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Gesundheit-News: Leben im Jetlag - Schichtarbeit in der Pflege: Wie guter Schlaf gelingen kann

1. September 2022

(ams). Das Leben im Schichtdienst auf Station kann Schlafstörungen, Erschöpfung, Müdigkeit und andere Beschwerden nach sich ziehen - zumal das Pflegepersonal besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Doch es gibt Spielräume für eine gesündere Arbeitsgestaltung. Schlafhygiene, bewusste Ernährung und mehr Bewegung sind der Schlüssel. 
Auch die Arbeitgeber sind gefordert: Im Zentrum steht ein verlässlicher Dienstplan, der die Wünsche der Beschäftigten berücksichtigt.

Ein Anruf am freien Wochenende: "Kannst du nicht doch am Sonntagmorgen zum Frühdienst kommen? Kollegin XY hat sich krankgemeldet!" Häufig wird Pflegepersonal aus der Freizeit geholt, wie Umfragen zeigen: Sie sollen kurzfristig Schichten von ausgefallenen Kolleginnen und Kollegen übernehmen. Das ist einer der Gründe, warum Schichtdienste für das Pflegepersonal besonders herausfordernd sind. Was das Einspringen aus der freien Zeit angeht, kann ein ausreichend großer Pool von "Springern" bei Personalengpässen Abhilfe schaffen. "Zusätzlich zu dem strapaziösen Wechsel zwischen Früh-, Spät- und Nachtdiensten ist das Pflegepersonal noch besonderen Belastungen ausgesetzt", sagt Werner Winter, Experte für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) im AOK-Bundesverband. "Ein Punkt ist das unvorhergesehene Einspringen. Ein anderer: Oft nehmen Sie die Schicksale ihrer Patientinnen und Patienten mit nach Hause und können deshalb nicht gut abschalten."

Bis hin zum Burnout
Mehr als zwei Drittel des Pflegepersonals geben in einer Umfrage (Quelle: Deutsche Stiftung Schlaf) an, so schlecht zu schlafen, dass sie negative Auswirkungen auf ihre Leistungsfähigkeit spüren. Eine Person von sieben aus dem Pflegefach lässt sich sogar aufgrund von unzureichendem Schlaf krankschreiben. Müdigkeit, allgemeine Erschöpfung und Schlafstörungen - das sind die Beschwerden, über die Beschäftigte in Schichtdiensten quer durch alle Branchen am häufigsten klagen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) stellt fest, dass Schichtarbeit die Schlafmenge und -qualität so negativ beeinflussen kann, dass sich aus der Erschöpfung langfristig ein Burnout entwickeln kann.


Von Lerchen und Eulen
Denn Schichtarbeit bedeutet ein permanentes Arbeiten gegen die innere Uhr, das heißt, gegen den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus. Fachleute nennen das "Chronodisruption". Der Wortstamm "Chronos" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Zeit". Chronobiologinnen und -biologen sprechen von verschiedenen Chronotypen unter den Menschen: Den "Lerchen" fällt es leicht, früh aufzustehen, ihre beste Arbeitszeit ist der Morgen und der Vormittag. Die "Eulen" sind dagegen Langschläfer, erreichen dafür ein Leistungshoch am Nachmittag oder Abend. "Bei den meisten Menschen ist das allerdings nicht so eindeutig, sie gehören zu den neutralen oder moderaten Abend- oder Morgentypen", so BGF-Experte Winter. Den Menschen, die mehr zu den Lerchen gehören, fallen Spät- und Nachtschichten schwerer als den Eulen. 
Sie müssen dann in Zeiten ihrer Leistungstiefs arbeiten und sollen in der für sie optimalen Arbeitszeit schlafen - was oft nicht gelingt. Die Eulen wiederum haben große Probleme, morgens schon um vier oder fünf Uhr aufzustehen, und häufen über die Zeit große Schlafdefizite an, weil sie zu spät ins Bett gehen.Übermüdung ist also in jedem Fall vorprogrammiert. "Das Arbeiten im Schichtdienst fühlt sich wie ein chronischer Jetlag an, als würden die Beschäftigten ständig zwischen verschiedenen Zeitzonen hin- und herpendeln", erklärt Winter. Fachleute sprechen von einem regelrechten Schichtarbeiter-Syndrom, das durch ein Schlafdefizit während der Arbeitszeit und Schlafproblemen in den Ruhezeiten gekennzeichnet ist. Eine Folge laut Winter: "Die Beschäftigten leiden unter Konzentrationsproblemen und die Gefahr von Fehlern und Unfällen steigt."

Gesünder leben
Hauptmahlzeiten nicht nachts einnehmen. Bei Nachtschichten: Tagsüber möglichst in zwei Blöcken schlafen, damit mittags die Hauptmahlzeit gegessen werden kann.
Fettreiche Speisen meiden. Gerade nachts sollten die Speisen bekömmlich sein. Gemüsesuppen, Sandwiches, Wraps eignen sich für leichte Zwischenmahlzeiten.
Sich ein Sportstudio suchen, das bis zu 24 Stunden geöffnet hat. Allerdings kann hohe körperliche Aktivität vor dem Zubettgehen Schlafstörungen verursachen.
Gemeinsame Aktivitäten mit Familie oder Freunden einplanen.

Die Macht der inneren Uhr
Unsere innere Uhr befindet sich im Gehirn und steuert Hunderte Funktionen in unserem Körper wie Temperatur, Blutdruck, Hormonsekretion, Hunger, Blasenentleerung, Zellteilung, Stimmung. Deshalb kann das Leben gegen unseren biologischen Rhythmus auch vielfältige gesundheitliche Folgen haben. Medizinische Fachgesellschaften haben dafür sogar eine Leitlinie zu Nacht- und Schichtarbeit erstellt. Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass neben Schlafstörungen und Konzentrationsproblemen auch das Risiko für Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen erhöht ist.

Negative Effekte der Nacht- und Schichtarbeit können laut Leitlinie auch Diabetes sein oder das Metabolische Syndrom. Beim Metabolischen Syndrom verbünden sich Bluthochdruck, erhöhte Blutfett- wie Blutzuckerwerte und Übergewicht zu einem besonders gefährlichen Quartett. Zudem gibt es Anhaltspunkte, dass Magen-Darm-Erkrankungen und depressive Symptome bei Schichtarbeitenden häufiger auftreten. Diese Erkrankungen sind einerseits eine Folge des Schlafmangels, hängen aber auch mit dem Stress zusammen, Berufs- und Privatleben trotz gegenläufiger Arbeitszeiten zusammenzukriegen. Zudem wird beobachtet, dass Schichtarbeitende oft ungesund leben: Aufgrund von Zeitmangel greifen sie häufiger zu schnell verfügbaren Nahrungsmitteln. Entspannung, Bewegung und Hobbys kommen oft zu kurz. Auch raucht gerade das Pflegepersonal überdurchschnittlich häufig.

Vorwärts statt rückwärts rotieren
Ein Hauptinstrument, um dem Schichtarbeitssyndrom entgegenzuwirken, ist die Gestaltung des Dienstplans. Probleme bereitet es den Pflegekräften nicht nur, wenn sie sich nicht auf den Schichtplan verlassen können und sie aus der Freizeit geholt werden, sondern auch wenn Schichtpläne ungünstig gestaltet sind und sie etwa rückwärts rotieren müssen. Das heißt zum Beispiel, dass auf fünf Tage Spätschicht fünf Tage Frühschicht und danach fünf Nachtschichten folgen. Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner sehen diese Abfolge kritisch, unter anderem weil Ruhezeiten verkürzt sind. In der Wirtschaft sind diese anstrengenden Rückwärtsrotationen nicht zulässig - im Krankenhaus per Sonderregelung dagegen schon. "Es hat sich gezeigt, dass ein Vorwärtswechsel im Uhrzeigersinn, also von einem Früh- zu einem Spätdienst, mit weniger Beschwerden einhergeht", sagt Winter. "Außerdem empfehlen sich statt langer Blöcke kürzere Arbeitsphasen, wie zum Beispiel zwei Frühschichten, danach zwei Spätschichten und dann zwei Nachtschichten. An Nachtschichten sollten sich möglichst lange Ruhephasen anschließen."

Eine weitere Empfehlung lautet, sich bei den Dienstplänen an den Schlaftypen der Mitarbeitenden zu orientieren. So konnte eine kleine Studie der Klinik Wartenberg zeigen, dass sich bei einer solchen Dienstplanung der Anteil der Beschäftigten mit schlechter bis sehr schlechter Schlafqualität von 35 auf 15 Prozent reduziert. Die Klinik ist dafür mit dem BGF-Preis "Gesunde Pflege 2021" des AOK-Bundesverbandes ausgezeichnet worden.

Schichtpläne gesund gestalten - Vorwärts- statt Rückwärtsrotation
schnelle Rotation (Wechsel der Schicht alle zwei bis drei Tage)
maximal drei Nachtschichten in Folge
nach einer Nachtschicht mindestens 24 Stunden arbeitsfreie Zeit
möglichst später Beginn der Frühschicht, also zum Beispiel 6.30 Uhr statt 6.00 Uhr
geblocktes Wochenende, das heißt, mindestens Samstag UND Sonntag
ein freier Abend an mindestens einem Wochentag (Montag bis Freitag)

Mitarbeitende einbeziehen
Fragt man Beschäftigte, lautet ihr größter Wunsch an die Dienstplangestaltung: Mitgestaltung! "Eine gute Kommunikation zwischen den Beschäftigten und denjenigen, die die Dienstpläne gestalten, ist die Grundlage für mehr Zufriedenheit und Gesundheit", sagt Winter. In persönlichen Gesprächen sollten alle Beteiligten versuchen, auf individuelle Wünsche einzugehen - auch wenn es nicht ohne Kompromisse geht. Pflegeeinrichtungen können beispielsweise auch einen Arbeitskreis "Dienstplangestaltung" einrichten oder Beschäftigte können sich über die Personal- und Betriebsräte einbringen.

Besser schlafen
Wie es das Pflegepersonal schafft, trotz der Belastungen besser zu schlafen? Die dauerhafte Einnahme von Schlafmitteln ist gefährlich, denn sie können abhängig machen. Deshalb sollten Beschäftigte nur in Rücksprache mit dem Hausarzt oder der Hausärztin und nur kurzfristig ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel einnehmen. Mit einfachen Maßnahmen der sogenannten Schlafhygiene kann man oft schon für die nötige Bettschwere sorgen: vier Stunden vor dem Schlafengehen keine koffeinhaltigen Getränke mehr zu sich nehmen, vor dem Zubettgehen nicht intensiv Sport treiben, Alkohol als Einschlafhilfe meiden, das Schlafzimmer wirklich abdunkeln und Geräusche möglichst abschirmen. Bestimmte Rituale, wie ein Spaziergang oder ein Kräutertee, können Körper und Seele signalisieren, dass jetzt Schlafenszeit ist. Entspannungsübungen können dabei unterstützen. Und letztlich heißt es, wenn das Telefon an einem freien Tag klingelt: Auch mal "Nein" sagen.


Text / Foto: AOK-Bundesverband / iStock.com/dissx