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Magdeburg: Behindertenbeauftragter Pischner zum Europäischen Protesttag am 5. Mai

Auch nach 25 Jahren noch eng begrenzte Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen 

In diesem Jahr steht der 5. Mai bereits zum 25. Mal als Europäischer Protesttag für die Forderung nach Gleichstellung und selbstbestimmter Teilhabe der rund 10 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Der Behindertenbeauftragte der Landeshauptstadt Magdeburg, Hans-Peter Pischner, erklärt dazu:

„Vor 25 Jahren hob die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung den Europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen aus der Taufe. Für mich als den Behindertenbeauftragten der Landeshauptstadt Magdeburg ist dies erneut Anlass, auf die Entwicklung der Rechte und die Lage von Menschen mit Behinderungen zurückzublicken.
 
In den vergangenen 25 Jahren wurde viel erreicht. Zu den Erfolgen gehören das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz im Jahr 1994, Verbesserungen im Rahmen des Sozialgesetzbuches IX. Buch ,Teilhabe und Rehabilitation behinderter Menschen‘ von 2001, ein Bundesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen 2002 und die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006, die im März 2009 in Deutschland in Kraft trat. Außerdem zählen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006, das novellierte Bundesgleichstellungsgesetz von 2016 und das Bundesteilhabegesetz, das im Dezember 2016 beschlossen wurde und die bisherige in der Sozialhilfe angesiedelte Eingliederungshilfe neu regeln soll, dazu. Trotz dieser Fülle gesetzlicher Regelungen und Änderungen leben viele Menschen mit Behinderungen in sehr eingeschränkten sozialen Verhältnissen, in heimähnlichen Strukturen oder müssen für ein Taschengeld in speziellen Werkstätten arbeiten. Selbstbestimmtes Leben und Wohnen steht noch immer unter dem Kostenvorbehalt von Ämtern und Sozialleistungssystemen. Viele Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen müssen um Rechte und Leistungen und damit um das, was ihnen zusteht, kämpfen. Daran hat auch das Bundesteilhabegesetz aus dem Jahr 2016 bisher wenig geändert, da die meisten Betroffenen lediglich über geringes Einkommen und kaum über Vermögen verfügen.
 
In einem Vergleich mit anderen Bundesländern schneidet Sachsen-Anhalt schlecht ab. Seit 2014 wird hier das ohnehin geringe Blindengeld weiter gekürzt. Es leben besonders viele Menschen mit Behinderungen in Heimen, arbeiten in Sonderwerkstätten oder müssen Sonderschulen besuchen. Pro Kopf gibt Sachsen-Anhalt besonders wenig für Fachkräfte in der Betreuung, Förderung und Pflege oder Sonderpädagogen aus. Darüber hinaus sind die Anerkennung einer Behinderung und die entsprechende Einstufung in unserem Bundesland schwer. Etwas besser ist die Lage in den Städten und Landkreisen, wenn diese sich um Barrierefreiheit und Inklusion bemühen. Viele öffentliche Gebäude, Kultur- und Sporteinrichtungen, Schulen und Kindertagesstätten werden immer freier von Barrieren, obwohl das Land Sachsen-Anhalt keine Förderung dazu beiträgt. Zusätzlich sind in Städten und Landkreisen mehr und bessere barrierefreie Wohnungen vorhanden. 
 
Im Öffentlichen Personennahverkehr bleibt dagegen noch viel zu tun. Während Straßenbahnen und Busse zum Teil barrierefrei sind, gilt dies leider oft nicht für die Haltestellen, die vielerorts keinen niveaugleichen Einstieg ermöglichen. Ein Bundesgesetz fordert, dass der Öffentliche Personennahverkehr bis 2022 vollständig barrierefrei sein soll. In Sachsen-Anhalt wird eine so zeitnahe Umsetzung wohl nicht möglich sein. Die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Magdeburg hat in Kooperation mit den Magdeburger Verkehrsbetrieben und Betroffenen einen ‚Magdeburger Standard der Barrierefreiheit‘ definiert. Dieser beschreibt, wie barrierefreie Haltestellen, Fahrzeuge und Informationssysteme künftig gestaltet werden sollen. Die neu errichtete  provisorische Haltestelle am Adelheidring, die während längerer Baumaßnahmen den Hauptbahnhof barrierefrei anbinden soll, zeigt, dass auch kurzfristig mit begrenztem Aufwand Lösungen geschaffen werden können. Dies wäre auch an anderen Stellen in Magdeburg zu wünschen, etwa in Sudenburg und am Westfriedhof.
 
Ebenso wie vor 25 Jahren ist der Zugang am Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen und entsprechendem Unterstützungsbedarf schwierig. Ihr Anteil an den Langzeitarbeitslosen ist doppelt so hoch wie bei nichtbehinderten Menschen. Während im öffentlichen Bereich die geforderte Pflichtquote für die Beschäftigung von Schwerbehinderten von 5 Prozent erfüllt wird, liegt sie bei privaten Arbeitgebern in Sachsen-Anhalt bei nur 3,6 Prozent. Auch hier ist Sachsen-Anhalt bundesweites Schlusslicht.
 
Nach der UN-Behindertenrechtskonvention sollen behinderte Kinder und Jugendliche uneingeschränkten Zugang zum allgemeinen Bildungswesen haben und in Kindereinrichtungen und Schulen mit Nichtbehinderten gemeinsam lernen. Sachsen-Anhalt schickt seine Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf aber überwiegend in Sonderschulen. Die schulische Inklusion, also der gemeinsame Unterricht, wird derzeit durch den hohen Lehrermangel zusätzlich erschwert.
 
Mein Fazit ist eher ,durchwachsen‘: Die Lage vieler Menschen mit Behinderungen ist nach wie vor prekär. Vielerorts mangelt es an geeigneten Arbeitsplätzen und an barrierefreiem Wohnraum. Anstelle von Inklusion sind Sondersysteme prägend: Sonderschulen, Heime, Werkstätten. Gute Fortschritte gibt es in der baulichen Barrierefreiheit. Andere Barrieren und bürokratische Hürden bestehen jedoch weiter. Arbeitsmarkt und höhere Bildung stellen für Betroffene große Herausforderungen dar.
 
Insofern hat der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen weiter seine Berechtigung. Vielerorts finden dazu Aktionen von Verbänden und Selbsthilfegruppen statt, vor allem in größeren Städten.

In Magdeburg wird dazu unter anderem am 9. Mai 2017 im Alten Rathaus eine Diskussionsveranstaltung zur inklusiven Stadtgestaltung unter Federführung des Paritätischen stattfinden.“