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Gallein, Silke

Magdeburg-News: Trotz Corona Teilhabe für Menschen mit Behinderungen schaffen

Donnerstag, den 3. Dezember 2020

Malteser in Magdeburg erinnern am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen an Fortschritte und bestehende Defizite bei der Inklusion.

Von Steffi Möhle

Magdeburg. Heute am 3. Dezember ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen. Seit 1993 soll der von den Vereinten Nationen ausgerufene Gedenk- und Aktionstag die Öffentlichkeit für die Belange von Menschen mit Behinderungen sensibilisieren und die Würde, Rechte und das Wohlergehen dieser Menschen stärken. „Auch wenn sich in den letzten Jahren vieles getan hat, machen wir derzeit auch aufgrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wieder viele Schritte rückwärts, wenn es um die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung geht“, sagt Silke Gallein (Foto), Beraterin bei der EUTB® (Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung) in Magdeburg.

 
Isolation und Vereinsamung während der Corona-Pandemie

Sie mahnt die Isolation und Beschneidung von Rechten derer an, die in Pflege-, Alten- oder Behinderteneinrichtungen wohnen. Pandemiebedingt werden zudem in diesem Jahr auch kaum Aktionen anlässlich des Gedenktages stattfinden. „Dabei ist es wichtig, immer wieder auf Missstände aufmerksam zu machen, denn obwohl sich viel bewegt hat, bleibt vieles auch beim Alten“, weiß Silke Gallein. Die UN- Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vom 26. März 2009 oder das 2016 erlassene Bundesteilhabegesetz (BTHG), das bis 2023 in vier Stufen in Kraft tritt, sind dabei Meilensteine für die Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. „Die Betroffenen haben heute in Deutschland einen Rechtsanspruch auf volle und gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen – zumindest in der Theorie. In der Praxis haben sie oft große Probleme, diesen Anspruch durchzusetzen. Recht zu haben, heißt eben nicht gleich, Recht zu bekommen. Immer wieder machen Menschen mit Behinderung die Erfahrung von Auseinandersetzungen mit Ämtern und Behörden um Leistungen, die sie zur Bewältigung des Alltags oder im Berufsleben benötigen. Nach wie vor werden Menschen mit Behinderung in vielen Lebensbereichen benachteiligt, erfahren Diskriminierung“, weiß Silke Gallein.

 
EUTB®-Beratungsstellen informieren niedrigschwellig und unabhängig

Allerdings wurde durch das BTHG eine deutlich verbesserte Infrastruktur zur Beratung von Menschen mit Behinderungen geschaffen. Ab Januar 2018 öffneten bundesweit rund 500 Anlaufstellen der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, kurz EUTB®. Das kostenlose Beratungsangebot soll Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung und deren Angehörige niedrigschwellig und unabhängig über alle Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe informieren und ihre Selbstbestimmung stärken. Und genau hier berät auch Silke Gallein seit Mai 2018. „Wir beraten zu einem riesigen Themenspektrum: angefangen vom Antrag für einen Schwerbehindertenausweis über Fragen zum persönlichen Budget, zum Budget für Arbeit, zu Assistenzen und allgemeinen Hilfsmitteln, zu Wohnen, Mobilität, Pflegegraden, Teilhabe an Freizeit bis hin zu Fragen wie: Wie kommuniziere ich mit Behörden? Wer ist wofür zuständig? Wie stelle ich einen Antrag?“, erklärt Silke Gallein. Silke Gallein ist in ihrer Rolle als Beraterin und Koordinatorin der EUTB® bei den Maltesern berufsmäßig gut angekommen. Vielleicht auch, weil die studierte Sozialpädagogin selbst ein Mensch mit Behinderung ist, die erst im Laufe des Lebens erworben wurde und die von anderen nicht wahrgenommen wird.

 
Formen von Behinderungen sind nicht immer sichtbar

„Das ist leider häufig ein Problem. Teilhabe und Inklusion ist ein gesellschaftliches Problem, nicht das von wenigen, sondern von vielen“, erklärt Silke Gallein. „Viele andere Arten von Behinderung entziehen sich unserer direkten Wahrnehmung. Die meisten Behinderungen werden erst im Lauf eines Lebens erworben“, fügt sie hinzu. Behinderungen können alle Bereiche der körperlichen, psychischen und geistigen sowie seelischen Gesundheit betreffen. Das Spektrum ist weit: verlorene oder funktionseingeschränkte Gliedmaßen, Funktionsverluste bei Sinnesorganen sowie Sprach- oder Lernbehinderungen. So haben beispielsweise etwa 150 Millionen weltweit eine körperliche Behinderung, darunter circa zwei Millionen Kinder. Etwa jede vierte Person entwickelt im Leben eine psychische Behinderung. Rund 250 Millionen Menschen weltweit sind von einer Depression betroffen. Mit einer diagnostizierten Schizophrenie leben etwa 50 Millionen Menschen.

 
Chronischen Erkrankungen und Behinderungen schränken Alltag Betroffener massiv ein

Auch Silke Gallein sieht man ihre Einschränkungen nicht an. Neben Funktionseinschränkungen an einigen Gelenken lebt sie mit einer chronischen Schmerzerkrankung, die seit vielen Jahren ihren Alltag beeinflusst. Was vor mehreren Jahren schleichend in ihr Leben trat und zunächst in Schüben kam und ging, ist seit mehr als zwei Jahren immer da, der wechselnde Körperschmerz. „Der wird auch bleiben. Ihn als ständigen Begleiter zu akzeptieren und in mein Leben zu integrieren, fiel mir nicht leicht“, berichtet Silke Gallein. Eine jahrelange Odyssee von einem Facharzt zum anderen, verschiedene Therapien und teilweise viel Unverständnis und auch Diskriminierung durch medizinisches Fachpersonal liegen hinter ihr. Es gibt wohl mehrere Ursachen für die Erkrankung, u.a. liegen einige Operationen hinter Frau Gallein, die vorher und hinterher mit viel Schmerzen verbunden waren. Hinzu kam eine jahrelange berufliche Stresssituation, die lange nicht als solche erkannt wurde. Als sich dann auch noch private Krisen zuspitzten, riefen Körper und Seele um Hilfe. Silke Gallein nahm medizinische und berufliche Rehamaßnahmen selbst in Anspruch, fühlt sich heute medizinisch ausreichend betreut. „Die Krankheit gehört zu mir, sie hat mich verändert. Ich nehme heute mehr Rücksicht auf mich selbst, höre darauf, was mein Körper mir sagt, achte auf Grenzen der Belastbarkeit“, erzählt Silke Gallein. Damit, dass Außenstehende ihre Einschränkungen nicht wahrnehmen und sie dadurch auch immer wieder auf Unverständnis trifft, kann sie inzwischen gut leben. Wenn es sein muss, erklärt sie es. Sie steht zu ihrer Behinderung. „Es gibt gute und weniger gute Tage, wie bei allen anderen Menschen auch“, weiß Silke Gallein.

 
Durch Peer-Counseling Beratung für Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe

Mit diesen persönlichen Erfahrungen steht Silke Gallein, wie viele andere EUTB®- Beraterinnen- und -berater, den Ratsuchenden als Peer-Beraterin gegenüber. „Das eigene Leben ermöglicht ein vertrauensvolles Gespräch auf Augenhöhe. Ratsuchende müssen sich nicht lange erklären. Sie haben ein Gegenüber, das weiß, was Behinderung und Krankheit bedeutet, was beides mit der eigenen Persönlichkeit macht und das vielleicht ganz ähnliche Diskriminierungserfahrungen erlebt hat“, erklärt Silke Gallein. Gleichzeitig vermittelt ein Peer durch sein eigenes Vorbild, dass es Möglichkeiten und Spielräume gibt, den eigenen Weg zu finden. Silke Gallein möchte Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und mit solch einem oder ähnlichen Krankheitsbild leben, angelehnt an die EUTB®, die Möglichkeit zum Kennenlernen und Austausch geben. „Eine Gruppe, die sich versteht und wo man sich nicht erklären muss, in der man sich gegenseitig stärkt und unterstützt, kann für viele Betroffene eine wertvolle Hilfe sein“, sagt Silke Gallein. Aufgrund der Corona- Pandemie sind derzeitig zwar keine persönlichen Treffen möglich. Interessierte können sich dennoch bei Silke Gallein melden.

Kontakt:

EUTB® Magdeburg

Malteser Hilfsdienst e. V.

Ansprechpartner: Silke Gallein und Martin Falge

Schönebecker Straße 82-84, 39104 Magdeburg

Anfahrt: Straßenbahnlinie 2, Haltestelle Wasserwerk

E-Mail: eutb.magdeburg@malteser.org

Telefon: 0391 6093172 oder 0391 6093171

Sprechzeiten: Di 13-17.30 Uhr, Mi 12-16 Uhr, Do 9-13 Uhr sowie nach Vereinbarung 

Hintergrund:

Laut dem Weltbehindertenreport der WHO von 2017 leben weltweit mehr als eine Milliarde Menschen mit Behinderungen. Dies entspricht etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung.

In der EU leben etwa 87 Millionen Menschen über 16 Jahren mit einer Behinderung. Laut Statistischem Bundesamt lebten zum Jahresende 2019 rund 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland.

In Sachsen-Anhalt waren Ende 2018 fast 200.000 anerkannte Schwerbehinderte registriert, in der Stadt Magdeburg waren es rund 18.900 Menschen, die hier mit einer anerkannten Schwerbehinderung leben.