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Online Katzen Collage 1280

Lucy & Dicki, Teil 4 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Eine wilde Rasselbande

26. August 2018


Eine Geschichte von Annemarie Stern

Dicki machte einen ganz langen Hals. Das wirklich verrückte war, dass Lucy in einem ausgepolsterten Nest lag umgeben von vier Fellknäuel. Die Katze sah aus wie Lucy, aber sie roch nicht so. Dicki schnupperte aufgeregt. Aber kein bekannter Lucy-Duft wehte ihm entgegen. Dicki wollte nur noch runter vom Arm seines Frauchens, um Lucy zu begrüßen, und, um sich diese merkwürdigen kleinen Geschöpfe näher anzusehen. Aber sein Frauchen hielt  ihn eisern fest. Dicki miaute und strampelte sehr empört. Die Fellknäuel gaben so merkwürdige Laute von sich. Das war weder ein Schnurren noch ein Miauen, sondern erinnerte ihn eher an ein Fiepen. Lucy begrüßte ihn auch nicht, sondern drohte ihm wütend: „Komm bloß nicht näher! Dann bekommst du es mir zu tun! Was willst du eigentlich hier?“ Die Menschen sprachen miteinander, sie sagten, das wären seine Kinder. Unmöglich! Sie waren blind – oder war er vielleicht blind? Nein! Und nur eins der Babys sah ihm ähnlich. Die anderen drei nicht. Na ja, das eine Kind sah aus wie Lucy. Aber die anderen beiden? Eins war schwarz-weiß gepunktet, das Kleinste hatte vier weiße Pfoten, eine weiße Halskrause und einen hellen Bauch. Ansonsten war sie pechschwarz. Frauchen ging mit Dicki bis zum Steintritt und rettete ihn vor der aufgebrachten Lucy. Sie sagte zu ihm: „Ja, ja, Vater werden ist nicht schwer. Vater sein dagegen sehr. Na, lauf nach Hause, du Haudegen!“

Dicki wetzte so schnell er konnte auf den Hohen Hof, schlängelte sich durch das Katerloch und verkroch sich zum Nachdenken in den Stall. Er zog die Katerstirn in dicke Denkerfalten. Er schüttelte immer wieder seinen Katerkopf beim Nachdenken. Nein, nein, nein, undenkbar! Oder doch nicht? Er beschloss der Sache auf den Grund zu gehen – irgendwann, wenn seine Lucy wieder etwas normaler geworden war. Erstmal mied er ihr Zuhause eine Zeit lang. Aber dann besiegte die Neugier seine Furcht vor Lucys Krallen. 

Vorsichtig näherte er sich ihrem Zuhause. Und dann fand er ihn, den am besten geeigneten Beobachtungsplatz. Er sprang zum Küchenfenster hoch. Durch die schützende Fensterscheibe hatte er einen guten Blick auf Lucy und die Fellknäuel. Aber, das waren keine blinden Fellknäulchen mehr, nein, das waren richtige Katzenbabys! Dicki sah mit Erstaunen, was für eine liebe und fürsorgliche Katzenmama Lucy geworden war. Sie wusch und putzte die Babys, und keins wurde vergessen. Auch achtete sie ganz genau darauf, dass kein Kind beim Trinken zu kurz kam. Dicki war richtig stolz auf seine Lucy. Als Lucy ihn in der Fensterbank erspähte, blinzelte sie ihm freundlich zu. Dickis Herz machte vor Freude einen Riesenglückshopser. Von nun an saß er jeden Nachmittag in der Fensterbank auf seinem Beobachtungsposten. Und Lucy kam auf einen Sprung zu ihm. Überglücklich putzte Dicki das linke Ohr seiner Freundin.

An den nächsten Nachmittagen geschah wieder etwas Ungewöhnliches. Undine, die in einer Schule arbeitete, bekam Besuch. Einige Kinder wollten die Katzenbabys sehen, streicheln und mit ihnen schmusen. „Oh, guck doch mal, Axel, die beiden Kater! Einer ist getigert, das ist Mäxchen! Und der Schwarze heißt Bläcky!“, ergänzte Mike. Rosemie hatte eine kleine Katze auf ihrem Schoß: „Das ist Pünktchen, mein Pünktchen! Ich frage sofort meine Mutti, ob ich sie mir holen kann, wenn sie etwas größer ist.“ „Und das andere Kätzchen ist eine richtige Schönheit mit ihren weißen Pfötchen und der weißen Halskrause. Wollen wir sie Prinzesschen nennen“, fragte Undine die Kinder: „Jaaaa, jaaaa!“, schrien sie begeistert. Undine bewirtete ihre kleinen Gäste mit selbstgebackenen Plätzchen und Kakao, als Lucy zu murren anfing. Aber am nächsten Nachmittag war die ganze Rasselbande wieder bei Lucy und den Kätzchen. Nach Wochen waren vier Schulkinder übrig geblieben, deren Eltern einem Familienzuwachs zugestimmt hatten. Sabines Liebling war die Kleinste, das Prinzesschen.

Eines Nachmittags herrschte große Aufregung in der Katzenfamilie und bei den Menschen. Vor allem Rosemie weinte laut. „Wo ist mein Pünktchen? Mein Pünktchen ist verschwunden! Wer hat mein Pünktchen gestohlen?“, schluchzte sie und zog immer wieder ihre Nase hoch. Die Menschen gingen sofort auf die Suche nach dem verschwundenen Pünktchen. Aber zu dieser Zeit war Dicki bereits unterwegs. Er hatte so eine Ahnung, wo sein verschwundenes Kind sein könnte. Von seinem Beobachtungsposten hatte er bemerkt, dass eins der Schulkinder die Küchentür nicht richtig eingeklinkt hatte. Leider war er danach etwas eingedöst. So konnte er nicht mehr beobachten, ob sein Pünktchen die Küche wirklich verlassen hatte. 

Er lauschte angestrengt. Dort hinten war ein aufgeregtes Gackern und Krähen der Zwerghühner zu hören. Sie gebärdeten sich sehr merkwürdig und aufgeregt. Vorsichtig schlich er sich an. Was er dann erblickte, verschlug ihm glatt die Sprache. Im Futternapf für die Hühner lag auf den zerstampften Kartoffeln, wie ein Sahnehäufchen, Pünktchen. Sie beobachtete interessiert die krakeelenden Hühner. Der Hahn war so  empört, dass er wild mit den Flügeln schlug und ein gewaltiges „Kikeriki“ ausstieß. Da wurde es Pünktchen doch zu ungemütlich. Aber, bevor sie flüchten konnte, war Dicki zur Stelle. Er packte sie vorsichtig am Schlafittchen. Dann lief er mit dem vor Empörung strampelnden Pünktchen zur Haustür. Er setzte sie ab und gab ihr einen kleinen Klaps, einen Nasenstüber. Pünktchen erstarrte fast. Haue? Wofür? Aber durch diese Schrecksekunde konnte Dicki laut miauend um Einlass bitten. Eines der Kinder war im Haus geblieben, es schaute nach und öffnete weit die Eingangstür und die Küchentür. Und Dicki trug stolz das Katzenkind zu Lucy. Sie fauchte den kleinen Ausreißer an, um ihn dann hingebungsvoll zu putzen. Für Dicki gab es danach ein dankbares Schnurren und einen zärtlichen Biss ins Ohr.

Eines Tages kamen die Kinder mit Tierboxen, um ihre Lieblinge abzuholen. Stolz und glücklich brachten sie die Kätzchen in ihr neues Zuhause. Lucy und Dicki waren erst ein wenig traurig, dass die kleine Rasselbande nicht mehr bei ihnen lebte. Es war so ruhig und so seltsam ohne die lebhaften Kinder. Aber dann gingen ihre wilden Streifzüge weiter. Denn nun hatten sie endlich wieder Zeit für sich selbst. Und sie erlebten wieder viele gemeinsame Abenteuer.