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Aus dem Gerichtssaal: EuGH: Einfrieren von Geldern der Hamas

Donnerstag, 25. November 2021

Der EuGH hat die Rechtsakte des Rates, mit denen die Hamas auf der europäischen Liste terroristischer Organisationen belassen wird, bestätigt.

Das Gericht hätte die Belassung der Hamas auf dieser Liste nicht mit der Begründung für nichtig erklären dürfen, dass der Rat die einzelfallbezogene Begründung für diese Rechtsakte nicht durch Unterzeichnung ausgefertigt habe.

Mit Urteil vom 4. September 2019 (T-308/18 "Hamas/Rat"), erklärte das Gericht im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV vier Rechtsakte des Rates der Europäischen Union aus dem Jahr 2018 (im Folgenden: streitige Rechtsakte) für nichtig, mit denen die Hamas auf der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP belassen worden war. Beschluss (GASP) 2018/475 des Rates vom 21. März 2018 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, für die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2017/1426 (ABl. 2018, L 79, S. 26); Durchführungsverordnung (EU) 2018/468 des Rates vom 21. März 2018 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1420 (ABl. 2018, L 79, S. 7); Beschluss (GASP) 2018/1084 des Rates vom 30. Juli 2018 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2018/475 (ABl. 2018, L 194, S. 144); Durchführungsverordnung (EU) 2018/1071 des Rates vom 30. Juli 2018 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/468 (ABl. 2018, L 194, S. 23).

Die Hamas war als eine an terroristischen Handlungen beteiligte Organisation aufgenommen worden, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen deshalb eingefroren wurden. Das Gericht, das sieben der acht damals von der Hamas gegen ihre Aufnahme in die Liste vorgebrachten Klagegründe zurückwies, erklärte die angefochtenen Rechtsakte für nichtig, soweit sie diese Organisation betrafen, weil der Rat die Begründungen zu diesen Rechtsakten, die in getrennten Dokumenten enthalten waren, nicht durch Unterzeichnung ausgefertigt habe. Das Gericht bezog sich insoweit auf die Unterzeichnungspflicht nach Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV und Art. 15 der Geschäftsordnung des Rates. In Art. 15 („Unterzeichnung der Rechtsakte“) der Geschäftsordnung des Rates heißt es: „Der Wortlaut der vom Europäischen Parlament und vom Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommenen sowie der vom Rat angenommenen Rechtsakte wird von dem zum Zeitpunkt ihrer Annahme amtierenden Präsidenten und vom Generalsekretär unterzeichnet. Der Generalsekretär kann seine Unterzeichnungsbefugnis an Generaldirektoren des Generalsekretariats delegieren.“ (Beschluss 2009/937/EU des Rates vom 1. Dezember 2009 zur Annahme seiner Geschäftsordnung [ABl. 2009, L 325, S. 35]).

Der Gerichtshof (Große Kammer) hebt das Urteil des Gerichts vom 4. September 2019 auf. Er stellt fest, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass die Begründungen für die Belassung der Hamas auf den Listen in den Anhängen der angefochtenen Rechtsakte ebenso wie diese Rechtsakte selbst, die eine allgemeine Begründung enthielten, vom Präsidenten und vom Generalsekretär des Rates hätten unterzeichnet werden müssen. Diese Begründungen waren im Übrigen vom Rat gleichzeitig mit diesen Rechtsakten angenommen worden, mit denen sie untrennbar verbunden waren, und ihre Authentizität ist nicht wirksam in Frage gestellt worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

Der Gerichtshof weist erstens darauf hin, dass sich aus dem Urteil vom 15. Juni 1994 (C-137/92 P "Kommission/BASF"), auf das sich das Gericht in dem mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteil gestützt hat, ergibt, dass die eigenhändige Unterzeichnung eines Rechtsakts, insbesondere durch den Präsidenten des Organs, das ihn erlassen hat, ein Mittel zur Ausfertigung dieses Rechtsakts darstellt, das die Rechtssicherheit gewährleisten soll, indem der von diesem Organ angenommene Wortlaut in den verbindlichen Sprachen festgeschrieben wird. Eine solche Ausfertigung ermöglicht sie es damit, im Streitfall die vollkommene Übereinstimmung der bekannt gemachten oder veröffentlichten Texte mit den angenommenen Texten und mit dem Willen der sie erlassenden Stelle zu prüfen. Zwar hat der Gerichtshof in jenem Urteil auch darauf hingewiesen, dass der verfügende Teil und die Begründung eines Beschlusses ein unteilbares Ganzes darstellen, doch stellt der Gerichtshof vorliegend fest, dass die streitigen Rechtsakte im Unterschied zu der in jenem Urteil in Rede stehenden Entscheidung mit der Unterschrift des Präsidenten des Organs, das sie erlassen hat, nämlich des Rates, und seines Generalsekretärs versehen sind. Darüber hinaus enthalten diese Rechtsakte in ihrer veröffentlichten Fassung eine allgemeine Begründung. Zudem ging es im Urteil Kommission/BASF nicht darum, ob die gesamte Begründung eines Rechtsakts durch eine Unterzeichnung ausgefertigt werden muss, wenn ein Teil dieser Begründung in einem gesonderten Dokument enthalten ist, sondern insbesondere um die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Wortlaut einer Entscheidung, wie sie von ihrem Urheber erlassen wurde, und dem Wortlaut dieser Entscheidung in der veröffentlichten und bekannt gemachten Fassung. In Anbetracht dieser verschiedenen Gesichtspunkte gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Erwägungen, die er im Urteil Kommission/BASF angestellt hat, nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden können.

Zweitens weist der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung hin, wonach Rechtsakte, die, wie die streitigen Rechtsakte, restriktive Maßnahmen vorsehen, insofern eine besondere Natur aufweisen, als es sich bei ihnen gleichzeitig um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, die sich an eine Gruppe von allgemein und abstrakt bestimmten Adressaten richten, und um ein Bündel von Einzelentscheidungen gegenüber Personen und Organisationen, deren Namen in den Listen in ihren Anhängen aufgeführt sind, handelt. Aus der in Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV aufgestellten Regel ergibt sich, dass die streitigen Rechtsakte, bei denen es sich um Rechtsakte ohne Gesetzescharakter handelt, die entweder als Verordnung oder als Beschluss, der an keinen Adressaten gerichtet ist, erlassen werden, vom Präsidenten des Rates zu unterzeichnen sind, soweit sie Rechtsakten mit allgemeiner Geltung im Sinne dieser Rechtsprechung gleichstehen. Soweit die streitigen Rechtsakte hingegen einem Bündel von Einzelentscheidungen gleichstehen, unterliegen sie dagegen keiner solchen Unterzeichnungspflicht, sondern nur der Bekanntgabepflicht nach Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 3. Dies gilt auch für die Begründungen, die den streitigen Rechtsakten, wie sie der Hamas bekannt gegeben wurden, beigefügt waren, die nicht zur allgemeinen Natur dieser Rechtsakte gehören, sondern zu dem Aspekt von ihnen, durch den sie einem Bündel von Einzelentscheidungen gleichstehen. Daher ist der Präsident des Rates nicht verpflichtet, neben dem Rechtsakt, der eine allgemeine Begründung für die restriktiven Maßnahmen enthält, die einzelfallbezogene Begründung eines solchen Rechtsakts zu unterzeichnen. Es genügt, dass diese Begründung mit anderen Mitteln ordnungsgemäß ausgefertigt worden ist.

Nach Auffassung des Gerichtshofs führt die Auslegung von Art. 15 der Geschäftsordnung des Rates zu demselben Ergebnis. Da dieser Artikel im Licht der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags auszulegen ist, kann er nicht dahin ausgelegt werden, dass er dem Präsidenten und dem Generalsekretär dieses Organs eine Unterzeichnungspflicht auferlegt, die strenger ist als die sich aus Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV ergebende Verpflichtung. Eine solche formale Verpflichtung zur Unterzeichnung der einzelfallbezogenen Begründung kann auch nicht aus der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht abgeleitet werden. Die sich aus dieser Verpflichtung ergebenden Anforderungen dürfen nämlich nicht mit den an die Ausfertigung eines Rechtsakts der Union gestellten verwechselt werden, da die Prüfung der Einhaltung dieser Formvorschrift jeder anderen Prüfung dieses Rechtsakts vorausgehen muss. Der Gerichtshof erklärt den ersten Rechtsmittelgrund somit für begründet und hebt das Urteil des Gerichts auf.

Da die Rechtssache gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs zur Entscheidung reif ist, stellt der Gerichtshof drittens fest, dass der Rat Dokumente vorgelegt hat, die belegen, dass die Begründungen gleichzeitig mit den vom Präsidenten und vom Generalsekretär des Rates unterzeichneten streitigen Rechtsakten angenommen wurden, mit denen sie untrennbar verbunden waren, und dass die Hamas nichts vorbringt, was die vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Wortlaut der ihr bekannt gegebenen Begründungen und dem vom Rat angenommenen Wortlaut in Frage stellen könnte. Da die Hamas die Authentizität dieser Begründungen nicht wirksam in Frage gestellt hat, weist der Gerichtshof ihr Rechtsmittel insgesamt zurück.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 208/2021 v. 23.11.2021
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