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SACHSEN-ANHALT HEUTE: Statement von Bischof Feige auf der Auftaktveranstaltung zur Pastorale

Samstag, den 10. November 2018


Eröffnungsstatement von Bischof Dr. Gerhard Feige (Foto) für die heutige Auftaktveranstaltung zur Pastorale in Halle. Die Veranstaltung „Schöpferische Minderheit ausbuchstabieren“ begann um 11 Uhr im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle (Saale).


Schöpferische Minderheit

Statement bei der Auftaktveranstaltung zur Pastorale 2019

am 10.11.2018 in Halle

(Bischof Dr. Gerhard Feige)


 

„Geschlossene Gesellschaft!“ Wo ein solcher Hinweis zu finden ist, weiß man: Hier feiert eine Familie, ein Freundes- oder Bekanntenkreis. Hier trifft sich ein Club oder eine Partei, eine Interessengemeinschaft oder ein bestimmtes Team. Hier will man unter sich sein und nicht durch Fremde gestört werden. Rein kommt nur, wer organisch dazugehört oder eingeladen ist.

 

„Geschlossene Gesellschaft.“ Das charakterisiert auch Gruppen, die sich in besonderer Weise von anderen abheben, sich als besser dünken oder die etwas zu verbergen haben: Reiche und Schöne, ideologisch Verblendete und kleinkarierte Sektierer, rechte und linke Extremisten. Man fühlt oder hat sich verbündet, kreist oftmals nur noch um sich selbst und schmort im eigenen Saft. Elitäres Gehabe, Abgrenzung gegenüber anderen oder sogar Aggressivität sind angesagt.

 

„Geschlossene Gesellschaft.“ Das kann auch die Folge edler Motive sein und betrifft z.B. manche strengen christlichen Glaubensgemeinschaften. Weil sie davon überzeugt sind, „nicht von dieser Welt zu sein“, gehen sie zu ihr auch radikal auf Distanz. Und der Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft gibt jedem und jeder Einzelnen Geborgenheit und Identität. Nach außen aber wirkt sich kaum etwas aus. Nur wenige sind an ihnen interessiert.

 

Um zu überleben, erscheint es vielen Minderheiten fast notwendig zu sein, sich eine eigene Welt zu schaffen und darin zu verschanzen. So suchen auch manche Christen angesichts moderner Entwicklungen ihr Heil in bergenden Gettos, sektiererischen Zirkeln oder kuschligen Wohlfühlgruppen, verengen in ihrem Denken und argumentieren recht selbstgefällig und selbstgerecht.

 

Was es bedeutet, seine konkrete Berufung und Sendung immer wieder neu finden zu müssen, ist uns Katholiken hier in dieser Region seit der Reformation mehr als vertraut. In einer „Diaspora“ zu leben – das heißt: unter die anderen zerstreut zu sein –, das war und ist für uns schon jahrhundertelang das Schicksal und die Herausforderung, die Last und die Chance unseres Christseins: sich als eine zusammengewürfelte Kirche von Zugezogenen zu erfahren, skeptisch beäugt, manchmal sogar diskriminiert und bekämpft, gewissermaßen als ein gesellschaftlicher Fremdkörper.

 

Zu DDR-Zeiten sind wir Katholiken enger zusammengerückt und haben – heute würde man sagen – so etwas wie eine „Parallelgesellschaft“ gebildet, eine „Insel der Seligen inmitten einer als böse empfundenen Welt“. Obwohl die Verhältnisse überhaupt nicht volkskirchlich waren, haben wir doch – so meine ich heute – im Kleinen versucht, Volkskirche nachzuahmen. Als unsere Zahl abnahm, sprach man gelegentlich von „Gesundschrumpfung“, aber wir wurden nicht gesünder. Zurück blieben nicht nur 100prozentig überzeugte, bekennende und engagierte Gläubige; nach wie vor gab und gibt es die ganze Breite, nur weniger: von völlig Begeisterten bis zu gerade noch Dazugehörenden.

 

Wie kann Kirche da lebendig bleiben und vielleicht sogar noch überzeugender werden? Auf jeden Fall ist sie – wie schon das Evangelium und dann auch die weitere Geschichte belegen – nicht an bestimmte Verhältnisse gebunden. Sie braucht nicht unbedingt jubelnde Massen, eine luxuriöse Ausstattung und volkstümliche Trachten. Kirche kann überall – auch unter schwierigsten Umständen – Wurzeln schlagen, sich entfalten und ihrer Sendung gerecht werden. Entscheidend ist aber, dass möglichst viele Getaufte und Gefirmte dies begreifen.

 

Das zeigt sich auch im Bistum Magdeburg. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen und mancher Widerstände gegenüber notwendigen Blickwechseln kann man immer wieder nur staunen, wie begnadet und kreativ doch auch eine „kleine Herde“ von gläubigen Christen sein kann: in geistlichen und katechetischen Belangen, im Erziehungs- wie im Bildungsbereich, kulturell und politisch oder in der Sorge um Notleidende und Bedürftige, Benachteiligte und Ausgegrenzte. Wir sind durchaus eine „schöpferische Minderheit“, kein Plagiat oder Imitat, sondern ein wirkliches Original. Wir haben es nicht nötig, andere Ortskirchen einfach nachzuahmen. Gott traut uns durchaus auch eigene Lösungen zu. Wir sind nicht grund- und absichtslos in diese sonderbare Situation Mitteldeutschlands gestellt.

 

 Schon 2004 haben wir im Rahmen unseres Pastoralen Zukunftsgesprächs unser Leitbild folgendermaßen beschrieben: „Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist. Seine Botschaft verheißt den Menschen ‚das Leben in Fülle‘, auch dann, wenn die eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Deshalb nehmen wir die Herausforderung an, in unserer Diasporasituation eine missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in die Zukunft.“

 

Auf dieser Grundlage haben wir zehn Jahre später angesichts fortschreitender Veränderungen unserer gesellschaftlichen und kirchlichen Situation weitere Zukunftsbilder entworfen. Diese erfinden die Kirche nicht neu, stellen aber einen Orientierungsrahmen für das pastorale Handeln auf allen Ebenen dar und versuchen die Frage zu beantworten: Wo wollen wir als Bistum Magdeburg im Jahr 2019 stehen, das heißt 25 Jahre nach unserer Bistumsgründung. Ansatzhaft beschreiben sie, was für die weitere Entwicklung heilsam wäre, und regen an, darüber ins Gespräch zu kommen, sich damit auseinanderzusetzen und das konkrete Handeln daran auszurichten. Dabei gehen sie von der Kernaussage aus: „Wir sind Gottes Zeugen hier und heute. Als schöpferische Minderheit setzen wir in ökumenischem Geist seinen Auftrag um: In unseren Pfarreien, in Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen, in Kooperationen mit Partnern in der Gesellschaft. Wir genügen uns dabei nicht selbst, sondern geben missionarisch allen Menschen Anteil an der Hoffnung, die uns in Jesus Christus geschenkt ist.“ Daraus folgen für die drei Grundfunktionen von Kirche: „Unsere Verkündigung soll die Botschaft von der Zuwendung Gottes zu allen Menschen tragen. Unser diakonisches Handeln soll den Dienst Gottes am Leben aller Menschen erfahrbar machen. Unsere Liturgien sollen Menschen in und außerhalb der Kirche mit dem Geheimnis Gottes in Berührung bringen.“

 

Wie aber kann so etwas umgesetzt werden? Dazu möchte ich drei Beispiele nennen.

 

1.     Pfarrei neu denken

 

Als wir vor acht Jahren 44 neue Pfarreien gegründet haben, sind wir von dem Modell „Pfarrei in mehreren Gemeinden“ ausgegangen; man könnte auch noch ergänzen: „und Gemeinschaften“. Jede dieser Pfarreien sollte damals mindestens 1500 bis 2000 Gläubige haben. Inzwischen gibt es jedoch 15 von ihnen mit weniger als 1500 und sieben davon sogar mit weniger als 1000 Mitgliedern. Zudem können bereits jetzt sechs nicht mehr mit einem eigenen kanonischen Pfarrer besetzt werden. Trotz der abzusehenden Entwicklung hatte ich schon 2014 erklärt, unsere pastoralen Räume – jedenfalls in nächster Zeit – nicht noch einmal zu vergrößern, sondern es bei den 44 Pfarreien zu belassen.

 

Jede Pfarrei ist gewissermaßen eine Schicksals- oder – wie es in einigen anderen Bistümern heißt – eine Verantwortungsgemeinschaft. Auf dem jeweiligen Territorium soll überlegt und entschieden werden: Was gilt es gemeinsam anzugehen und zu gestalten (Erstkommunion- und Firmvorbereitung sind da schon selbstverständlich), und wie kann Kirche vor Ort präsent bleiben? Dabei ist auch zu klären: Was ist in diesem Kontext eine lebendige und lebensfähige Gemeinde? Kann man tatsächlich alle Pfarreien, Pfarrvikarien und Kuratien, die in den einzelnen Vereinbarungen angeführt wurden, noch als wirkliche Gemeinden ansehen oder sind manche nicht nur noch Reste davon, kaum noch als eigenständig wahrnehmbar, im früheren Sprachgebrauch wieder zu Außenstationen geworden? Das ist nicht abwertend gemeint, vor allem im Hinblick auf die zumeist älteren Gläubigen, die bis zum heutigen Tag die Gottesdienste – so armselig sie vielleicht auch sind – treu mitfeiern. Es stellt sich aber die Frage: Brauchen wir nicht für unsere ungleichen Verhältnisse eine örtlich differenzierte Pastoral? Müssten wir nicht noch intensiver darüber nachdenken: Was gilt es besonders zu fördern? Was ist zukunftsträchtig? Wo bricht etwas auf? Und wie sollten wir mit unseren Kleinstverhältnissen umgehen? Ist es noch verantwortlich, nach dem ‚Gießkannenprinzip‘ vorzugehen, oder sollten die vorhandenen Kräfte nicht zielgerichteter eingesetzt werden?

 

Dabei sind die Pfarreien noch stärker als großräumige Netzwerke zu verstehen, in denen die darin befindlichen Gemeinden, Gemeinschaften, Einrichtungen, Gruppen und Initiativen gewissermaßen Knotenpunkte sind. Geht es bei der Pfarrei vor allem darum, den rechtlich abgesicherten Rahmen offen zu halten, Kirche theologisch als „universales Heilssakrament“ zu vergegenwärtigen und sowohl Einheit als auch Vielfalt zu garantieren, sind die verschiedenen Netzwerkpartner eher die Orte, an denen das Evangelium besonders konkret entdeckt und gelebt wird. Dabei arbeiten alle Gruppierungen grundsätzlich mit den eigenen Kräften und selbstverantwortlich. Hilfe erfahren sie erst dann, wenn sie an ihre Grenzen stoßen (= Subsidiarität). In ihrem Zusam­menwirken bereichern die Partner sich gegenseitig und unterstützen einander und andere (= Solidarität).

 

„Von der versorgten zur sorgenden Gemeinde“ war schon vor 40 Jahren eine pastorale Leitvorstellung. Angesichts der jetzt auch noch abnehmenden Zahl von Priestern müssen künftig noch mehr Gläubige selbst Verantwortung übernehmen und sich gegebenenfalls auch an der Leitung mitbeteiligen. Die Aufgabe von hauptberuf­lichen Mitarbeiter/innen liegt dann vor allem in der Ermutigung und Begleitung von Menschen, die ehrenamtlich Verantwortung übernehmen. Auf jeden Fall wird Kirche nicht mehr nur da existieren, wo ein Priester zur Verfügung steht und sie organisiert, sondern vor allem da, wo andere Christen selbst dafür einstehen und sie gestalten, auf das Wort Gottes hören, miteinander beten und feiern sowie sich für Bedürftige einsetzen.

 

2.     Kirche auch anderswo sehen

 

Kirche ist nicht nur die Pfarrei oder in den Gemeinden präsent. Kirche ist auch an anderen Orten lebendig, ja überall da, wo Menschen mit Gott in Berüh­rung kommen – egal wer sie sind, wie sie glauben oder was sie besitzen, auf dem Gebiet der Pfarrei, aber auch über die bisher schon üblichen Formen hinaus.

 

Dazu gehören in kirchlicher Trägerschaft z.B. Kindertagesstätten, Schulen, karitative Einrichtungen wie Sozialstationen, Behinderten- und Altenpflegeheime, Krankenhäuser und Jugendklubs, Suppenküchen und Wärmestuben, Sozialkaufhäuser und ein Interkulturelles Beratungs- und Begegnungszentrum. Dazu gehören auch Wallfahrtsorte und Klöster sowie andere Ordensniederlassungen. Dazu gehören unsere Akademien und Bildungshäuser, aber auch verschiedene christliche Vereine und Verbände. Kirche ereignet sich zudem in der Seelsorge im Krankenhaus oder im Gefängnis, bei Notfällen und anderen Beratungs- und Hilfsdiensten. Ganz selbstverständlich sind natürlich alle ökumenischen Gottesdienste und Begegnungen ein lebendiger Ausdruck von Kirche. Darüber hinaus gibt es inzwischen auch noch viele andere Orte oder Gele­genheiten, an denen wir mit Menschen aus un­terschiedlichen Zusammenhängen in Beziehung treten. Ich nenne hier z.B. unsere Bistumsinitiativen: die Stiftung „Netzwerk leben“, die „Partnerschaftsaktion Ost“ oder die „Flüchtlingshilfe Sachsen-Anhalt“. Auch die Lebenswendefeiern zeigen das oder Segnungen ziviler Einrichtungen, Gottesdienste bei gesellschaftlichen Anlässen wie zum Tag der deutschen Einheit oder einer Landesgartenausstellung, die Mitarbeit in Hospiz- oder anderen Bürgervereinen, Nikolausaktionen und Martinsfeiern. Selbst in Museen und bei Ausstellungen oder auf Weihnachtsmärkten und beim Landeserntedankfest kann Kirche auf einmal da sein.

 

Als im November 2012 bei unserer zweiten Bistumsversammlung rund 400 Haupt- und Ehrenamtliche aus unseren Pfarreien und Sozial- wie auch Bildungseinrichtungen teilnahmen, gehörte zum Programm auch dazu, dass – entsprechend der Anzahl der neuen Pfarreien – 44 Gesprächskreise ermöglicht wurden, damit die Mitarbeitenden der jeweiligen Pfarrei und der auf ihrem Territorium befindlichen Einrichtungen, Verbände und Orden sich noch bewusster wahrnehmen und vernetzen konnten. Das zu verinnerlichen und gemeinsam zu nutzen, muss noch mehr umgesetzt werden. Zugleich gilt es, diese örtlichen Kristallisationspunkte gelebten Glaubens, die viele mit dem christlichen Menschenbild in Berührung bringen und für zahlreiche gesellschaftliche Akteure wichtige Partner in der Auseinandersetzung mit drängenden Fragen unserer Zeit sind, geistlich zu profilieren und deren Verantwortliche und Mitarbeitende entsprechend zu begleiten und fortzubilden.

 

Darüber hinaus wird Kirche schon durch alle Getauften und Gefirmten in deren jeweiliger Umgebung präsent. Keine und keiner der Getauften kann sich dieser Herausforderung entziehen und auf andere verweisen. Jede und jeder kann das Antlitz der Kirche verdunkeln oder ihr Leuchten verstärken. Dabei sind wir als Kirche „kein Ofen, der sich selber wärmt“ (Karl Rahner), oder auch „keine Thermoskanne, nach innen heiß und nach außen kalt“ (Heinz Zahrnt). Kirche ist für die Menschen da, muss bei ihnen sein und sich für ihr ganzheitliches – das heißt leibliches und seelisches, irdisches und ewiges – Heil engagieren. Sich dieser doppelten Ausrichtung auf Gott und Menschen bewusst zu bleiben und nicht einseitig nur humanistisch oder nur religiös zu sein, macht das Proprium von Kirche aus.

 

Damit folgen wir konsequent Jesu Wort: ‚Geht hinaus in alle Welt‘. Dabei ersetzen die anderen und neuen Orte die Gemeinden nicht und sind auch nicht lediglich ‚Kür‘ neben der ‚Pflicht‘, erscheinen aber als immer bedeutsamer. Wenn wir dies ernst nehmen, werden wir künftig mehr Zeit und Kraft dafür aufwenden müssen. Aus einer bislang eher gewohnten „Komm-her-Kirche“ muss immer stärker eine „Geh-hin-Kirche“ werden.

 

3.     Insgesamt diakonisch handeln

 

In einem gewissen Sinn „ist kirchliches Engagement im Ganzen diakonisch“. Doch was heißt es, „in einer seit Generationen bestehenden religiösen Minderheitensituation … diakonisch Kirche zu sein“, in einer Umgebung, in der mehr als 80% der Menschen konfessionslos sind und sich darin als „normal“ verstehen? Die politische Relevanz und der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen sind längst zurückgegangen, und in moralischen und religiösen Fragen wird uns Christen keine Deutungshoheit mehr zugestanden. Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sind nicht bewusst antikirchlich oder antiklerikal, für sie ist Religion aber „keine Kategorie der Selbstdefinition“ mehr. Sie „entziehen sich (vielmehr) entschieden religiöser Übergriffigkeit und bestimmen souverän den Grad möglicher Berührung mit religiösen Themen, die behutsam in eine verständliche und authentische Sprache gefasst werden müssen, damit sie überhaupt zur Sprache gebracht werden können“. Angesichts einer solchen Situation „eröffnen sich neue und durchaus andere Chancen, kirchliche und christliche Identität zu verstehen, zu gestalten und zu reflektieren“.

 

Dazu wäre es zunächst aber erst einmal wichtig, sich bewusst zu machen: Diakonisches Handeln lässt etwas von der Zuwendung Gottes zu den Menschen überfließen, ohne sie „verkirchlichen“ zu wollen. Es geschieht „absichtslos und unbedingt, ohne vom Gegenüber einen Taufschein oder Taufwunsch einfordern zu dürfen“. Diakonie ist dann vor allem auch „eine Haltung, ohne kirchliches Eigeninteresse uneigennützig zu geben“. Darin spiegelt sich etwas vom Kirchenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils wider, wenn es in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium z.B. heißt, dass die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ sei (LG 1). „Sie soll Erfahrungsraum und Ermöglichung für etwas sein, das größer ist als sie selbst. Kirche handelt nicht in ihrem eigenen Namen und zu ihren eigenen Gunsten, sondern um des Reiches Gottes willen, das weit über die sichtbaren Grenzen der Kirche hinausreicht“.

 

Zum anderen sollte man sich bei jeglichem diakonischen Handeln „vor der Gefahr eines gönnerhaften Paternalismus“ hüten, nicht „von oben herab“ und mit fertigen Konzepten auf die Menschen zugehen, sondern sich an ihrer Wirklichkeit, an ihren Hoffnungen und an ihren Bedürfnissen orientieren. Maßstab ist dabei „der Mensch, der mir begegnet, seine Erfahrungswelt, seine Einstellungen und Wertvorstellungen und seine geschichtliche Prägung…“. Wir müssen uns fragen: Welche Themen sind gerade aktuell, was erfreut die Menschen, was regt sie auf, was macht ihnen Sorge? Die Werke der Barmherzigkeit folgen dann „dem Bedarf des Notleidenden, nicht den Anforderungen oder Statuten dessen, der Barmherzigkeit übt. … Pastorale Handlungsfelder … entstehen an Orten und Gelegenheiten, an denen Christen und Nichtchristen im Gebiet zusammenleben: in Familien, in nachbarschaftlichen Zusammenhängen, Kitas, Schulen, caritativen Einrichtungen, anlässlich von Projekten, Aktionen etc.“ Deshalb umfasst die Diakonie auch mehr als das Handeln der institutionalisierten Caritas. Diakonisch ist z.B. auch die offene Jugendarbeit, die in Magdeburg seit 25 Jahren von Don-Bosco-Schwestern in einem Stadtviertel angeboten wird, das als sozialer Brennpunkt gilt. Diakonisch sind „liturgische Feiern und Rituale, die in die Gesellschaft hinein wirken (Segnungen für Neugeborene, zur Einschulung, Segnungen für Schulabgänger, für junge Familien, zum Übergang ins Rentenalter, Segnungen am Krankenbett...)“.

 

Solche pastoralen Aufgaben werden in Zukunft vermutlich noch stärker als bisher auch von getauften Laien übernommen: in der Sterbe- und Trauerbegleitung, im Begräbnisdienst, in der Suchenden-Pastoral oder in der Begleitung verschiedener Lebenswenden. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in solchen Angeboten eine große Chance liegt, denn die Menschen in unserer Nachbarschaft sind durchaus offen dafür, sich auf existentielle Fragen einzulassen. Auch sie „wollen Erfahrungen im Umgang mit Fehlern und Scheitern, der Endlichkeit des Lebens und Erfahrungen der Geborgenheit, der Vergebung und der Hoffnung thematisieren. Auch sie suchen Antworten in der Flut der Sinnangebote“. Hier sind wir als Christen herausgefordert und durchaus gefragt.

 

Eine diakonische Kirche in säkularer Gesellschaft zu sein erweist sich so als ein kirchliches Handeln, das als Ganzes diakonisch ist: sie kommt in den verschiedenen Institutionen der Caritas zum Ausdruck, aber eben auch in den Grundvollzügen der Martyria und Liturgia. Überall geht es darum, den Menschen so zu begegnen, dass sie durch uns mit dem Geheimnis Gottes in Berührung kommen können, ohne dabei vereinnahmt zu werden. Als schöpferische Minderheit versuchen wir – zusammen mit verschiedenen Partnern  - „aus der gewohnten Rolle des Gastgebers“ heraus „in die Rolle eines Gastes im Leben“ unserer Mitmenschen zu treten. Wir erfahren uns dabei immer wieder nicht nur als Lernende und Befragte, sondern vor allem auch als reich Beschenkte.