung, genau genommen mit der eigenen Rettung, beginnen. Taugt Andrea Nahles zur Retterin?

Lindner: Ich will keine Noten verteilen. Allerdings glaube ich, dass unser Land eine starke Sozialdemokratie braucht. Leider hat die SPD das Trauma Agenda 2010 nicht überwunden. Wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jetzt bei den Hartz-Gesetzen die Sanktionen zurückfahren will, ist das hilflose Identitätssuche, aber grundfalsch. Ich warne davor. Besser wäre eine Weiterentwicklung der Gesetze mit dem Ziel, dass auch kleine Jobs sich lohnen. Es muss Schluss sein damit, dass der Staat auch beim kleinsten Zuverdienst gleich abkassiert. Der Anteil von Geflüchteten unter den Hartz IV-Beziehern wird in Zukunft nach oben schnellen. Wer Sanktionen abschaffen will, schafft auch Integrationsanreize ab. Das würde letztlich zur Spaltung des Landes führen.

Frage: Wird der 28-jährige Juso-Chef Kevin Kühnert, ein Kritiker der Agenda 2010, den Parteitag dominieren?

Lindner: Nein, das glaube ich nicht. Aber die Aufmerksamkeit für ihn belegt doch, dass mit dem Jamaika-Aus in allen Parteien Erneuerungsprozesse ausgelöst wurden. Das war nicht unsere Absicht, aber offensichtlich dokumentiert sich darin die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Wahlausgang. Es gibt Bewegung im Denken, das ist eine Chance für die gesamte politische Landschaft.

Frage: Wie liberal ist eine sich weltoffen präsentierende Hauptstadt Berlin noch, wenn dort Juden mit Kippa angegriffen werden?

Lindner: Jeder Form von Antisemitismus, jeder Form von Ausgrenzung müssen wir entschieden entgegentreten. Wer schweigt, stimmt in Wahrheit zu. Wer mittags in der Kantine oder sonstwo dummes Zeug über Juden erzählt nach dem Motto „Man wird ja noch mal sagen dürfen“, der muss ein Widerspruch bekommen. Sofort. Es fängt mit Sprüchen an und endet mit Ausgrenzung. Jeder sollte wissen: Wer heute die Ausgrenzung von Minderheiten toleriert, kann morgen schon selber Opfer von Unterdrückung werden.