Es krankt bei der digitalen Transformation bei Kliniken,
Krankenkassen und Arztpraxen in Deutschland. Mehr als jeder dritte Bürger (35
Prozent) stuft die Digitalisierung des Gesundheitswesens hierzulande als
rückständig ein. Jeder Zweite ist mit dem Entwicklungsstand unzufrieden,
beispielsweise mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und dem
Datenaustausch. Das sind Ergebnisse der Studie „European Study on the
Digitalisation of the Healthcare Pathways“ von Sopra Steria Consulting, für die
1.200 Bürgerinnen und Bürger sowie 35 Gesundheitsexperten aus Belgien,
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Norwegen und Spanien befragt wurden.
Mit ihrem grundsätzlichen Urteil zur Digitalisierung im
Gesundheitswesen sind die Deutschen nicht allein. In Frankreich und Spanien
bewertet ein ähnlich großer Anteil der Bürgerinnen und Bürger die digitale
Transformation ihres Gesundheitssystems als rückständig. Anders in
Großbritannien: Dort sieht zwar die Mehrheit der Bevölkerung (57 Prozent)
insgesamt eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung in den vergangenen
zehn Jahren. Das Angebot digitaler Gesundheitslösungen bezeichnet allerdings
nur jeder Vierte als unterdurchschnittlich.
Größere Unterschiede bestehen bei der Zufriedenheit mit
einzelnen Vorhaben. In Frankreich und Spanien ist beispielsweise rund jeder
zweite Befragte zufrieden mit der Lösung einer elektronischen Krankenakte in
seinem Land, in Deutschland sind es nur 27 Prozent. Vor allem in Norwegen und
Belgien sind es deutlich weniger Menschen, die schlechte Noten an den digitalen
Ausbau ihres Gesundheitssystems vergeben. Nur 18 beziehungsweise 15 Prozent
halten ihr Gesundheitswesen für digital wenig fortschrittlich. Nach Meinung der
befragten europäischen Gesundheitsexperten gehört Belgien zu den europäischen
Ländern, die die digitale Transformation der Gesundheitsversorgung systematisch
eingeleitet haben. Norwegen gilt generell als Musterschüler für systematische
und pragmatische Digitalisierung.
Experten mahnen koordinierte Digitalisierungsstrategie
und schnelleres Tempo an
Die zuständigen Akteure in Deutschland zögern dagegen
häufiger mit Reformvorhaben. Die befragten Gesundheitsexperten identifizieren
das föderale System als Digitalisierungsbremser in Deutschland. Zu viele
Insellösungen und inkompatible IT-Landschaften stehen einer systematischen und
flächendeckenden Einführung digitaler Anwendungen sowie der Entwicklung neuer
Versorgungsmodelle im Wege. Dazu kommen immer wieder geäußerte
Datensicherheitsbedenken als Begründung für ein Abwarten bei der Einführung
neuer Lösungen und Geräte. Diese Barrieren ließen sich allerdings durch
Standards und Kontrollen der Anbieter überwinden, so die Einschätzung der
Experten.
Ein zu langes Zögern würde dagegen den Verlust von
Datensouveränität an Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM)
bedeuten. Noch ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitsexpertise
der Internetkonzerne gering. Nur fünf Prozent der Bundesbürger würden Hinweisen
der GAFAM-Apps auf mögliche Krankheiten auf Basis ihrer Daten vertrauen. 68
Prozent vertrauen dagegen Ärzten, Kliniken und Krankenkassen.
Bevölkerung in Deutschland ist bereit für mehr
Digitalisierung
Allerdings wird der Druck der Digitalbranche auf die
Akteure im Gesundheitswesen künftig zunehmen, genauso wie der aus der
Bevölkerung. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich mehrheitlich
Verbesserungen und sehen den Mehrwert digitaler Angebote: Drei von vier
Befragten gehen davon aus, dass digitale Lösungen die Diagnose, Behandlung und
die Prävention von Krankheiten signifikant verbessern. Das Monitoring von
Vitaldaten, der Austausch zwischen den Kliniken, Hausärzten und Krankenkassen
sowie digitale Mehrwerte durch die elektronische Gesundheitskarte sollten bei
den Akteuren Priorität haben. 73 Prozent der Befragten würden zudem deutlich
mehr Daten zu ihrer elektronischen Krankenakte senden, wenn eine
zufriedenstellende Lösung zur Verfügung stünde. Die gesetzlichen Krankenkassen
müssen Versicherten erst ab 2021 eine elektronische Patientenakte anbieten. Zum
Vergleich: In Norwegen und Belgien gibt es jetzt schon mehr Initiativen und
dadurch eine größere Verbreitung.
Zentrale Plattformlösung als Digitalisierungsturbo
„Die Deutschen sind längst bereit für digitale Angebote
in der Gesundheitsversorgung. Die Technik dafür ist ebenfalls vorhanden, nun
müssen die Akteure nachziehen“, sagt Dr. Tina Wulff, Senior Consultant Digital
Healthcare bei Sopra Steria Consulting. Die Fachexpertin plädiert für den
Aufbau eines digitalen Gesundheitsökosystems, um den Reformstau aufzulösen: „Es
fehlen Lösungen, die speziell auf die Versorgungslandschaft im deutschen
Gesundheitswesen zugeschnitten sind und flächendeckend ausgerollt werden
können. Eine digitale Plattform wäre ein Ansatz, um alle Akteure mit ihren
heterogenen Systemen zu vernetzen und digitale Gesundheitsservices für die
breite Masse anbieten zu können – nach festgelegten Sicherheitsstandards“, so
Dr. Tina Wulff.
Über die Studie:
Für die Studie „European Study on the Digitalisation of
the Healthcare Pathways“ wurden im Auftrag von Sopra Steria Consulting 1.200
Bürger aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Norwegen und
Spanien sowie 35 Gesundheitsexperten befragt. In Deutschland wurden 200 Bürger
online und fünf Experten per Telefon interviewt. Die Studie führte das
Marktforschungsinstitut Ipsos im Zeitraum Juli 2018 bis März 2019 durch.
Text: Sopra Steria SE