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Borgwardt

Rede des Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Siegfried Borgwardt, zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten „Stand der SARS-CoV2-Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung notwendigen Maßnahmen“

Dienstag, den 3. November 2020


Die Rede im Wortlaut ...

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,

keiner hat ein Patentrezept für eine solche Situation, weil es keine derartigen Präzedenzfälle gibt.

Wir sehen wieder Menschen, die Untergangsszenarien und Verschwörungstheorien unterbreiten. Wir dagegen versuchen verantwortungsbewusst und verhältnismäßig die Menschen zu informieren sowie die Folgen der Pandemie abzufedern und die Einschränkungen so gering wie möglich zu halten. Darum wiederhole ich das, was ich bereits im Mai hier im Plenum gesagt habe: Mit der Corona-Krise durchleben wir die größte politische und gesellschaftliche Herausforderung der Nachkriegsgeschichte.

Weltweit werden wir weiter auf eine gewaltige Bewährungsprobe gestellt. Eine Bewährungsprobe, die an der Akzeptanzgrenze der Bevölkerung kratzt. Laut einer Forsa-Umfrage halten 50 Prozent der Befragten die neuen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für angemessen. Wieder einmal geht es darum, die Disziplin eines jeden Einzelnen einzufordern. Das ist nötig, denn es geht auch jetzt wieder um nicht weniger als das Leben und die Gesundheit der Menschen.

Die Notwendigkeit der Maßnahmen hat die Bundeskanzlerin in Ihrer Regierungserklärung in der vergangenen Woche verdeutlicht und auch nachvollziehbar begründet. Dass sich die Zahlen deutschlandweit, auch in Sachsen-Anhalt, erhöht haben, ist nicht abzustreiten.

Eine Kontaktverfolgung ist kaum mehr möglich. Aktuell verdoppeln sich die Infiziertenzahlen etwa alle sieben und die Zahl der Intensivpatienten etwa alle zehn Tage. Nach den Statistiken des Robert Koch-Institutes sind die Ansteckungsumstände im Bundesdurchschnitt in mehr als 75 Prozent der Fälle unklar.

Auch in Sachsen-Anhalt hat sich der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner von einem zunächst sehr niedrigen Niveau innerhalb der letzten drei Wochen stark erhöht. Ein Drittel der seit Beginn der Pandemie in Sachsen-Anhalt festgestellten COVID-19-Infektionen wurden in diesem kurzen Zeitraum verzeichnet. Die 7-Tage-Inzidenz ist mit über 50 heute siebenmal so hoch wie vor drei Wochen und steigt mit zunehmender Geschwindigkeit.

Zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage ist es deshalb nun erforderlich, durch eine befristete erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und die Zahl der Neuinfektionen wieder in die nachverfolgbare Größenordnung von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche zu senken.

Eine solche Dynamik würde ansonsten die Intensivmedizin in wenigen Wochen überfordern. Diese Situation betrifft uns alle.

Die Fraktion der CDU hat den Ministerpräsidenten darum gebeten, den Stand der Corona-Pandemie und die entsprechenden Maßnahmen in einer Regierungserklärung zu thematisieren. Denn nur eine öffentliche Debatte über die gravierenden Einschränkungen kann Akzeptanz schaffen und stärkt die parlamentarische Demokratie.

Zu den nun beschlossenen Maßnahmen zählen unter anderem neue Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum, die Schließung zahlreicher Einrichtungen der Bereiche Freizeitgestaltung und Gastronomie sowie das Verbot von Unterhaltungsveranstaltungen. Hinzu kommen eindringliche Appelle, Kontakte im privaten Bereich zu verringern und auf unnötige Privatreisen zu verzichten.

Dass Kitas und Schulen geöffnet bleiben, haben wir auch dem Einsatz unseres Ministerpräsidenten zu verdanken. Das entlastet die Eltern. Das ist auch eine wesentliche und entscheidende Veränderung zum Lockdown im Frühjahr dieses Jahres. Übergeordnetes Ziel ist es jetzt, die Ausbrüche einzudämmen.

Steigen die Zahlen weiter, drohen ein Kontrollverlust und eine Überlastung unseres Gesundheitssystems. Das müssen wir jetzt verhindern.

Daher trägt die CDU-Fraktion den Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs mit. Nach dem befristeten Teil-Lockdown und der Bewertung der Infektionszahlen für Sachsen-Anhalt sollte aus Sicht der CDU-Fraktion allerdings erneut auf den Sachsen-Anhalt-Plan eingeschwenkt werden, der dem Infektionsgeschehen hierzulande bisher gut Rechnung getragen hat.

Wir können aktuell aber nicht die Augen davor verschließen, dass ein länderübergreifendes abgestimmtes Maßnahmenpaket den größten Nutzen bringt. Nach 14 Tagen muss unserer Auffassung nach aber überprüft werden, ob die harten und weitreichenden Maßnahmen greifen und eben nicht erst nach vier Wochen.

Zudem sollten auch im Parlament die Kontakte auf ein Minimum reduziert werden. Deshalb unterstützen wir die Vereinbarung, die Fraktionsstärke auf zwei Drittel zu reduzieren bis zur Verabschiedung einer verfassungskonformen Regelung.

Wir verstehen den Frust und auch die Verzweiflung aller Betroffenen. Unter anderem die Gastronomiebetreiber haben durch Hygienekonzepte und Investitionen in Plexiglasscheiben u.a. viel Geld aufgewendet.

Wir als CDU-Fraktion sind dabei ganz nah dran am betroffenen Personenkreis. Deswegen haben wir auch im Frühjahr darauf gedrängt, unsere Gaststätten oder Hotels früher zu öffnen als in Bundesländern, wo das Infektionsgeschehen deutlich stärker ausgeprägt war.

Darum, und dafür danke ich auch der Bundesregierung, ist es zu begrüßen, dass für die vielen durch die Schließung betroffenen Betriebe, der Umsatzausfall in Höhe von 75 Prozent, des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats aus 2019, erstattet werden soll. Auch die Unternehmen, die nach November 2019 neu gegründet worden sind, müssen ebenfalls in entsprechender Weise ihre fehlenden Umsätze ersetzt bekommen.

Zudem müssen die finanziellen Hilfen für betroffene Unternehmer und Kulturschaffende schnell und massiv aufgestockt werden. Nur so kann es uns letztendlich gelingen, Arbeitsplätze und Existenzen zu retten.

In Anbetracht der Verbreitung der Krise sind die Maßnahmen nach Aussage der Kanzlerin Angela Merkel „geeignet, notwendig und verhältnismäßig“. Wir befinden uns in einer außerordentlichen Lage. Das sollte jedem hier gegenwärtig sein.

Wer einer Bundes- oder Landesregierung, die sich für die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger einsetzt, in so einer Phase Aktionismus vorwirft, handelt unüberlegt und verantwortungslos.

Mildere Mittel um das exponentielle Wachstum der Infektion zu verhindern, sind derzeitig nicht vorhanden. Mit den jetzt von den Regierungschefs einstimmig beschlossen Maßnahmen geht es vor allem darum, die Risikogruppen zu schützen.

Mit diesen Maßnahmen steht Deutschland nicht allein da. Auch gerade der von der AfD hochgelobte schwedische Weg scheint nicht das Maß der Dinge zu sein. Nach einem Bericht des Merkurs gibt es dort seit Beginn der Pandemie 121.000 Corona-Fälle, ca. 6000 Menschen sind daran verstorben. Zum Vergleich: Deutschland mit Stand vom 28. Oktober 2020, 498.000 Fälle, ca. 10.000 Todesfälle bei ca. achtmal so vielen Einwohnern. Auch in Schweden sollen nun die Kontakte mit Personen aus anderen Haushalten ebenso gemieden werden wie der Nahverkehr oder Veranstaltungen wie Konzerte oder sportliche Wettkämpfe.

Weitere Einschränkungen gibt es auch in Luxemburg, Österreich oder Frankreich. In Spanien wurde sogar bereits der Gesundheitsnotstand ausgerufen.

Diese Beispiele zeigen, dass Deutschland keineswegs alleine handelt, sondern wie viele Länder europa- und auch weltweit. Die Entscheidungen basieren dabei auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Die Maßnahmen, die seit gestern gelten, schränken hart erkämpfte Freiheitsrechte aber auch Unternehmerrechte ein. Dessen sind wir uns natürlich bewusst. Mit Förderprogrammen und auch der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes wurden schnelle Maßnahmen ergriffen, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Hier ist es wichtig, dass die Abwicklung schnell und unbürokratisch erfolgt.

Das werden wir uns die nächsten 14 Tage genau ansehen. Kommt die Hilfe nicht, die die Bundesregierung zugesichert hat, wird die Akzeptanz der Bevölkerung schwinden und wir müssen über eigene Zwischenfinanzierungen nachdenken.

Uns sind natürlich die wirtschaftlichen Folgen für Mittelstand, Handwerk, Soloselbstständige und Freiberufler bekannt. Zahlreiche Branchen, wie die Gesamtheit des Tourismus, werden noch auf absehbare Zeit nicht zur vorherigen Normalität finden können.

Mit Blick auf die von einigen beklagte Einschränkung der Grundrechte möchte ich ganz klar sagen, dass sich der Freiheitsbegriff für uns nicht nur auf die Starken und Jungen beschränkt. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Schwachen und der anderen. Wer in der derzeitigen Situation in seinen Entscheidungen das Risiko der Schwachen nicht berücksichtigt, handelt verantwortungslos. Wirtschaftliche Fehlentwicklungen oder Fehler im Bildungssystem können korrigiert werden. Was nicht korrigiert werden kann, ist der Tod eines nahen Angehörigen.

Eine vor allem von der Opposition oft geäußerte Kritik, auch in unserem Hause, ist die Nichteinbeziehung des Parlaments bei den Entscheidungen der Landesregierung.

In den zahlreichen Gesetzesentwürfen hat auch dieser Landtag den Rahmen für die Arbeit der Landesregierung geschaffen. Die Opposition verwechselt dabei häufig das eingeforderte Mitspracherecht mit eigenen Anträgen, die sich einfach nicht durchgesetzt haben. Der CDU/CSU-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat es in der Debatte im Bundestag in der vergangenen Woche auf den Punkt gebracht. Die Anzahl der Personen in einem Geschäft, die Größe der zu öffnenden Geschäftsflächen oder welche Geschäfte geschlossen werden, sind Entscheidungen, die die Exekutive zu treffen hat.

In einem solchen Ausnahmefall wie einer Pandemie muss schnell gehandelt werden. Und für dieses schnelle Handeln hat die Landesregierung das volle Vertrauen der CDU-Fraktion. Es geht jetzt nicht um persönliche oder ideologische Befindlichkeiten, sondern um die Bekämpfung einer Pandemie.

Es ist das gute Recht und auch die Pflicht der Opposition die Maßnahmen und Entscheidungen einer Regierung zu kritisieren und zu hinterfragen. Aber das Handeln der Bundes- und der Landesregierung als Aktionismus zu betiteln, nur weil es Vorkehrungen trifft, von denen man überzeugt ist, sie retten die Menschen in unserem Land, ist eine Frechheit. 

Wir stellen der Landesregierung aber keinen Blankocheck aus. Das bedeutet, dass diese Maßnahmen überprüft und nach unserem Vorschlag nach 14 Tagen evaluiert werden müssen.

Bereits die Maßnahmen, die die Landesregierung im Frühjahr veranlasste, waren aus Sicht der CDU-Fraktion richtig und notwendig. Jeder Einzelne musste sein privates und berufliches Leben an die neuen Bedingungen anpassen. Das wird auch mit der neuen Verordnung der Fall sein. Dass das nicht leichtfällt, kann ich nachvollziehen.

So unpopulär und ungewöhnlich die Verordnungen im Frühjahr auch gewesen sein mögen, haben sie geholfen, die Fallzahlen der Infizierten und Toten in Sachsen-Anhalt so gering zu halten. Mit der neuen Verordnung geht die Hoffnung einher, dass uns das wieder gelingen wird.

Bisher können wir stolz auf die Menschen in diesem Land sein. Jetzt entscheidet sich, wie wir Weihnachten und die nächsten Monate in diesem Land verbringen werden. Wirtschaft und Gesellschaft haben im Frühjahr bewiesen, dass sie die Vorgaben von Bundes- und Landesregierung einhalten.

Zum damaligen Zeitpunkt waren wir unserem Ministerpräsidenten auch dankbar, dass er sich frühzeitig von der Bundeslinie abgekoppelt hat, da sich das Corona-Virus bundesweit unterschiedlich ausgebreitet hat. Ballungsgebiete sind stärker betroffen, als der ländliche Raum. Nunmehr nehmen die Zahlen auch in unserem Bundesland rapide zu. Daher ist es auch ein bemerkenswerter und zu lobender Schritt, dass alle Regierungschefinnen und Regierungschefs diese Verordnung mittragen. Nur gemeinsam können wir diese Pandemie besiegen.

Im Mai habe ich es bereits gesagt, dass Prävention nicht oft die verdienten Lobeshymnen erhält, weil der Mensch nicht sieht, was sie verhindert hat. Deshalb wird der jetzt eingeschlagene Weg von uns mitgetragen.

Die Pandemie hat bisher gezeigt, dass die Menschen füreinander in Krisenzeiten einstehen. Sie hat gezeigt, dass die Bundes- und Landesregierung und auch wir als Parlament in wichtigen Zeiten schnelle Entscheidungen treffen können.

Nur leider hat sich die Situation nach dem Sommer deutlich verschlimmert. Wie wir jetzt mit der Pandemie umgehen, entscheidet über die Gesundheit unserer Bürger und Bürgerinnen, aber auch unserer Wirtschaft. In den kommenden Wochen und Monaten müssen wir wieder für das Verständnis unserer Bürgerinnen und Bürger werben. Jeder Mensch ist jetzt dazu aufgerufen, aktiv mitzuwirken, den Virus in den Griff zu bekommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bleiben Sie gesund!