header-placeholder


image header
image
Bild 57171

Aus dem Gerichtssaal: Bundesverfassungsgericht: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbot des Mitführens eines Blindenführhundes

Sonntag, den 16. Februar 2020

Mit veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats der Verfassungsbeschwerde einer blinden Beschwerdeführerin als offensichtlich begründet stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen. Der Beschwerdeführerin war durch die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis verboten worden, ihre Blindenführhündin bei der für sie notwendigen Durchquerung der Praxis mitzuführen. Der dies bestätigende Gerichtsbeschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, weil das Gericht bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Tragweite des besonderen Gleichheitsrechts und seine Ausstrahlungswirkung auf das bürgerliche Recht nicht hinreichend berücksichtigt hat, indem es in dem scheinbar neutral formulierten Verbot, Hunde in die Praxis mitzuführen, nicht zumindest eine mittelbare Benachteiligung der Beschwerdeführerin erblickt hat.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin war in Behandlung in einer Physiotherapiepraxis. Diese Praxis befindet sich im selben Gebäude wie die im Ausgangsverfahren beklagte Orthopädische Gemeinschaftspraxis. Die Physiotherapiepraxis ist zum einen ebenerdig durch die Räumlichkeiten der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis zu erreichen und zum anderen durch den Hof über eine offene Stahlgittertreppe. Ein Schild weist beide Wege aus. In der Arztpraxis führt ein Weg durch das Wartezimmer zu einer Notausgangstür, auf der ein Schild mit der Beschriftung „Physiotherapie“ angebracht ist. Die Beschwerdeführerin hatte diesen Durchgang bereits mehrfach mit ihrer Blindenführhündin genutzt. 

Am 8. September 2014 untersagten die Ärzte der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis der Beschwerdeführerin, die Praxisräume mit ihrer Hündin zu betreten und forderten sie auf, den Weg über den Hof und die Treppe zu nehmen. Als die Beschwerdeführerin an einem anderen Tag erneut die Praxisräume durchqueren wollte, verweigerten sie ihr den Durchgang. Die Beschwerdeführerin beantragte vor dem Landgericht, die Ärzte der Gemeinschaftspraxis zur Duldung des Durch- und Zugangs zusammen mit der Hündin zu verurteilen. Sie trug vor, diese könne die Stahlgittertreppe nicht nutzen. Die Hündin scheue die Treppe, weil sie sich mit ihren Krallen im Gitter verfangen und verletzt habe. Die Klage blieb erfolglos, das Kammergericht wies mit angegriffenem Beschluss auch die Berufung der Beschwerdeführerin, die inzwischen einen Rollstuhl benutzen musste, zurück.

Foto © Bundesverfassungsgericht / Stephan Baumann, Karlsruhe