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nicola beer

BEER-Gastbeitrag: Aufwachen, Europa!

Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Putin, Trump, Erdogan, der EU-Austritt der Briten – sie nagen auf unterschiedliche Weise an der Substanz Europas. Doch auch eigenes Versagen steht wie ein Menetekel an der Wand: die Balkan-Kriege, bei denen erst mit Hilfe der Vereinigten Staaten eine Befriedung eines Konflikts im eigenen europäischen Haus gelang; die andauernde Euro-Krise, bei der der Knall zu stetig steigenden Kosten wie jetzt in Griechenland hinausgeschoben wird; die Unfähigkeit, die eigenen Außengrenzen zu schützen.

Statt aber darauf einzugehen, beschwören viele Europa-Politiker nur eine pathetische Europa-Idee bis hin zu den Vereinigten Staaten von Europa. Doch zunächst müssen die konkreten Aufgaben bewältigt werden: Eine der größten Gefahren für Europa ist die Jugendarbeitslosigkeit, vor allem im Süden. Der „Pakt zur Jugendbeschäftigung“ der EU ist ein wichtiger Schritt dagegen. Er reicht nicht aus. Besser funktionierende, dynamische und inklusive Arbeitsmärkte sind erforderlich. Investitionen, die marktgerechte Arbeitsplätze in den EU-Mitgliedstaaten schaffen, müssen ausgebaut werden. Instrumente sind vorhanden: Die Laufzeit des „Europäischen Fonds für Strategische Investitionen“ EFSI kann verlängert und sein Volumen zu Lasten des eher allgemein wirkenden Globalisierungsfonds verdoppelt werden. Für die neu geschaffenen Arbeitsplätze müssen Menschen ausgebildet werden: Warum nicht konsequenter in den EU-Staaten für den Aufbau einer dualen Ausbildung nach deutschem Vorbild werben? Es kann doch nicht angehen, dass mit europäischen Initiativen Jobs für Sozialarbeiter und Bildungsexperten geschaffen werden, aber keine Ausbildungsplätze für junge Menschen ohne Beschäftigungsperspektive. Erstmals seit Gründung der EU besteht die Gefahr, dass die Jüngeren weniger Chancen bekommen als die Älteren.

Generell führt nichts daran vorbei, zu den beiden Grundprinzipien jedes erfolgreichen Landes auch in der EU zurückzukehren: Selbstverantwortung und Ausschluss der Übernahme von Haftung durch andere. Es hat keinen Sinn, ein Europa auf beschädigtem Recht aufbauen zu wollen. Nichts anderes ist die „Rettung“ überschuldeter Staaten unter Bruch der Euroregeln und Ausschaltung der Vernunft. Griechenland muss aus dem Euro schon deshalb ausscheiden, damit das Land endlich aus eigener Kraft auf die Beine kommen kann – oder es kommt nie dazu.

Dazu muss die EZB, die für Deutschland mit den entgangenen Zinsen für den Bürger und dem entgangenen Bundesbankgewinn immer teurer wird, ihren Kurs ändern. So wie bisher mit der selbstherrlichen Setzung von Regeln je nach Gusto kann es nicht weitergehen. Dazu gehört jetzt die willkürliche Dehnung des Inflationsziels auf „mittelfristig“ bis an zwei Prozent. Nachdem die Inflation eine Zeitlang bei null lag, heißt das zwingend, dass wir uns auf bis zu vier Prozent Inflation einstellen sollen. Dann aber ruiniert die EZB endgültig ihre Legitimität.

Europa ist schwach, weil die EU sich seit der Finanzkrise 2008 vom ursprünglichen Wettbewerbsmodell entfernt hat und in eine Transferunion zu verwandeln droht. Solidarität kann nur bei Solidität im Gegenzug funktionieren. Der ruinöse Vorschlag von Eurobonds würde dazu ermuntern, Strukturreformen hinauszuschieben. Dass nun ausgerechnet einer der Protagonisten dieses erwiesenermaßen unbrauchbaren und im Ergebnis zutiefst unsozialen Europa-Kurses umjubelter SPD-Kanzlerkandidat wurde, ist mehr als bezeichnend.

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Konsequenzen aus der Bankenkrise: Die Vereinigten Staaten haben nach 2008 ihren Finanzsektor reorganisiert, die Banken verdienen wieder Geld. Was haben wir in Europa gemacht? Es wurde eine Bankenunion mit dem Ziel konstruiert, anstelle der Steuerzahler die Eigentümer der Institute für Schieflagen in Haftung zu nehmen. Und was passiert in Italien beim ersten Lüftchen? Der italienische Staat nutzt ein Hintertürchen in den mühsam geschaffenen Regeln und springt unter Billigung der EU-Kommission und der EZB doch wieder ein.

Viele EU-Politiker machen den Eindruck, als ob sie die Schüsse nicht hören. Es ist höchste Zeit, gegen das Auseinanderdriften in der EU anzugehen. Operativ gehört der Ausbau der gemeinsamen Grenzsicherungsagentur Frontex dazu, ein verstärkter Datenaustausch für mehr innere Sicherheit und eine Steuerung der Einwanderung nach einem Punktesystem, das schulische und berufliche Ausbildung ebenso wie Sprachkenntnisse und die Integrationsperspektive berücksichtigt. Wir müssen den Binnenmarkt stärken, indem wir ihn schneller auf Energie und Digitales ausweiten. Bei sozialpolitischen Maßnahmen muss das Subsidiaritätsprinzip gelten, eine zentralisierte EU-Bürokratie im Sozialsektor ist falsch. Außerdem muss sich Europa konsequent für freien Handel und gegen Protektionismus einsetzen. Wir müssen, statt Trumps Fehler der Abgrenzung vom asiatischen Wirtschaftsraum zu wiederholen, zügig das Freihandelsabkommen mit Japan abschließen. Solche Chancen eröffnen sich nicht jeden Tag.

Das Unbehagen in der europäischen Bevölkerung am vorherrschenden Kurs in Europa ist weit verbreitet. Entweder wir gehen darauf substantiell ein und entwickeln echte Lösungen, die mehr Soziale Marktwirtschaft, mehr Wettbewerb, weniger Zentralismus sowie einen konsequenten Schutz der EU-Außengrenzen garantieren, oder die Protestparteien werden stärker. Deren Mischung aus linker, protektionistischer Wirtschaftspolitik und rechtem Provinzialismus wird dann freilich dem Europa, das wir kennen, den Garaus machen.