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SAN Heute

Bundesverband RIAS e.V. stellt Studie zu Antisemitismus in Sachsen-Anhalt vor – positive Bezüge auf den NS oder Relativierungen der Schoa sind dominierende Formen

Dienstag, den 28. April 2020

Magdeburg  – Nicht erst seit dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle (Saale) im Oktober 2019 ist Antisemitismus für Jüdinnen und Juden in Sachsen-Anhalt alltagsprägend. Das geht aus einer Befragung jüdischer Gemeinden hervor, die der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) e.V. heute vorstellte.

Die„Problembeschreibung: Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“ wurde vom Bundesverband RIAS e.V. im Auftrag der Landesregierung Sachsen-Anhalt erstellt. Sie setzt sich zusammen aus einer Analyse von polizeilichen und zivilgesellschaftlichen Daten zu antisemitischen Vorfällen und Straftaten im Bundesland und einer Befragung jüdischer Communities vor Ort. Die „Problembeschreibung“ ist unter tiny.cc/PB-LSA-2020 einzusehen.

Der Bundesverband RIAS e.V. führte im vergangenen Sommer 14 leitfadengestützten Interviews mit jüdischen Akteur_innen und Vertreter_innen staatlich geförderter Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Die Befragten gaben an, subtile und unterschwellige Formen von Antisemitismus mit Bezug zur Schoa oder zu Israel würden ihren Alltag prägen. Die Bereitschaft, antisemitische Erfahrungen anzuzeigen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen zu melden, wird von den Befragten als niedrig bewertet. Aufgrund des Terroranschlags im Oktober in Halle ergeben sich neue Herausforderungen für die jüdischen Gemeinden, wie eine schriftliche Nachbefragung offenbarte.

Für den Zeitraum 2014 und 2018 wertete der Bundesverband RIAS e.V. zudem 334 antisemitische Vorfälle – von verbalen und schriftlichen Anfeindungen über Bedrohungen, gezielten Sachbeschädigungen bis hin zu körperlichen Angriffen – aus, von denen 270 auch polizeilich registriert wurden. In der überwiegenden Mehrheit der 334 strafbaren und nichtstrafbaren Vorfälle (63 %) wurde die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen angegriffen oder es fand ein positiver Bezug auf den Nationalsozialismus statt.

Die „Problembeschreibung“ mündet in die Empfehlung, auch in Sachsen-Anhalt eine zivilgesellschaftliche Meldestelle für antisemitische Vorfälle und damit eine leichtere Erreichbarkeit für Betroffene einzurichten.

Stimmen zur Veröffentlichung der „Problembeschreibung: Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“:

Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt:

„Auch in Sachsen-Anhalt haben wir ein Antisemitismusproblem - und zwar bereits lange vor dem Terroranschlag von Halle. Dagegen werden wir entschieden vorgehen. Deshalb werden wir die Empfehlung des Bundesverbandes RIAS aufgreifen und auch in Sachsen-Anhalt eine Meldestelle für die Betroffenen einrichten. Darüber hinaus wird die Landesregierung ein ‚Aktionsprogramm gegen Antisemitismus‘ auf den Weg bringen.“

Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands RIAS e.V.:

„Aus den Interviews entnehmen wir, dass die jüdische Community sich mit ihren Erfahrungen und Bedürfnissen weitgehend alleine gelassen und wenig ernst genommen fühlte. Gerade nach dem rechtsextremen Anschlag an Jom Kippur sind vor allem die staatlichen Stellen Sachsen-Anhalts gefragt, ihre Haltungen aus der Vergangenheit auf den Prüfstand zu stellen und konsequent gegen jede Form des Antisemitismus vorzugehen.“

Max Privorozki, Vorsitzender des Landesverbands Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt:

„Der Antisemitismus in allen seinen Facetten ist ein Problem nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft. Wenn sowohl die Zivilgesellschaft als auch die staatlichen Stellen es auch so empfinden, können wir mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft schauen.“

Dr. Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus:

„Die Ergebnisse, die die ‚Problembeschreibung‘ zutage fördert, tun weh. Das müssen sie auch. Antisemitismus als Alltagserfahrung, das Gefühl der Betroffenen, mit ihren Erfahrungen im Wesentlichen alleine gelassen zu werden, hunderte von Vorfällen ganz unterschiedlicher Ausprägung, die Polizei und zivilgesellschaftliche Akteure seit Jahren beobachten – das wollen wir auch in Sachsen-Anhalt nicht hinnehmen. Notwendig ist eine breite gesellschaftliche Reaktion gegen Antisemitismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.“

Jutta Dick, Direktorin der Moses Mendessohn Akademie Halberstadt:

„Das Land hat in den ersten Wochen und Monaten nach dem Anschlag in Halle tatsächlich mehr Unterstützung auf den Weg gebracht, wofür wir dankbar sind. Es ist nun wichtig diese Arbeit zu verstetigen, so müssen die Bildungsangebote für Jugendliche und Erwachsene unbedingt weiter ausgebaut werden.“


Der Bundesverband RIAS e.V. wurde im Oktober 2018 gegründet. Er verfolgt das Ziel, bundesweit eine einheitliche zivilgesellschaftliche Erfassung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle zu gewährleisten und die Interessen von Trägern und Projekten regionaler Meldestellen für antisemitische Vorfälle gegenüber der Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung zu vertreten.