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Aus dem Gerichtssaal: Helmpflicht beim Motorradfahren gilt grundsätzlich auch bei Berufung auf religiöse Hinderungsgründe

Donnerstag, den 4. Juli 2019


Wer aus religiösen Gründen einen Turban trägt, ist nicht bereits deshalb von der Helmpflicht beim
Motorradfahren zu befreien. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger beantragte im Juli 2013 bei der Stadt Konstanz die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung,
mit der er von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahren befreit wird. Die
Schutzhelmpflicht nach § 21 a Abs. 2 Satz 1 StVO verletze ihn als gläubigen Sikh in seiner
Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG; er sei aus religiösen Gründen verpflichtet, einen
Turban zu tragen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, eine Ausnahmegenehmigung
nach § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO könne nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Der
Widerspruch des Klägers und seine Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe sind erfolgslos
geblieben.

Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Beklagte
verpflichtet, über seinen Antrag erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
entscheiden. Die Beklagte habe verkannt, dass eine Ausnahme auch aus religiösen Gründen in
Betracht komme. Eine unmittelbare Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten
Ausnahmegenehmigung hat der Verwaltungsgerichtshof dagegen abgelehnt. Die Glaubensfreiheit führe
nicht zu einem generellen Überwiegen der Interessen des Klägers gegenüber der ebenfalls
grundrechtlich gewährleisteten körperlichen und psychischen Unversehrtheit Dritter, die durch die
Helmpflicht geschützt werden solle. Eine Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null komme
allenfalls in Betracht, wenn der Antragsteller auf die Nutzung des Motorrads zwingend angewiesen
sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall.

Die Revision des Klägers, mit der er über die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung hinaus die
Erteilung der Ausnahmegenehmigung erreichen will, hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.
Die in § 21a Abs. 2 StVO angeordnete Pflicht, beim Motorradfahren einen geeigneten Schutzhelm zu
tragen, kann den Kläger als gläubigen Sikh mittelbar in seiner Religionsausübungsfreiheit
beeinträchtigen. Er wird hierdurch zwar nicht an der Praktizierung seines Glaubens gehindert; bei
der Befolgung der von ihm aus religiösen Gründen als verbindlich empfundenen Pflicht zum Tragen
eines Turbans muss er aber auf das Motorradfahren verzichten. Diese Einschränkung ist auch mit
Blick auf die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt
und vom Kläger hinzunehmen, weil sie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten
Rechtsgütern Dritter dient. Die Helmpflicht soll nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch
die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte
schützen. Sie können durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem
nicht mit einem Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden. Ein durch Helm
geschützter Motorradfahrer wird zudem im Fall eines Unfalls eher in der Lage sein, zur Rettung
anderer Personen beizutragen, etwa indem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder
Rettungskräfte ruft. Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht kann daher allenfalls bestehen,
wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet
werden kann. Anhaltspunkte hierfür hat der Kläger, der über eine Fahrerlaubnis zum Führen von
Pkw verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt.

Fußnote:

§ 21a Abs. 2 StVO:

Wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten
Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, muss während der
Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen. Dies gilt nicht, wenn vorgeschriebene Sicherheitsgurrte
angelegt sind.

 

§ 46 Abs. 1 Satz 1 StVO:

Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte
Antragsteller Ausnahmen genehmigen


5b. von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen
(§ 21a).

BVerwG 3 C 24.17 - Urteil vom 04. Juli 2019 



Foto: Bundesverwaltungsgericht in Leipzig / Copy BVerwG