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Aktuelle Nachrichten aus dem Bundestag

Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Do.., 6. Mai 2021

  1. Viel Zustimmung für Stiftung zur Demokratiegeschichte
    Kultur und Medien/Ausschuss
  2. Streit um Cluster-Erkennung per App
    Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung
  3. Pro und Contra zu Entwurf zum Rechtsdienstleistungsmarkt
    Recht und Verbraucherschutz/Anhörung
  4. Lob und Kritik für Menschenrechtspolitik
    Menschenrechte/Anhörung
  5. Grüne verlangen Klimaneutralität deutlich vor 2050
    Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit/Antrag


01. Viel Zustimmung für Stiftung zur Demokratiegeschichte

Kultur und Medien/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Die von der Bundesregierung geplante "Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte" trifft bei Historikern, Vertretern von Museen sowie Gedenk- und Erinnerungsstätten auf viel Zustimmung. Kritik und Nachbesserungswünsche gibt es aber auch. Dies zeigte sich in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses am Mittwoch über den entsprechenden Gesetzentwurf (19/28648) und das ebenfalls von der Bundesregierung vorgelegte Rahmenkonzept zur Stiftung (19/28535).

Der Historiker Bernd Faulenbach verwies darauf, dass die deutsche Demokratiegeschichte unterschätzt werde. Viele Menschen glaubten, dass die Demokratie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland gekommen sei und dass es in Deutschland an historischen Traditionen fehle. Im Zentrum der deutschen Erinnerungskultur stehe noch immer vorwiegend die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust.

Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, Walter Hütter von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Susanne Kitschun vom Ausstellungs- und Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen argumentierten, dass die geplante Stiftung geeignet sei, um die Arbeit der bereits bestehenden Museen und Gedenkorte besser zu vernetzen und stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Schwerpunkt der Stiftung sollte die Entwicklung neuer interaktiver und partizipatorischer Vermittlungsformate sein, forderte Lutum-Lenger. Nachholbedarf bestehe vor allem im Bereich digitaler Formate, sagte Hütter. Dies zeigten vor allem die Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Er erhoffe sich von der Stiftung einen "Entwicklungsschub" für die Entwicklung neuer zielgruppenorientierter Formate für museale Ausstellungen.

Die Geschichtsdidaktikerin Charlotte Bühl-Gramer von der Universität Erlangen-Nürnberg warnte davor, bei der Auswahl von Orten, Personen und Ereignisse die Demokratiegeschichte auf ihre "Sternstunden" zu reduzieren. Gerade auf Jugendliche wirke eine solche Vermittlung sehr schnell ermüdend. Es sollten vermehrt historische Situationen der Gefährdungen der Demokratie und die langen Kämpfe und Rückschläge thematisiert werden. Dies verdeutliche auch den Wert von Demokratie. Es dürfe nicht das Bild eines "abgeschlossenen Begriffscontainers" vermittelt werden. Demokratie sei ein Prozess. So sei ein Demokrat aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nach heutigen Maßstäben eventuell eben gar kein so guter Demokrat mehr, argumentierte Bühl-Gramer.

Der Historiker Stefan Scheil mahnte, die Auswahl der Orte der Demokratiegeschichte dürfte nicht auf das Gebiet des heutigen Deutschlands begrenzt werden. So seien etwa das Grab von Ferdinand Lasalle im polnischen Breslau oder Immanuel Kants in Königsberg, das heutige russische Kaliningrad, ebenfalls Ort der deutschen Demokratiegeschichte. Auch zeitlich sei das Rahmenkonzept für die Stiftung, das mit dem Hambacher Fest von 1832 beginne, zu begrenzt. Die Wurzeln der Demokratiegeschichte reichten bis in die frühe Neuzeit zurück, argumentierte Scheil.

Übereinstimmend attestierten der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, und Gesine Oltmanns von der Stiftung Friedliche Revolution bei ansonsten großer Zustimmung zu dem Stiftungskonzept, dass die Friedliche Revolution in der DDR bislang im Konzept unterbelichtet sei. Leipzig sei als Ort der deutschen Demokratiegeschichte eben genauso wichtig wie Frankfurt mit seiner Paulskirche. In diesem Sinne argumentierte auch Roland Jahn. Von einem französischen Historiker sei ihm gesagt worden, die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin sei "eure Bastille". Die Bedeutung solcher "Orte der Macht", die vom Volk erstürmt worden seien, müssten stärker herausgestellt werden. Auch Faulenbach attestierte, dass im vorliegenden Rahmenkonzept die Entwicklungen in der ehemaligen DDR unterbelichtet seien. Das Rahmenkonzept dürfe nicht eine geschlossene, sondern müsse eine offene Liste von Orten seien.

Scharfe Kritik am Rahmenkonzept der Stiftung wurde von Sebastian Garbe als Vertreter des Bündnisses "Decolonize", einem Zusammenschluss post- und dekolonialer Gruppen und Initiativen, geübt. Dieses blende die koloniale Vergangenheit und den Kampf von Protagonisten in den ehemals kolonisierten Ländern gegen den Imperialismus weitgehend aus. Diese hätten mit ihrem Kampf maßgeblich zur Demokratieentwicklung des imperialen Deutschlands beigetragen, argumentierte Garbe. Kritisch bewerte er auch die zentrale Rolle der Paulskirche in Frankfurt im Konzept. Sie sei ohne Zweifel ein wichtiger Ort der Demokratiegschichte. Allerdings habe sich die dort tagende Nationalversammlung in großer Mehrheit für die Errichtung einer deutschen Flotte als auch für die Förderung deutscher Auswanderung in zu errichtende überseeische Kolonien ausgesprochen.



02. Streit um Cluster-Erkennung per App

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/LBR) Der Digitalausschuss hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch mit der Sicherheit und Koordinierung der Nutzung von sogenannten Clustererkennungs-Apps wie der Corona-Warn-App der Bundesregierung (CWA) oder der Luca-App beschäftigt. Die Luca-App wird bereits in einigen Bundesländern zur Kontaktnachverfolgung eingesetzt, war aber zuletzt wegen Datenschutzmängeln in die Kritik geraten.

Ende April wurde die CWA, die über 27 Millionen Downloads verzeichnet, um eine anonyme Check-In-Funktion per QR-Code erweitert: Wer beispielsweise an einem öffentlichen Ort ist oder eine Veranstaltung besucht, kann so benachrichtigt werden, falls jemand von den anderen Besuchern positiv getestet wurde. Im Gegensatz zu Apps von privaten Anbietern müssen dort persönliche Daten wie der Name nicht angegeben werden. Gespeichert werden nur der Ort und die Art der Veranstaltung sowie die Dauer des Aufenthalts. Bislang basierte die Kontaktnachverfolgung etwa bei Restaurantbesuchen vor allem auf handschriftlichen Listen. Alternativ zur manuellen Cluster-Erkennung ist auch eine automatische Erkennung in der Diskussion - aber auch die Angabe von Kontaktdaten in Papierform wird weiter möglich sein.

SAP-Entwickler Martin Fassunge, der die CWA mitentwickelt hat, erklärte in dem Fachgespräch, dass sich die Situation im April 2020 fundamental von der aktuellen unterscheide - es komme vor allem auf Schnelligkeit an. Nutzer nehmen die neuen Features der CWA gut an, sagte er und verwies darauf, dass es etwa bei Events Kombinations-Lösungen, analog und digital, brauche, wie der Informationsaustausch zwischen App-Nutzern und Nicht-App-Nutzern gewährleistet werden kann.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber (SPD) sagte, die CWA habe seit dem Update eine "gut funktionierende und datenschutzfreundliche Clustererkennung". Die neuen Funktionen könnten ein Schub für die CWA sein - je mehr Menschen mitmachten, umso größer sei der Nutzen für alle. Er hoffe, dass über eine Art "Broadcasting" nachgedacht werde, sodass Besucher von Events per App eine Warnung erhalten könnten.

Der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, betonte, dass die Anzahl der Smartphone-Nutzer sowie die der Apps rasant steige. Ihm bereite die hohe Bedrohungslage Sorge, täglich kämen zwischen 300.000 und 400.000 neue Schadprogramme hinzu. Wichtig sei daher die Auslieferung der Apps nach den Prinzipien "Security by Design" und "Security by Default". Die CWA nannte er diesbezüglich "eine der erfolgreichsten Apps europaweit".

Henning Tillmann von d64- Zentrum für digitalen Fortschritt, betonte, dass Deutschland spät dran sei mit der Weiterentwicklung der CWA. Eine grundlegende Frage sei, ob es darum gehe, dass Gesundheitsämter mehr Daten verarbeiten können oder Menschen gewarnt werden sollen. Problematisch an der manuellen Clustererkennung per QR-Code sei die Fehleranfälligkeit, etwa beim Ausloggen beim Verlassen einer Location. Die automatische Cluster-Erkennung könne daher essentiell sein. Die Corona-Warn-App müsse auch insgesamt noch besser werden, also etwa Nutzern mehr Informationen zum Pandemiegeschehen anzeigen, sagte er.

Martin Tschirsich vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit sagte, die Hoffnung auf eine einzige digitale Gesamtlösung sei eine löchrige: "Die pandemische Realität ist sehr komplex, es benötigt ein kluges Zusammenspiel mehrerer technischer Lösungen", sagte er. Der Innovationsverbund habe daher die offene Schnittstelle IRIS ins Leben gerufen, sodass mehrere Akteure an der Kontaktnachverfolgung mitwirken könnten. Diese sei so etwas wie "die letzte Meile ins Gesundheitsamt", sagte Tschirsich. Es brauche keine Datenautobahn, sondern viel mehr bedarfsgetriebene Daten - und der Bedarf entstehe im Gesundheitsamt.

Die für das Gesundheitsamt Bodenseekreis tätige Sachverständige Bianca Kastl, betonte, dass die CWA Gesundheitsämtern früh Arbeit abnehmen könne. Funktionen wie das Kontakttagebuch könnten helfen, die Gespräche der Gesundheitsämter effizienter zu gestalten. Gästelisten seien hingegen kein Tagesgeschäft von Gesundheitsämtern. Diese Daten bräuchten oftmals eine ausführliche Analyse und diese lohne sich nur bei einem hohen Risiko eines Clusters. Die Datenqualität bei der Luca-App sei zudem "nicht immer hoch" und es gebe Probleme bei der Zugänglichkeit, etwa was die Barrierefreiheit, aber auch Sicherheitslücken für Hacks angehe.

Kritik an der Luca-App äußerte auch Linus Neumann vom Chaos Computer Club. Es betrübe ihn, dass über 21,8 Millionen Euro für Lizenzen einer zentralen Lösung ausgegeben wurden, bei der es immer wieder Sicherheitslücken wie etwa bei den Fake-Check-Ins oder den sogenannten Schlüsselanhängern gebe. Entscheidend seien die Zielgerichtetheit und Effizienz, auch um die Gesundheitsämter zu entlasten, nicht zu belasten, sagte Neumann. Die Cluster-Funktion der CWA sei überfällig, der Chaos Computer Club habe diese bereits seit Oktober 2020 gefordert.

Der CEO der Luca-App des Berliner Start-Ups Nexenio, Patrick Hennig, betonte, dass sich die Firma bewusst sei, dass Datensicherheit und Datenschutz erfüllt sein müssen. Auch deshalb sei der Quellcode ihres Systems offen gelegt, um eine Weiterentwicklung der Software zu ermöglichen. Die Einsatzbereiche im Vergleich zur CWA seien unterschiedlich. Die Luca-App könne Gesundheitsämtern gute Hinweise geben, zum Beispiel, ein Hygiene-Konzept eines Ortes zu überprüfen und auch erste Daten aus Modellregionen wie Nordfriesland zeigten, dass die App funktioniere.



03. Pro und Contra zu Entwurf zum Rechtsdienstleistungsmarkt

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/MWO) In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch haben Sachverständige den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (19/27673) deutlich kritisiert. Während die Vertreter der Anwaltsverbände und der Legal-Tech-Branche, um die es in dem Entwurf in erster Linie geht, diametrale Positionen vertraten, setzten sich die Rechtswissenschaftler mit den Argumenten beider Seiten auseinander.

Klar gegen den Entwurf sprach sich der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Ulrich Wessels, in seiner Stellungnahme aus. Die BRAK nehme die Vorlage zum Anlass, erneut auf die äußerst kritischen und massiven Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Rolle der Anwaltschaft und damit auf den Rechtsstaat insgesamt hinzuweisen. Der Ansatz, einen sich unterhalb der Anwaltschaft etablierenden Rechtsdienstleistungsmarkt weiter zu fördern, werde vehement abgelehnt. Unter der Fahne "Verbraucherschutz" werde letztlich nichts anderes vorgeschlagen als ein "Legal-Tech-Gesetz". Verbraucherschutz werde damit nicht erreicht, vielmehr gehe es inhaltlich um Geschäftsinteressen.

Edith Kindermann, die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, erklärte, das Anliegen der Bundesregierung sei berechtigt. Der Entwurf greife aber zu kurz. Es gehe nicht um eine Neuverteilung des Rechtsdienstleistungsmarktes, sondern darum, verstärkt in den Blick zu nehmen, auf welche Weise Beteiligte Konflikte lösen oder Konflikte vermeiden und welche Formen ihnen zur Verfügung stehen. Deswegen seien auch die verstärkten Möglichkeiten der Verbraucherschlichtung mit in den Blick zu nehmen und die Möglichkeit der kollektiven Durchsetzung von Verbraucherinteressen mit einzubinden. Über die Möglichkeiten der Beratungshilfe gebe es in Deutschland einen flächendeckenden qualifizierten Zugang zum Recht. Es könne nicht sein, dass Verbraucher ihre Rechte nur durchsetzen können, wenn sie etwas beisteuern.

Der Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verband Deutschland, Philipp Plog, erläuterte die Entwicklungsgeschichte der Unternehmen der Branche, die der Wunsch nach einer fairen und vernünftigen Öffnung des Rechtsmarktes verbinde. Der Verband bringe Akteure des Rechtsmarktes unabhängig von ihrer Berufssparte zusammen, um das enorme Potenzial von Technologie für die Weiterentwicklung von Rechtsberatung einzusetzen. Gerade die Mitglieder des Legal Tech Verbands hätten in einigen Rechtsgebieten den Zugang zum Recht maßgeblich verbessert.

Aus der Sicht von Plog will die Bundesregierung mit ihrem Reformvorhaben im Rechtsdienstleistungsgesetz, der Bundesrechtsanwaltsordnung und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Leitplanken für ein faires Spielfeld zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen etablieren. Dies werde unterstützt. Die Reform bringe eine dringende Verbesserung der Rechtssicherheit für Legal-Tech-Angebote, die als Inkassodienstleister operieren. Der Gesetzentwurf stelle endlich klar, dass Ansprüche von Geschädigten gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht auf die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt werden dürfen.

Der Hannoveraner Rechtsanwalt Volker Römermann, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, betonte in seiner schriftlichen Stellungnahme, dass der Entwurf das gesamte Geschehen von Rechtsdienstleistungen in den Blick nehme, sei überfällig. Rechtsdienstleister sollten Rechtssicherheit über die Zulässigkeit ihres Geschäftsmodells erhalten können. Versuche, dies zu verhindern, seien zum Scheitern verurteilt.

Der Berliner Rechtsanwalt und Mediator Markus Hartung erklärte, nichtanwaltliche Rechtsdienstleister böten mit Hilfe innovativer Software einen sehr einfachen und für den Kunden risikolosen Service an. Insgesamt erweise sich der Gesetzesentwurf als ein guter Weg, um den aus der Balance geratenen Rechtsdienstleistungsmarkt wieder ins Lot zu bringen. Dass dies mit Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht verbunden sei, die, obwohl innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens, für traditionelle Standesvertreter nicht leicht zu verdauen seien, müsse hingenommen werden.

Martin Henssler von der Universität zu Köln verwies darauf, dass seit der Erweiterung der Rechtsdienstleistungsbefugnisse von Inkassounternehmen durch den BGH mit der aufsehenerregenden Entscheidung in der Sache "wenigermiete.de" eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehe. Im Kern geht es bei der anstehenden Reform darum, einerseits einen rechtssicheren Regelungsrahmen für die neuartigen Formen von Inkassodienstleistungen zu schaffen und andererseits Wettbewerbsnachteile der Rechtsanwaltschaft gegenüber anderen Rechtsdienstleistern, die keinen vergleichbaren berufsrechtlichen Restriktionen unterliegen, zu beseitigen. Im Grundsatz seien diese beiden Kernanliegen des Regierungsentwurfs uneingeschränkt zu begrüßen. Es gebe es allerdings auch Kritikpunkte. Insbesondere seien die Befugnisse der Inkassounternehmen zu weit gezogen.

Matthias Kilian, ebenfalls von der Kölner Universität, betonte, eine gesetzgeberische Reaktion auf die BGH-Entscheidung sei im Interesse der Rechtsuchenden unverzichtbar. Sie dürfe sich aber nicht nur auf punktuelle Neuregelungen aus der Perspektive einer Angleichung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen Rechtsanwaltschaft und Inkassodienstleistern beschränken, sondern müsse stärker den Mandanten- beziehungsweise Verbraucherschutz in den Blick nehmen, als dies in der Entwurfsfassung des Gesetzes der Fall ist.

Christian Wolf von der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover wies in seiner Stellungnahme unter anderem darauf hin, dass eine qualifizierte Rechtsdienstleistung nur möglich sei, wenn der Rechtsdienstleister vom Staat unabhängig ist. Inkassounternehmen seien dies nicht, sie unterstünden der staatlichen Wirtschaftsaufsicht. Zudem setze qualifizierte Rechtsberatung Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen voraus, was auf Inkassodienstleister nicht zutreffe. Gleiches gelte für die als Inkassodienstleister zugelassenen Legal-Tech-Unternehmen.



04. Lob und Kritik für Menschenrechtspolitik

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/SAS) Der 14. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik im Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis zum 20. September 2020 (19/25000) war am Mittwochnachmittag Thema einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. In der Anhörung würdigten die Sachverständigen die regelmäßige Berichterstattung, äußerten jedoch auch Kritik im Detail. So sahen sie zum Beispiel Nachbesserungsbedarf bei der Auswahl der Länderberichte. Auch mahnten die Experten einen noch konsequenteren Einsatz der Bundesregierung für die Menschenrechte an - international wie in Deutschland selbst.

So forderte Lina Al-Hathloul, Schwester der gerade mit dem Vaclav-Havel-Preis für Menschenrechte ausgezeichneten saudi-arabischen Frauenrechtsaktivistin Loujain Al-Hathloul, den Druck auf Saudi-Arabien zu erhöhen. Deutschland müsse als einer der wichtigsten Handelspartner den Druck auf das Königreich erhöhen und echte Menschenrechtsreformen zur Voraussetzung für jede Art der weiteren Zusammenarbeit machen. Es dürfe sich auch nicht etwa von Förderprogrammen für Frauen täuschen lassen, mit denen die Regierung versuche Imagepflege zu betreiben und von ihren massiven Menschenrechtsverletzungen abzulenken.

Der Publizist David Berger lenkte den Blick nach Deutschland und kritisierte die Einschränkungen von Grundrechten im Zuge der Pandemiebekämpfung: Dies habe der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung im Einsatz für die Menschenrechte geschadet. Auch die Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes und die Neuregelung des Paragrafen 188 Strafgesetzbuch, der eine "im politischen Leben stehende Person" vor übler Nachrede oder Verleumdung schützt, geißelte der Journalist und Blogger: In Deutschland sei ein Klima entstanden, in dem "die Mehrzahl der Bürger, wichtige Journalisten und inzwischen auch Schauspieler Angst haben, ihre Meinung zu sagen".

Johannes Pieper vom Paritätischen Gesamtverband wies dagegen auf die wachsende Armut in Deutschland hin. Dies sei besorgniserregend, da weitere Benachteiligungen etwa im Bereich Bildung, Wohnen oder Gesundheit damit einhergingen, sagte er und drängte darauf, die Regelsätze in der Grundsicherung zu erhöhen. Als eine Verletzung des Menschenrechts auf Wohnen monierte Pieper zudem Stromsperren. Betroffene hätten keine Möglichkeit, warmes Wasser zuzubereiten, zu kochen oder auch zu heizen. Die Übernahme der Stromkosten in der Grundsicherung müsse dringend neu geregelt werden, so die Forderung des Experten.

Julia Duchrow von Amnesty International begrüßte, dass die Bundesregierung regelmäßig über ihre Menschenrechtspolitik informiert. Allerdings merkte sie an, dass der Bericht "aussagekräftiger" wäre, wenn er sich auch kritisch damit auseinandersetzen würde. Nicht überzeugend sei zudem die Auswahl der Länderberichte. Engagiert und konstruktiv sei die Mitarbeit Deutschlands im UN-Menschenrechtsrat. Doch es müsse noch "klarere Kante" im Rahmen der Vereinten Nationen und in der Europäischen Union zeigen, um der Erosion der globalen Menschenrechtsregime entgegenzuwirken. Hart ins Gericht ging Duchrow mit der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik: Illegale Push-backs an den EU-Außengrenzen widersprächen den menschenrechtlichen Standards, Kooperationen mit Drittstaaten wie der Türkei oder Libyen seien ein "Irrweg".

Die Kritik an der Auswahl der Länderberichte teilte Martin Lessenthin, Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte: Dass etwa die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Kuba darin nicht zur Sprache kämen, sei ein Manko. Er warnte auch vor verfrühten Hoffnungen hinsichtlich einer Rettung des Atomabkommens mit Iran. Das Land stehe vor Wahlen, mit weiteren Repressionen sei rechnen, so der Experte. Die Bundesrepublik betrachte der Iran als "schwachen Staat", den man leicht unter Druck setzen könne, um wirtschaftspolitische Ziele oder Vorteile bei den Atomverhandlungen zu erreichen. Daher sei der Anreiz, Geiseln zu nehmen groß.

Eine "eklatante Verschlechterung" der Menschenrechtssituation in Iran beklagte auch Neda Soltani, Referentin für gefährdete und geflüchtete Wissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin: Tausende Menschenrechtler, Rechtsanwälte, Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten, aber auch "hochbegabte, junge Studierende" seien willkürlich in Haft. Die Zahl der Hinrichtungen und Misshandlungen in Gefängnissen steige. Damit wolle Teheran jede Art von Kritik unterbinden, so Soltani. Angesichts dessen reichten "schriftliche Bekenntnisse zu den Menschenrechten in Iran" nicht aus, monierte sie. Es brauche eine überzeugende Strategie der Bundesregierung. Einen Kompromiss in den Verhandlungen über das Atomabkommen dürfe es mit diesem "autoritären Regime" nicht geben.

Dietmar Roller, Vorstandsvorsitzender der International Justice Mission Deutschland, einem Netzwerk, das sich gegen moderne Sklaverei einsetzt, konstatierte eine Zunahme von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Menschenhändler nutzten ganz gezielt Migrationsbewegungen, um Frauen und Minderjährige nach Europa zu schleusen. Für sexuelle Ausbeutung, insbesondere auch von Kindern, würden aber zunehmend auch Internet und digitale Technologien genutzt. Ein neuer Trend, den die Corona-Pandemie verstärkt habe, so Roller, und dem die Bundesregierung mit schärferen Gesetzen entschiedener entgegentreten müsse.



05. Grüne verlangen Klimaneutralität deutlich vor 2050

Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit/Antrag

Berlin: (hib/CHB) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode eine Reform des Klimaschutzgesetzes vorzulegen, in der für 2030 ein Klimaschutzziel von minus 70 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 festgelegt wird. In einem Antrag (19/29294), der am Freitag auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht, verlangt die Fraktion außerdem, einen Gesamtplan festzulegen mit dem Ziel, Klimaneutralität deutlich vor 2050 zu erreichen.

Im Einzelnen sprechen sich die Antragsteller dafür aus, den Ausbau der erneuerbaren Energien ab sofort deutlich zu beschleunigen und den nationalen CO2-Preis für die Bereiche Wärme und Verkehr anzuheben. Konkret soll die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro auf das Jahr 2023 vorgezogen werden; danach soll der Preis weiter ansteigen. Außerdem fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter anderem, Solaranlagen auf Dächern zum Standard zu machen, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen und den Einbau neuer Ölheizungen in Gebäuden ab 2021 grundsätzlich nicht mehr zuzulassen.