veröffentlicht am Mittwoch, 9. November 2022
Magdeburg. Seit Oktober 2021 gibt es das AWO Betreute Einzelwohnen im Magdeburger Stadtteil Reform, in dem mittlerweile 9 Jugendliche ein neues Zuhause gefunden haben. Das Betreute Einzelwohnen dient der Verselbständigung von Jugendlichen im Alter von 16 – 21 Jahren, welches seine gesetzliche Verankerung im § 41 des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (SGB VIII) findet.
Gestartet ist die Heilpädagogin Heidrun Beese mit zwei Trainingswohnungen. In jeder Trainingswohnung fanden zwei Jugendliche ein Zuhause. Schnell wurde sichtbar, dass der Bedarf für diese Art der Betreuung sehr gefragt ist. So beschloss der AWO Kreisverband Magdeburg e.V. Anfang 2022 sich zu vergrößern und die nächsten zwei Trainingswohnungen in Angriff zu nehmen. So bekam auch das Team mit der Sozialarbeiterin Anne Görtz neuen Zuwachs. Zum jetzigen Zeitpunkt - 1 Jahr später – sind es vier Trainingswohnungen, in denen 9 Jugendliche ein Zuhause gefunden haben.
Unterstützung gab es von der WOBAU, die dem Projekt einen Vertrauensvorschuss gewährte und Wohnungen zur Verfügung stellte. Momentan sucht das Betreute Jugendwohnen, in Kooperation mit der WOBAU, kleinere Wohnungen, um den Jugendlichen den nächsten Schritt der Verselbständigung zu ermöglichen. Diese sollen dann von den Jugendlichen als erste wirklich eigene Wohnung genutzt.
Im Betreuten Wohnen werden die Jugendlichen gefördert, um ihre lebensweltorientierten Kompetenzen zu erwerben und/oder weiterzuentwickeln, wie z. B. das Erlernen eines geregelten Tagesablaufs, der Umgang mit ihren Finanzen oder den Behörden. Heidrun Beese betont dabei: „Jeder Jugendlicher wird im Betreuten Jugendwohnen so angenommen, wie er/sie ist und wir unterstützen die Entdeckung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Hier bei uns im Betreuten Wohnen gibt es natürlich auch Raum für Fehler und Misserfolge, um daraus zu lernen und gestärkt hervor zu gehen und Erfolge werden natürlich auch gemeinsam gefeiert.“
Ihre Kollegin Anne Görtz berichtet: „Nach einem Jahr des Projekts sind bereits wesentliche Erfolge aufzuzeigen. So konnte z.B. ein Jugendlicher mit einer Ausbildung und zusätzlicher finanzieller Absicherung durch das Jobcenter, in seinen eigenen Wohnraum entlassen werden. Diese Erfolge sind aber nur erreichbar, wenn die Jugendlichen offen für eine Zusammenarbeit sind und in eine Eigenständigkeit gehen wollen. Das ist uns wichtig!“
Denise Helbig, Leitung Kinder, Jugend, Familie und Beratung und Stellvertretende Geschäftsführung des AWO Kreisverband Magdeburg e.V. sagt abschließend: „Sofern ein Jugendlicher ein Einkommen hat, wird dieser im Rahmen des Kostenbeitrages mit einem Beitrag von 25 Prozent des Einkommens herangezogen, um Kosten wie z.B. Miete, Nebenkosten oder Betreuung anteilig zu bezahlen. Beim AWO Betreuten Jugendwohnen sind grundsätzlich alle jungen Menschen willkommen, wenn sie offen sind für eine vertrauenswolle Zusammenarbeit mit den Pädagogen und ein echtes Interesse daran haben, ihr Leben selbständig und ohne Hilfe zu gestalten, denn gerade für dieses Ziel ist harte Arbeit an sich selbst nötig.“
Im folgenden Interview wurden fünf junge Menschen nach ihrem Werdegang, ihrem Tagesablauf und ihrer Geschichte gefragt. Zum Schutz der jungen Menschen wurden die Namen redaktionell geändert.
Frage: Wo habt ihr vorher gelebt und wie gefällt es Euch hier?
Luca, 16 J.: Ich habe vorher in einer stationären Wohngruppe im Kannenstieg gewohnt, aber ich möchte nun gern allein wohnen, da ich mittlerweile auch eine Ausbildung habe und noch einen Nebenjob und mittlerweile einen anderen Tagesablauf habe, als die Kinder in der Wohngruppe. Außerdem möchte ich meine Ruhe haben. (lacht)
Joana, 16 J.: Ich wollte raus aus meiner Pflegefamilie und gern allein wohnen. Ich mache gerade meine Ausbildung zur Pflegehelferin und möchte hier auch gern zur Ruhe kommen.
Frage: Wie sieht euer Tag jetzt so aus?
Alina, 17 J.: Im Moment muss ich erst einmal klarkommen. Ich habe gerade ziemlich viel um die Ohren und möchte mein Leben nun so sortieren, dass ich wieder weiß, was ich möchte oder wohin es gehen soll.
Jean 18 J.: Ich bin erst vor ca. 3 Wochen eingezogen und möchte hier nur erst einmal ankommen. Ich war vorher in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung und muss mir nun erst einmal über einiges klar werden und zur Ruhe kommen.
Joana, 16. J.: Mein Tag ist gerade richtig durchstrukturiert. Ich muss früh aufstehen, um zur Arbeit zu kommen. Am späten Nachmittag bin ich dann oft ganz schön fertig, aber ich freue mich, nach Hause zu kommen und sich wohlzufühlen. Manchmal kommt dann Frau Görtz oder Frau Beese vorbei und wir nehmen gemeinsam Termine war oder manchmal quatschen wir auch nur gemeinsam und besprechen, was so in den letzten Tagen passiert ist.
Frage: Wenn ihr eure jetzige Situation sieht und so wie es vorher war – was hat sich für Euch geändert?
Lena, 17 J. (lacht): Das „Hotel Mama“ fehlt mir, d.h. ich muss mich jetzt viel mehr um die alltäglichen Dinge kümmern und mir z.B. Essen machen oder einkaufen – all das, was meine Mutter vorher für mich gemacht hat. Andererseits kann ich dadurch selbst bestimmen, was ich möchte. Es hat Vor- und Nachteile. Zum Glück verstehen wir uns auch hier in der WG und müssen uns z.B. nicht über Putzdienste oder so streiten. Das klappt ganz gut.
Frage: Was sind denn Eure Zukunftspläne? Wie soll es weitergehen?
Luca: Definitiv meine Ausbildung zu Ende bringen, meine eigenes „richtiges“ Geld verdienen, gute Freunde haben und ein schönes Leben.
Alina: Ich bin derzeit schwanger und möchte meinem Kind ein warmes, geborgenes Zuhause geben. Wenn es dann soweit ist, möchte ich auch gern meine Ausbildung wieder aufnehmen. Es wird vielleicht nicht einfach, aber ich möchte es schaffen.
Lena: Ich möchte erst einmal meine Schule beenden und dann möchte ich eine Ausbildung beginnen.
Vielen Dank für Eure Antworten und Einblicke, die wir bekommen haben.
Bildunterschrift: Heidrun Beese (oben) und Anne Görtz (ganz oben)
Text & Foto: AWO Kreisverband Magdeburg e.V.
