Dienstag, den 6. Juli 2021
Gewerkschaft fordert bessere Arbeitsbedingungen in Hotels und Gaststätten
Supermarktkasse statt Biertheke: Im Zuge der Corona-Pandemie verzeichnen die Magdeburger
Hotels und Gaststätten eine dramatische Abwanderung von Fachkräften. Innerhalb des
vergangenen Jahres haben in der Stadt rund 700 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte
dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt – das ist jeder siebte Beschäftigte der Branche, wie die
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf jüngste Zahlen der
Arbeitsagentur mitteilt. In ganz Sachsen-Anhalt haben binnen zwölf Monaten 4.300 Hotel- und
Gastro-Mitarbeiter ihren Job gewechselt (jeder achte Arbeitnehmer).
Angesichts weiterer Lockdowns bis in den Mai hinein dürfte sich der Personal-Schwund bis heute
nochmals zugespitzt haben, befürchtet Holger Willem, Geschäftsführer der NGG-Region Magdeburg.
„Viele Menschen schätzen es, nach langen Entbehrungen endlich wieder essen zu gehen oder zu
reisen. Aber ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil der Betriebe schlicht das
Personal, um die Gäste bewirten zu können“, so Willem. Für die Lage macht der Gewerkschafter
insbesondere die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit verantwortlich: „Gastro- und HotelBeschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich
niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.“
Wenn die gut ausgebildeten Fachkräfte in Anwalts- oder Arztpraxen die Büroorganisation
übernehmen oder in Supermärkten zwei Euro mehr pro Stunde verdienen als in Hotels und
Gaststätten, dürfe es niemanden überraschen, dass sich die Menschen neu orientierten. „Schon vor
Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen. Unbezahlte
Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind nur einige
strukturelle Probleme. Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu
machen. Das rächt sich jetzt“, kritisiert Willem.
Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustellen. Zwar seien viele Firmen
nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen. Doch wer künftig überhaupt noch Fachleute
gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren
Arbeitsbedingungen bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, unterstreicht Willem: „Am
Ende geht es um einen Kulturwandel. Auch Servicekräfte haben ein Recht darauf, vor dem Dienst zu
wissen, wann Feierabend ist. Sie haben Anspruch auf eine anständige Bezahlung – unabhängig vom
Trinkgeld. Und auf eine faire Behandlung durch den Chef.“
Gastronomen, die das Mittagessen so günstig anböten, dass sie davon das Personal nicht mehr
bezahlen könnten, machten ohnehin grundsätzlich etwas falsch. „Viele Gäste sind durchaus bereit,
ein paar Cent mehr für die Tasse Kaffee zu bezahlen – gerade jetzt, wo den Menschen bewusst
geworden ist, dass der Besuch im Stammlokal ein entscheidendes Stück Lebensqualität ist“, so
Willem.
Die Gewerkschaft NGG verweist zudem auf die umfassenden Finanzhilfen des Staates für
angeschlagene Betriebe. So können sich Hotels und Gaststätten im Rahmen der
Überbrückungshilfen in diesem Monat bis zu 60 Prozent der Personalkosten bezuschussen lassen,
wenn sie Angestellte aus der Kurzarbeit zurückholen (Restart-Prämie). „Klar ist: Köchinnen, Kellner &
Co. freuen sich darauf, endlich wieder Gäste empfangen zu können. Viele arbeiten mit großer
Leidenschaft im Service. Auf diese Motiviation können die Betriebe bauen – und sollten das Personal
nicht erneut durch prekäre Löhne und schlechte Arbeitszeiten verprellen“, so Willem weiter.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit beschäftigte das Hotel- und Gaststättengewerbe in
Magdeburg zum Jahreswechsel 4.138 Menschen. Genau ein Jahr zuvor – vor Ausbruch der
Coronavirus-Pandemie – waren es noch 4.876. Damit haben innerhalb von zwölf Monaten 15 Prozent
der Beschäftigten die Branche verlassen.
Foto: Servicekraft händeringend gesucht: Viele Hotels und
Gaststätten finden aktuell kein Personal – weil während
der Lockdowns ein großer Teil der Beschäftigten die
Branche verlassen hat. Die Gewerkschaft NGG fordert, die
Arbeit im Gastgewerbe attraktiver zu machen. © NGG