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Aus dem Gerichtssaal: Beschränkung des Geltungsbereichs eines Passes im Hinblick auf eine Ausreise nach Afghanistan

Donnerstag, den 30. Mai 2019


Die zuständige Passbehörde kann den Geltungsbereich eines Passes im Hinblick auf die Ausreise in
ein Land beschränken, wenn in diesem das konkret und individuell auf den Passinhaber bezogene
Risiko einer Entführung besteht und mit einer anschließenden Erpressung der Bundesrepublik
Deutschland durch die Entführer zu rechnen ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
gestern entschieden.

Die Klägerin ist Vorsitzende eines Vereins, der sich der humanitären Hilfe für Menschen in
Afghanistan widmet. Sie plante im Herbst des Jahres 2016, im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Verein
in die afghanische Region Kunduz zu reisen. Der Beklagten lagen als zuständiger Passbehörde
Informationen des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes vor, die das in Afghanistan
und in der Provinz Kunduz für Ausländer bestehende hohe Risiko, Opfer einer Entführung zu werden,
sowie die Gefahr einer Erpressung der Herkunftsstaaten der Betroffenen durch die Entführer
betrafen. Zudem lagen Hinweise vor, dass konkret die Klägerin dort entführt werden sollte. Unter
Berufung auf diese Informationen beschränkte die Beklagte den Geltungsbereich des Reisepasses der
Klägerin dergestalt, dass dieser nicht zur Ausreise nach Afghanistan berechtige. Wegen der im Fall
einer Entführung der Klägerin drohenden erpresserischen Lösegeldforderung gegenüber dem
Herkunftsstaat seien sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland i.S.d.
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG gefährdet. Die Beklagte befristete die Beschränkung zunächst
auf ein Jahr. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat der gegen den Bescheid gerichteten
Anfechtungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht
Lüneburg dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die
Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der von der Beklagten auf der Grundlage
von § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 und Abs. 2 Satz 1 PassG erlassene
Beschränkungsbescheid rechtmäßig war. Nach diesen bundesrechtlichen Vorschriften kann der
räumliche Geltungsbereich eines Passes beschränkt werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme
begründen, dass der Passinhaber sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland (d.h.
andere als die innere oder äußere Sicherheit i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und 2 PassG)
gefährdet. Diese Vorschrift schränkt die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete
Ausreisefreiheit in verfassungsgemäßer Weise ein. Ein sonstiger erheblicher Belang ist die
Sicherung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der für die Gestaltung der Außenpolitik
verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Belang war im Fall der Klägerin in
dem für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
Beschränkungsbescheids gefährdet.

Das Oberverwaltungsgericht hat die der Entscheidung der Beklagten zu Grunde liegenden Tatsachen auf
der Grundlage der durch das Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme für das
Bundesverwaltungsgericht bindend festgestellt. Danach lag ein tragfähiger Hinweis auf die Absicht
einer Gruppe von afghanischen Aufständischen vor, die Klägerin zu entführen. Des Weiteren war ein
wirksamer Schutz der Klägerin vor einer solchen Entführung nicht gegeben und es wäre eine
Erpressung der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten gewesen. Die darauf gestützte Annahme einer
Gefährdung ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Der angegriffene Bescheid ist nicht deshalb rechtswidrig, weil nicht schon die Klägerin mit ihrer
Ausreise, sondern erst Dritte durch die Entführung die genannte Gefahr unmittelbar verursacht
hätten. Denn die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG enthält eine
spezialgesetzliche Regelung der Verantwortlichkeit, die den allgemeinen Grundsätzen des Polizei-
und Ordnungsrechts über die Störerhaftung vorgeht. Dies ergibt sich v.a. aus dem Sinn und Zweck
der Norm. Diese verlagert aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr den Rechtsgüterschutz vor,
weil deutsche Stellen in dem Zeitpunkt, in dem sich die Gefährdung im Ausland realisiert, wegen des
völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips und faktisch an einem Einschreiten mit vergleichbarer
Wirksamkeit gehindert sind.

Die auf ein Jahr befristete Passbeschränkung erweist sich auch als ermessensfehlerfrei und
verhältnismäßig.


BVerwG 6 C 8.18 - Urteil vom 29. Mai 2019 


Foto: Bundesverwaltungsgericht in Leipzig / Copy BVerwG