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Pressefoto1 TheesUhlmann c IngoPertramer 30.05f

Magdeburg-News: Thees Uhlmann kommt mit Band und seinem dritten Solo-Album "Junkies & Scientologen“ im Gepäck am 02.06.2023 in die Factory.


Veröffentlicht am 30. Mai 2023

Wann:  2. Juni, Einlass: 19:00 Uhr, Beginn: 20:00
Wo: Factory Magdeburg

Okay, das dritte Solo-Album von Thees Uhlmann. Es hat lange gedauert, es ist viel passiert. „Junkies &Scientologen“ ist ein Positionslicht, das möglich macht, auch den eigenen Standort wieder näher zu bestimmen. Gerade auch außerhalb von HipHop sollte eine Platte mit einer Ansage öffnen. Also so Richtung: „Wer bin ich!“, „Wo war ich!“ oder „Ey, wie sehr knallen meine neuen Songs alle Platzhalter-Ku?nstler, die sich von hinten an den Thron geschlichen haben, weg!“ Alles mit Ausrufe- statt Fragezeichen, versteht sich.

Der Opener von Thees Uhlmanns dritter Solo-Platte ist eine solche Zustandsbeschreibung. Er sagt, was Sache ist. Und zwar: „Fu?nf Jahre nicht gesungen“. Krass, letztens doch noch diese unverkennbare Stimme des zärtlichen Hemmoorers im Ohr gehabt. Abend fu?r Abend wie ein Kind u?ber Kopfhörer. Doch stimmt, da hat Thees Uhlmann ja die Biographie von Bruce Springsteen vorgelesen, „Born to run“. Gefu?hlt mehrere Tage netto auf unzähligen MP3-Discs (von Mutter zu Weihnachten bekommen). Und tatsächlich war auch der letzte Bu?hnenauftritt gar nicht wegen Musik. Er las vor aus seinem Debu?t-Roman „Sophia, der Tod und ich“ – zum Beispiel in einer feierlichen Kulturkirche in meiner Stadt.

Ausverkauft.

Trotzdem hätte es alles wieder schneller losgehen sollen mit der Musik. Man sollte ja mal wieder eine Platte machen – nach paar Jahren. In dem Outfit der ersten beiden Solo-Alben war sie sogar schon zum großen Teil fertig. Doch wirklich emotionale Musik reagiert halt nicht auf sollte mal. Kurzerhand brach Uhlmann das Projekt ab. Dann lieber erstmal nichts, dann lieber weiter wie wahnsinnig u?ber alles nachdenken, dann lieber doch noch mal raus und gucken, wo man noch eine Schachtel Kippen herkriegt – mitten in der Nacht. Ganz schön dunkel ohnehin zu dieser Zeit, 2016, oder so war das. Uhlmann hat als Faust-in-die-Luft-Fanboy nicht nur musikalisch immer u?ber den Kanal und das Meer geschaut: Angetrunkener Britpop fu?hlt sich genauso nach Heimat an wie geiler Ami-Punk. Doch die alten Sehnsuchtsorte verzetteln sich in ungeahnter Tristesse. England beschließt den Brexit, die Stimmenmehrheit in den USA erlangt Donald Trump.

Eine Auf- und Umbruchphase, davon erzählt nun „Junkies & Scientologen“. Trotzdem ist es keine explizit politische Platte geworden. Simon Frontzek und Rudi Maier, die Uhlmann fu?r diesen Neuanfang als Produzenten wie Musiker dabei haben wollte, haben ihn gepusht, ausschließlich Stu?cke zu schreiben, die ihm persönlich unglaublich nah sind. Das hört man sofort. Diese berührende Distanzlosigkeit ist ja auch genau das, was man als Hörer bei Thees Uhlmann sucht. Jemand, der wirklich zu einem spricht. Man findet auf „Junkies & Scientologen“ keinen Rock’n’Roll, der sich passgenau ins Instagram-Gegenlicht stellt, man begegnet eher der Frage, was ist eigentlich noch u?brig von unserer Indie-Kuschelszene. Die Antwort: Tja, friends, da ist jetzt ein Airbnb draus geworden – aber gute Nachricht, es liegt der schicke Lo-Fi-Filter dru?ber. Ey, Herzlike!

Thees Uhlmann reißt das alles ein. „Junkies & Scientologen“, der Titel liefert bereits die Antithese zu einst spröder Solo-Schlichtheit (erstes Album selbstbetitelt, zweites hieß pragmatisch „#2“). Hier kommt frei nach John Irving „Thees und wie er die Welt sah“. Der titelgebende Song fu?hrt durch Reihen von Menschen, mit denen man sich die Stadt – und damit auch ein großes Stu?ck Leben teilt. Thees Uhlmann schreitet aber hier nicht nur sein eigenes Viertel ab. Denn Planet Kreuzberg, Metropole oder Provinzkaff – so viel Unterschied macht es gar nicht. Hinter den Fenstern, auf den Straßen sehen wir ihn plötzlich wirklich, den rastlosen Flashmob irgendwie ru?hrender Typen, Junkies, Scientologen, mu?de Krankenschwestern, Schornsteinfeger im Pech, die letzten Punks. 

Diese Platte u?berwindet den filterbubbligen Tunnelblick, endlich mal wieder 16:9 – statt Insta-Story-Hochkant. Und die Liebe zu den Tönen erreicht dabei auch Rap. In 1A-Rollenprosa (Germanistik, oi!) lässt Thees Uhlmann einen Mietfahrer erzählen, der schöne Statistinnen an die Kulissen von Rap-Videos chauffiert. „Ich bin der Fahrer der die Frauen nach Hip Hop Videodrehs nach Hause fährt“. Mit (nur vordergru?ndig) sanftem Blick auf das Geschehen zerteilt er ein materialistisches, misogynes Genre von innen heraus. Während der Rapper am Set auf den Beat abteufelt, dass all seine Feinde bezahlen werden und „das wird teuer“. Was Uhlmanns Figur quittiert mit „klingt fu?r mich nach Paranoia“. Einige der Songs besitzen ganz reale Adressaten in der realen Welt, „Danke fu?r die Angst“ erzählt von Stephen King und vom Kleinstadthorror, dem trivialen wie dem kreatu?rlichen. Auch fu?r Katy Perry hat diese Platte etwas u?brig, wenn sie singt „Katy Perry, spu?re Deinen Schmerz und komm‘ zum GHVC!“ Was eine Line das alleine ist – und wie geil G.H.V.C. klingt, wenn man es in Buchstaben spricht. Grand Hotel Van Cleef ist damit u?brigens gemeint. Das Label, das Thees Uhlmann mit Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff von Kettcar vor bald zwei Jahrzehnten den Jugendlichen an die Kirchentu?r nagelten. Doch dieses Album kann immer noch tiefer gehen. In „Avicii“ wird der verstorbene schwedische TechnoProducer angesprochen und ihm ein A-moll fu?r ein F-Dur gereicht, alles Gute kommt von oben. Ein Upbeat-Stu?ck zu dem man heulen muss, wo gibt’s denn sowas? Die Musik kann man in diesem pointierten Emo-Spektakel ohnehin nicht genug highlighten: Zu?gig, dringlich, manchmal aber auch ganz zart getragen nur von einem Klavier, einer Melodie. Beim Opener kann man sogar kurz an Foreigner denken, an „Cold As Ice“. Das soll aber keine falschen Fährten legen, das hier ist kein Classic Hard Rock, keine Postkarte ins Gestern – im Gegenteil. Dieses Album zeichnet einen Raum im Jetzt nach. Thees Uhlmann macht mit Kreide ein Kreuz auf den Boden. Damit wir uns alle wiederfinden. Dazu singt er „Du hattest einen Plan vom Leben / ich hatte Fury in the Slaughterhouse“. 

Text / Foto: Linus Volkmann / Ingo Pertramer