Untersuchung des Deutschen Herzzentrums München mit
gängigen Elektroautomodellen sorgt für mehr Klarheit/ Auszeichnung mit
Forschungspreis
(Frankfurt a. M., im Dezember 2018) In Deutschland leiden mehrere Millionen Menschen an Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen.
Viele Betroffene benötigen für eine Regulierung ihres Herzrhythmus einen Herzschrittmacher oder Implantierbaren Cardioverter-Defibrillator (ICD/„Defi“). Rund 110.000 Herzschrittmacher und ICD werden laut Deutschem Herzbericht pro Jahr in Deutschland neu implantiert. Beide Herzimplantate können störanfällig auf starke elektromagnetische Felder reagieren, indem die Geräte diese Felder als eigene Herzaktivität des Schrittmacher- bzw. ICD-Trägers fehlinterpretieren (sog. „Oversensing“) und dadurch ein gefährliches Aussetzen der Pumparbeit des Herzens bewirken bzw. ICD-Schockabgaben fälschlicherweise provozieren können. Elektroautos erzeugen ein elektromagnetisches Feld, so dass auch von diesen Fahrzeugen Störeinflüsse auf Herzschrittmacher und ICD ausgehen könnten.
Weil
die Verbreitung von Elektroautos und deren Nutzung auch durch Herzpatienten
zunehmen dürfte, ist das Interesse der Herzmedizin an Untersuchungen, ob diese
Störeinflüsse bedenklich sein können, groß. Nur mangelt es dazu bislang an
aussagekräftigen Studien.
Verunsicherung bei Herzpatienten
Deswegen hat der Kardiologe Dr. med. Carsten Lennerz,
Oberarzt am Deutschen Herzzentrum München (DHM), eine Untersuchung
durchgeführt, die klären sollte, ob für Schrittmacher- und Defi-Patienten
bedenkliche Störeinflüsse von Elektroautos ausgehen, beim Fahren des Autos und
beim Aufladen. Die Arbeit wurde mit dem renommierten August Wilhelm und
Lieselotte Becht-Forschungspreis der Deutschen Stiftung für Herzforschung
(DSHF) in Höhe von 15.000 Euro ausgezeichnet. „Für Ärzte und für Tausende
Herzpatienten, die zukünftig immer mehr privat und beruflich Elektroautos
nutzen werden, sind die Erkenntnisse dieser Arbeit wichtig. Erst belastbare
Daten ermöglichen es Ärzten, Empfehlungen an ihre Patienten in diesem Bereich
zu geben und Patienten unnötige Ängste zu nehmen“, betont der Herzchirurg und
Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der DSHF, Prof. Dr. med. Hellmut
Oelert. Die Studie* wurde 2018 publiziert. „Viele Schrittmacher- und
Defi-Träger reagieren wegen möglicher Störeinflüsse oftmals mit großer
Verunsicherung auf neue elektrische Geräte wie Elektroautos“, berichtet
Lennerz. „Unsere Untersuchung soll Patienten und Ärzten eine verlässlichere
Datengrundlage geben, um unnötige Einschränkungen bei der Nutzung von
Elektroautos zu vermeiden.“
(Infos für Patienten mit Herzschrittmacher/ICD: Der
Ratgeber der Deutschen Herzstiftung „Häufig gestellte Fragen zu Störeinflüssen
auf Herzschrittmacher“ (24. S.) ist kostenfrei per Tel. unter 069 955128400
oder per Mail unter bestellung@herzstiftung.de erhältlich. Infos auch unter www.herzstiftung.de).
Studie belegt Unbedenklichkeit von Elektroautos – vorerst
Dr. Lennerz und Kollegen haben vier Elektroauto-Modelle
mit dem (bei Untersuchungsbeginn) höchsten Marktanteil bei 108 Probanden mit
Herzschrittmacher bzw. ICD aller Hersteller getestet (Schrittmacher/ICDs im
Folgenden kurz „CIEDs“: Cardiac Implantable Electronic Devices). Jeder Proband
bekam einen der vier Elektroautos zugeteilt und hat es auf einem Rollprüfstand
maximal beschleunigt, bis 120 km/h ausgefahren und das Auto anschließend mit
Strom aufgeladen. Gemessen wurde das elektromagnetische Feld im und außerhalb
des Autos beim Fahren und Aufladen. Das Fahrzeuginnere ist sehr gut gegen
elektromagnetische Felder abgeschirmt. Das Aufladen mit Strom stellt, wenn
überhaupt, das kritischere Moment dar, weil hier die stärksten
elektromagnetischen Felder auftreten. Während der Fahrt auf dem Rollprüfstand
wurde bei den Probanden ein Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet, um durch
elektromagnetische Felder ausgelöste Störungen der CIED-Funktion zu
registrieren. „Unsere Untersuchungen ergaben keinen Hinweis darauf, dass von
den Elektroautos für Herzpatienten bedenkliche elektromagnetische Interferenzen
ausgehen, die CIEDs in ihrer Funktion stören könnten. Fehlfunktionen der
Herzimplantate aufgrund der Nutzung von Elektroautos sind somit
unwahrscheinlich“, resümiert Lennerz. Eine dauerhafte Entwarnung sei allerdings
nicht möglich: „Elektroautos entwickeln sich in Bauweise und Ladetechnik rapide
weiter, was zukünftig neue Untersuchungen erforderlich macht.“
Gefürchtete Komplikationen: CIEDs (Herzschrittmacher/ICD)
haben die Funktion, elektrische Signale des Herzens aufzunehmen und diese
Signale zur Steuerung der CIED-Impulse zu verwenden. Diese Impulse sorgen für
eine ungestörte Pumparbeit des Herzens. CIEDs können in Nähe eines
elektromagnetischen Feldes Signale wahrnehmen, die nichts mit dem Herzschlag zu
tun haben, diese Signale jedoch als „Herzschlag“ fehlinterpretieren
(=elektromagnetische Interferenz). Dadurch würde das Gerät fälschlicherweise
aussetzen und das Herz des Patienten würde dann nicht mehr ausreichend bei
seiner Pumparbeit unterstützt. Defibrillatoren könnten auch fälschlicherweise
Schocktherapien abgeben, falls das elektromagnetische Feld als
Kammer-Rhythmusstörung fehlinterpretiert würde. Außerdem wird diskutiert, dass
elektromagnetische Felder die implantierten elektrischen Herzgeräte
umprogrammieren könnten.
Foto: Dr. Carsten Lennerz bei der Untersuchung eines Herzpatienten am Deutschen Herzzentrum München. Foto: DHM/Lennerz.
Quelle: Text und Foto - Deutsche Herzstiftung e.V.