Foto: Dr. Kirsten Karberg
Die Berliner Rheumatologin Dr. Kirsten Karberg
begrüßt die Bemühungen der Deutschen Rheuma-Liga, über die Krankheit
aufzuklären.
Dr. Kirsten Karberg ist Fachärztin für
Rheumatologie und Innere Medizin und seit 2003 niedergelassene Rheumatologin in
Berlin. In ihrer Praxis versorgen Dr. Karberg und ihr Kollege Patienten mit
allen entzündlich rheumatischen Erkrankungen, auch junge Rheumatiker in der
Transitionsphase. Dr. Karberg ist Mitglied des Vorstandes des Berufsverbandes
der Rheumatologen auf Bundesebene.
Seit vielen Jahren ist sie Jury-Mitglied der
Initiative Rheumapreis, die Menschen mit Rheuma in der Arbeitswelt auszeichnet.
Dr. Karberg stellt in ihrem Alltag immer wieder fest, dass Rheuma häufig als
Erkrankung alter Menschen gesehen wird und hält die Kampagne „Rheuma ist jünger
als du denkst“ daher als Aufklärungsmaßnahme für dringend notwendig.
Wie erleben Sie, wie Rheuma in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wird?
Dr. Karberg: Ich erlebe immer wieder, dass Rheuma
als Krankheit von alten Leuten wahrgenommen wird, gegen die man nichts tun
kann. Dieses Bild ist einfach in den Köpfen. Da ist noch viel Aufklärung
notwendig, denn nur Aufklärung hilft.
Warum, meinen Sie, hat Rheuma dieses Image
überhaupt?
Dr. Karberg: Weil Rheuma ein sehr unspezifischer
Begriff ist. Rheuma umfasst sowohl degenerative Gelenkerkrankungen als auch
entzündliche Erkrankungen. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind jedoch deutlich seltener.
Die systemischen komplexen Autoimmunerkrankungen haben viele Gesichter und
können in jedem Alter auftreten. Diese meinen wir mit dem Begriff Rheuma.
Diesen Unterschied klar zu machen, darum muss es bei der Aufklärung gehen.
Was macht für Sie Rheuma aus?
Dr. Karberg: Rheuma sind für mich komplexe
systemische Erkrankungen mit vielen Aspekten der inneren Medizin. Da es sich
hierbei nicht nur um Gelenkerkrankungen handelt, sondern um komplexe
Erkrankungen, die alle Organsysteme betreffen können, ist meine breite
internistische Ausbildung sehr hilfreich.
Wen behandeln Sie in Ihrer Praxis?
Dr. Karberg: Erwachsene und junge Erwachsene.
Worauf legen Sie bei der Behandlung von jungen
Erwachsenen besonderen Wert?
Dr. Karberg: Sie dort abzuholen, wo sie stehen.
Doch die Phase der Transition ist eine schwierige Zeit, für die Betroffenen,
für deren Eltern und für die betreuenden Ärzte. Ich übernehme des Öfteren, in
enger Zusammenarbeit mit der Kinderrheumatologin Prof. Kirsten Minden,
Transitionspatienten von der Charité. Wenn die Betroffenen als kleine Kinder
bereits erkrankt sind und ihre Krankheit bis ins Erwachsenenalter in erster
Linie von ihren Eltern gemanaged wurde, ist der Wechsel meist ein schwieriger,
längerer Prozess. Die jungen Rheumatiker müssen lernen, selbst die Verantwortung für ihre Erkrankung zu
übernehmen, die Eltern müssen lernen, loszulassen. Wir Mediziner müssen bereit
sein, die Eltern zu Beginn mitzubetreuen. Das ist eine Herausforderung, weil es
eben nicht nur ums Medizinische geht, sondern auch sehr viel Zeit für die
Beratung aller Beteiligter benötigt. Die Transition gelingt in den meisten Fällen
meiner Patienten jedoch gut. Es ist toll, sie dabei begleiten zu können und zu
sehen, wie sie ihren eigenen Weg finden.
Was heißt „Rheuma haben“ gerade für jüngere
Menschen eigentlich? Nur ein Leben mit Einschränkungen führen zu können?
Dr. Karberg: Nein, nicht zwangsläufig. Wer vor 30
Jahren an Rheuma erkrankt ist, der hat Schäden an den Gelenken erlitten, die
nicht mehr reparabel sind. Aber für die Ära der heutigen jungen Rheumatiker ist
ein „normales “ Leben realisierbar. Rheuma ist zwar nach wie vor nicht heilbar,
aber es können durch die medikamentösen Therapiemöglichkeiten und
Behandlungsstrategien
sehr gute Ergebnisse hinsichtlich der
Beschwerdefreiheit erreicht werden. Lebensfreude und Rheuma stehen nicht in
Widerspruch zueinander.
Wie wichtig sind eine frühe Diagnose einer
rheumatischen Erkrankung und eine dauerhafte Behandlung für den
Krankheitsverlauf?
Dr. Karberg: Sehr entscheidend. Je früher die
Entzündung erkannt wird, umso realistischer ist das Erreichen der
Beschwerdefreiheit und die Vermeidung von Gelenkschäden. Aber es handelt sich
nicht um ein Kontinuum, sondern um einen dynamischen Prozess. Die Therapie kann
und muss in beide Richtungen – Erhöhung der Medikamentengabe bei aufflammender
Entzündung
und Reduktion der Medikamente bei Remission –
angepasst werden. Wir – Patient und Arzt – müssen immer gemeinsam am Ball
bleiben, deshalb sind regelmäßige Kontrolltermine notwendig.
Wie unterschiedlich sind die Bedürfnisse von jungen
Erwachsenen mit Rheuma und von älteren Erwachsenen mit Rheuma, wenn Sie zu
Ihnen in die Sprechstunde kommen? Wie erleben die jeweiligen Patienten ihr
Rheuma?
Dr. Karberg: Die Themen, mit denen sich die
jeweiligen Betroffenen beschäftigen, sind bedingt durch den jeweiligen
Lebensabschnitt unterschiedlich. Bei den Jüngeren stehen zum Beispiel
Berufsfindung und Familienplanung mit Rheuma im Fokus unserer Gespräche. Bei
den Älteren sind es zum Beispiel der Erhalt der Beweglichkeit oder die
Anpassung des Arbeitsplatzes. Wie die Betroffenen ihre Erkrankung erleben, ist
meines Erachtens keine Frage des Alters, sondern der Persönlichkeit – es gibt
mutige und ängstliche Charaktere.
Haben Sie im Zuge der Kampagne „Rheuma ist jünger
als du denkst“ noch einen Wunsch, noch einen Appell an die Öffentlichkeit?
Dr. Karberg: Ja, ich möchte gerne betonen, dass
Rheumatiker genau so sind wie andere Menschen. Sie haben manchmal
Einschränkungen, aber das haben andere Menschen auch. Es gibt also keinen
Grund, Rheuma-Betroffene auszugrenzen. Es geht alles, es gibt für alles eine
Lösung.
Text / Foto: © 2019 Deutsche Rheuma-Liga
Bundesverband e. V. / Matthea Engel