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Aus dem Gerichtssaal: Kürzung von Asylbewerberleistungen verfassungsgemäß bei verweigerter Mitwirkung zur Passbeschaffung

Freitag, den 23. August 2019

Bei einer verweigerten Mitwirkung zur Passbeschaffung ist die Kürzung von Asylbewerberleistungen verfassungsgemäß. Dies hat das Sozialgericht Osnabrück in einem Urteil vom 11.06.2019 (Aktenzeichen S 44 AY 14/17) entschieden. Die Entscheidung bestätigt einen entsprechenden Beschluss des Gerichts im vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

Der Kläger ist ivorischer Staatsangehöriger. Er reiste im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei Stellung seines Asylantrages gab er an, sein Heimatland Elfenbeinküste wegen Armut verlassen zu haben. Sämtliche Identitätspapiere seien in Niger verloren gegangen. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.09.2016 als offensichtlich unbegründet ab. Die hiergegen vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück geführten Verfahren blieben erfolglos.

Der Kläger wurde seitens des Beklagten (zuständiger Landkreis) wiederholt unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten aufgefordert, sich Passdokumente zu besorgen. Entsprechende Anstrengungen unternahm der Kläger nicht. Nach Anhörung im Hinblick auf eine Reduzierung der Leistungen nach § 1a Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) wegen fehlender Mitwirkung bewilligte der beklagte Landkreis dem Kläger mit Bescheid vom 19.07.2017 für den Monat August 2017 nur noch Leistungen in Höhe von 185 €. Im Vergleich zu den sonst gewährten Leistungen bedeutete dies einen Sanktionsbetrag von 169 €.

Das Sozialgericht Osnabrück hat auch im Klageverfahren (wie schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) entschieden, dass die Leistungsabsenkung rechtmäßig ist. Der Kläger hat seit geraumer Zeit nicht an seiner Passbeschaffung mitgewirkt und damit gegen seine Mitwirkungspflichten nach § 48 Aufenthaltsgesetz verstoßen. Er ist mehrfach und auch hinreichend konkret zur Mitwirkung aufgefordert worden.

Darüber hinaus hat das Gericht ausgeführt, dass die Rechtsfolge des § 1a Abs. 2 AsylbLG verfassungsrechtlich noch vertretbar ist. Denn das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gilt nicht absolut. Der Gesetzgeber kann es in Teilen von der Erfüllung von Mitwirkungspflichten abhängig machen. Bisherige Entscheidungen des BVerfG zu dieser Thematik betreffen vor allem Fragen der allgemeinen Leistungshöhe des Regelsatzes und des Gleichheitsgebots; rechtsmissbräuchliches Handeln – wie im entschiedenen Falle – wird dagegen nicht thematisiert. Eine „Eins-zu-eins“-Übertragung der BVerfG-Entscheidungen auf den vorliegenden Fall ist daher nicht möglich.

Nach dem Urteil des Gerichts kann der Gesetzgeber für vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte, die nur deshalb noch nicht abgeschoben sind, weil sie nicht an der Pass(ersatzpapier)beschaffung mitwirken, durchaus bestimmen, dass ein Bedarf für die Beziehungen zur Umwelt nicht mehr anerkannt wird. Schließlich wird eine Integration in die hiesige Gesellschaft in diesen Fällen vor dem Hintergrund der ausländerrechtlichen Vorgaben nicht mehr angestrebt.

Als problematisch sieht das Gericht jedoch an, dass auch das physische Existenzminimum unterschritten wird, indem dem Leistungsberechtigten die Bedarfe der Abteilung 3 (Bekleidung) grundsätzlich nicht gewährt werden. Die verfassungsrechtlichen Bedenken greifen hier aber deshalb letztlich nicht durch, da der Gesetzgeber insoweit in § 1a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG eine Härtefallregelung geschaffen hat, also derartige Bedarfe im Einzelfall gleichwohl abgedeckt werden können.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Sie kann mit der Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen angegriffen werden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das Sozialgericht die Berufung zugelassen.