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Jeder vierte junge Erwachsene ist psychisch krank - In Sachsen-Anhalt 40.500 Betroffene im Alter von 18 bis 25 Jahren



Magdeburg, 24. Mai 2018 – Immer mehr junge Erwachsene leiden unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken. Nach Analysen der BARMER-Krankenkasse sind in Sachsen-Anhalt mindestens 40.500 junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren von psychischen Störungen betroffen, das ist mehr als jeder Vierte in der Altersgruppe. „Von 2005 bis 2016 ist zudem der Anteil junger Erwachsener mit psychischen Diagnosen um 38 Prozent gestiegen, bei Depressionen sogar um 76 Prozent“, sagt Axel Wiedemann (Foto), Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen-Anhalt.

 

Im Bundesländervergleich liegt Sachsen-Anhalt mit einer Betroffenenrate von 27,6 Prozent bei den 18- bis 25-Jährigen im oberen Drittel und deutlich über dem Bundesdurchschnitt (25,8 Prozent). Bundesweit an der Spitze rangieren die Städte Bremen und Berlin mit einem Anteil von über 30 Prozent.

 

Zunehmend auch Studierende belastet

„Es spricht Vieles dafür, dass es künftig noch mehr psychisch kranke junge Menschen geben wird. Selbst bei den Studierenden, die bislang als weitgehend ‚gesunde‘ Bevölkerungsgruppe galten, ist inzwischen mehr als jeder Sechste (17 Prozent) von einer psychischen Diagnose betroffen. In Sachsen-Anhalt sind dies etwa 9.500 Studierende“, ergänzt Wiedemann. Gerade bei ihnen ist in jüngerer Vergangenheit der Zeit- und Leistungsdruck angestiegen. Finanzielle Sorgen und Zukunftsängste verstärken diese Entwicklung, führt der BARMER Arztreport 2018 weitere Ursachen für die Zunahme bei psychischen Erkrankungen auf. „Es scheint, dass noch immer viele Betroffene den Gang zum Arzt und Psychotherapeuten scheuen. Aus Sicht der BARMER sind für junge Erwachsene deshalb niedrigschwellige Angebote wichtig, die psychische Erkrankungen reduzieren helfen und frühzeitig jene erreichen, bei denen Depressionen oder Angstzustände bereits ausgebrochen sind“, sagt Wiedemann.

 

Deshalb sehen die Experten der BARMER u.a. in Online-Angeboten mit anonymisierter Anmeldung ein großes Potenzial. So können mit dem Online-Training PRO MIND nachweislich Depressionen verhindert werden. „Das Programm ist für Menschen mit leichten psychischen Beschwerden gedacht und deckt die Themenbereiche Stress, Burnout, Schlafschwierigkeiten und depressive Stimmungen ab. Zentraler Ansatz ist die persönliche Begleitung durch einen eCoach (Psychologen)“, sagt Wiedemann.

 

Beim von der WHO unterstützten Projekt „StudiCare“ arbeitete die BARMER bundesweit mit Forschern mehrerer Universitäten zusammen. Ziel ist es, Studierende gegen psychische Krisen zu wappnen und ihnen zu helfen, mögliche psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. „Mit ‚StudiCare‘ soll Betroffenen geholfen werden, bewährte psychologische Strategien selbständig in den Alltag zu implementieren, um Beschwerden effektiv zu reduzieren und zukünftigen Beschwerden präventiv entgegenzuwirken“, ergänzt Wiedemann.




Beratungsangebote direkt an der Hochschule

„Studieren heißt heutzutage für viele auch: Fast immer ist die Zeit knapp. Selbst nach intensivem Lesen und Lernen beschleichen einen Unzulänglichkeitsgefühle, weil Zusammenhänge widersprüchlich erscheinen oder nicht verstanden werden“, sagt Juliane Haase von der Psychosozialen Studierendenberatung am Hochschulstandort Magdeburg. „Solche Phänomene können zu ernsthaften Fallen werden, an denen etliche Studierende scheitern. So brechen etwa 25 bis 30 Prozent der Studienanfänger früher oder später ihr Studium ab.“

 

In der Praxis der Magdeburger Beratungsstelle zeigt sich, dass überraschender Weise gerade leistungsorientierte Studierende besonders gefährdet sind. Juliane Haase erklärt das scheinbare Paradoxon: „Sie sind schon seit der Schulzeit daran gewöhnt, ihr Selbstwertgefühl überwiegend durch gute Noten zu stabilisieren. Manche berichten, dass ihnen bisher immer ‚alles zugefallen‘ ist. Sie verwechseln aber Lernen mit Können und sind schnell frustriert, wenn sie nicht alles auf Anhieb verstehen oder auch mal durch eine Prüfung fallen.“

 

Eine weitere Gruppe der Studierenden flüchtet sich in ein Vermeidungs- und Aufschiebeverhalten: „Obwohl sie längst am Schreibtisch arbeiten müssten, schalten sie den Fernseher oder den Computer ein, lenken sich durch Engagement im Nebenjob oder im Ehrenamt ab oder beschäftigen sich mit Wohnungsputz und Einkaufen“, hat Juliane Haase beobachtet. Der Druck auf die Studierenden erhöht sich durch die fortschreitende Zeit und das Ablaufen von Fristen.

 

„Gerade in zulassungsbeschränkten Fächern finden sich hingegen auffällig viele Studierende, die Versagensängste, Anspannung, Minderwertigkeits- oder Überforderungsgefühle dadurch zu überwinden versuchen, dass sie sich noch intensiver dem Lernen widmen“, so die Expertin der Psychosozialen Studierendenberatung. „Deshalb reduzieren sie Hobbys und soziale Kontakte,  und  beklagen manchmal sogar, kaum noch Zeit zum Essen und Schlafen zu haben. Häufig merken sie erst sehr spät, dass sie vollkommen erschöpft sind und Selbstzweifel und Konzentrationsschwierigkeiten die Überhand gewonnen haben“, sagt Juliane Haase.

 

Die meisten Betroffenen leiden unter Schamgefühlen und verheimlichen ihre Schwierigkeiten. Die zunehmende soziale Isolation beschleunigt häufig die Entwicklung krankhafter Störungen. So klagten im Vorjahr 76 Prozent der studentischen Klienten am Hochschulstandort Magdeburg über Depressionen, 54 Prozent litten unter Ängsten und 74 Prozent hatten psychosomatische Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen. Seit 2004 hat sich die Zahl der Studierenden, die die Einzelberatung der Psychosozialen Studierendenberatung in Magdeburg in Anspruch genommen haben, von 80 auf 442 Klienten (2017) mehr als verfünffacht. Um bereits verfestigte „Teufelskreise“ zu durchbrechen bekamen im Vorjahr 52 Prozent der Klienten die Empfehlung für eine ambulante Psychotherapie.

 

 

Häufigkeit von Depressionsdiagnosen bei jungen Erwachsenen

Quelle: BARMER Arztreport 2018