header-placeholder


image header
image
wheelchair 749985 960 720

Neue Beratungsangebote für Menschen mit Behinderungen in Magdeburg

Magdeburg, den 3. Mai 2018

Behindertenbeauftragter Pischner zum Europäischen Protesttag am 5. Mai:

In diesem Jahr steht der 5. Mai bereits zum 26. Mal als Europäischer Protesttag für die Forderung nach Gleichstellung und selbstbestimmter Teilhabe der rund zehn Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Der Behindertenbeauftragte der Landeshauptstadt Magdeburg, Hans-Peter Pischner, erklärt dazu:
 
"Seit mehr als 25 Jahren wird der 5. Mai als ‚Europäischer Protesttag für die Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen‘ begangen. Betroffene und ihre Interessenvertretungen machen aus diesem Anlass auf Forderungen, Probleme und Defizite im Zusammenhang mit der Teilhabe behinderter Menschen aufmerksam.
 
In den vergangenen Jahren hat sich für die Betroffenen vieles verbessert. Für den Abbau von Barrieren inner- und außerhalb von Gebäuden, an Verkehrsanlagen und im städtischen Umfeld wurde bereits viel getan. Vor allem körperlich Behinderte und Sinnesbehinderte wie Blinde und Gehörlose profitierten von technischen Fortschritten, digitaler Kommunikation sowie von der Entwicklung von Medizin und Medizintechnik. Die barrierefreie Nutzbarkeit zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehangeboten verbesserte sich für Blinde und Sehbehinderte durch die Untertitelung, Gebärdeneinblendungen und Audio-Bildbeschreibungen. Diese Audiodeskription ist aber noch deutlich ausbaufähig. Private Anbieter tun auf diesem Gebiet bisher so gut wie nichts.
 
Trotz dieses Fortschritts hapert es aber noch an anderen Stellen. Menschen mit Behinderungen finden nach wie vor nur schwer Arbeit. Sie müssen lange suchen und sind doppelt so häufig und doppelt so lange arbeitslos wie nicht behinderte Arbeitsuchende. Sie verdienen auch deutlich weniger. Ihr Anteil an den Hartz-IV-Abhängigen ist überproportional hoch. Bei der Beschäftigung Schwerbehinderter ist Sachsen-Anhalt bundesweites Schlusslicht. Dafür führt das Land in der Statistik der von Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt oder Pflegebedürftigkeit Betroffenen, was mit der immer prekärer werdenden medizinischen Versorgung auf dem flachen Land und in vielen Facharztdisziplinen korrespondiert.
 
Die Landesregierung interessiert sich offenkundig kaum für diese Defizite. Sie tut auch nur wenig für eine bessere Barrierefreiheit. Im Gegensatz etwa zu Sachsen, Thüringen oder Berlin wird die Errichtung barrierefreier Wohnungen vom Land nicht gefördert, ebenso wenig wie Maßnahmen zur Beseitigung kleinerer baulicher Barrieren. Betroffene, die eine barrierefreie rollstuhlgeeignete Wohnung benötigen, finden nur schwer eine oder können die neu errichteten barrierefreien Wohnungen nicht bezahlen. Immerhin hat Sachsen-Anhalt eine Aufzugsrichtlinie für die Wohnungsunternehmen aufgelegt, die ‚Barrierearmut‘ fördern soll. Nach der Meinung der Betroffenen und ihren Wünschen wurde dabei jedoch nicht gefragt.
 
Bildungsminister Marco Tullner hat kürzlich die Inklusion in der Schule für gescheitert erklärt und will die über 90 Förderschulen im Land erhalten, in denen die Mehrzahl der Absolventen keinen verwertbaren Abschluss erreicht. Derzeit besuchen zwei Drittel der Schüler mit Förderbedarf solche Förderschulen, rund ein Drittel wird gemeinsam mit nicht behinderten Schülern an Regelschulen, meist Grundschulen sowie Sekundar- bzw. Gemeinschaftsschulen unterrichtet. Für den gemeinsamen Unterricht stehen allerdings häufig zu wenige Lehrerstunden, Sonderpädagogen und pädagogische Mitarbeiter zur Verfügung. Mancherorts ist man froh, wenn möglichst wenige Schüler mit Förderbedarf an der Schule sind. Schließlich muss man auch noch mit Schülern mit Migrationshintergrund und solchen aus sozial benachteiligten Familien klarkommen.
 
Doch es gibt auch Lichtblicke in Gestalt einer deutlich verbesserten Infrastruktur zur Beratung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen. Diese finden sich nur schwer in den verwirrenden, bürokratischen Sozial- und Leistungsstrukturen zu Recht. Mit dem Bundesteilhabegesetz wurden Angebote einer ‚Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung‘ geschaffen, zunächst als auf drei Jahre befristete Projekte. In diesem Rahmen haben z. B. in Magdeburg die Volkssolidarität, der Malteser Hilfsdienst und der Blinden- und Sehbehindertenverband neue Beratungsangebote geschaffen.
 
Unabhängig davon hat das Land Sachsen-Anhalt aus EU-Mitteln ein ebenfalls befristetes Programm für ein ‚Örtliches Teilhabemanagement‘ aufgelegt. In der Magdeburger Stadtverwaltung wurden aus diesem Programm vier Fachleute als Teilhabemanager angestellt. Sie sollen bei der Einzelfallbetreuung und Teilhabeplanung im Sozial- und Wohnungsamt, in der Sozialplanung und bei der Weiterentwicklung eines Aktionsplanes zur Verbesserung der Teilhabe und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingesetzt werden. Für mich ist dies zunächst ein positives Signal. Auch das mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführte ‚Budget für Arbeit‘ nimmt Gestalt an. Hier können bisherige Beschäftigte von Behindertenwerkstätten den Schritt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wagen. Das wird auf Dauer mit bis zu 1.200 Euro im Monat gefördert. Erfahrungen mit diesem Modell gibt es aber in Sachsen-Anhalt bisher kaum. Das Land hat für das Projekt ein paar dünne Flyer erarbeiten lassen, in denen darüber informiert wird.
 
Seit 2001 gibt es in Sachsen-Anhalt ein Behindertengleichstellungsgesetz, in dem viele gute Absichten formuliert sind und die Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen geregelt wird. 2010 wurde es zuletzt überarbeitet. Nach den eher ernüchternden Erfahrungen hat der Landesbehindertenbeirat einen Entwurf für eine Neufassung dieses Gesetzes erarbeitet und an die Landesregierung und die Landtagsfraktionen übergeben. Gefordert werden eine wirksamere Vertretung der Belange der Betroffenen durch Anbindung des Landesbeauftragten und des Landesbehindertenbeirates an den Landtag statt an ein Ministerium, die Schaffung einer mit Fachpersonal ausgestatteten Fachstelle für Barrierefreiheit auf Landesebene und ein Landeskoordinationszentrum für Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Behindertenverbände sollen besser gefördert werden und so ihr Verbandsklagerecht tatsächlich wahrnehmen können. Ob diese Vorschläge ernsthaft diskutiert werden, hängt davon ab, ob die Landesregierung bei ihrer wenig konstruktiven, desinteressierten Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen bleibt oder bereit ist, sich für eine gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen einzusetzen, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention fordert."